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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Persien

hinaus. (Der eilige Rückzug muß für die verwöhnte Pariserin recht beschwerlich
gewesen sein,)

Eine wesentliche Besserung der inneren Krise ist natürlich durch die Siege
Jesfrems noch nicht verbürgt. Denn der Ex - Schah sitzt noch inmitten seiner
Anhänger in der Tmkmenensteppe, und Salar-e-Dankes kann ebenfalls aus dem
unzugänglichen Gebirgsland Kurdistans und Luristans jederzeit mit neuen
Streitkräften wieder auftauchen. Ebenso sind die unruhigen Stämme im Nord¬
westen und Südwesten noch umgeschlagen. Jeffrem wäre natürlich der geborene
Mann, um als Militärdiktator des ganzen Landes einmal mit eisernem Besen
Ruhe zu schaffen. Aber da er Christ ist, so ist seine Ernennung zu einem
solchen Posten oder auch nur zum Kriegsminister in einem Lande fanatischer
Mohammedaner ausgeschlossen. Man muß zufrieden sein, wenn ihm nur die
Möglichkeit gelassen wird, in seiner jetzigen Stellung weiter zum Wohle des
Landes zu kämpfen, und wenn nicht wieder -- wie schon einmal -- fanatische
Mullahs seine Kaltstellung durchsetzen, weil "es nicht angängig ist, daß ein
Christenhund rechtgläubige Moslims zusammenschießt."

Die Lösung des Finanzproblems ist (mit Ausnahme des von Belgien
musterhaft organisierten Zolldienstes) in die Hand von amerikanischen Beratern
gelegt. Allem Anschein nach werden Morgan Shuster und seine Gehilfen die
kaum begonnene Arbeit wieder niederlegen müssen*). Aber selbst angenommen,
sie blieben, fo wäre ihr Erfolg doch höchst zweifelhaft. Denn wo soll man mit
der Ausarbeitung eines Steuersystems anfangen in einem Lande, wo es weder
ein Personenstandsregister noch ein Grundbuch noch überhaupt irgend einen
Anhalt gibt, um Bevölkerungsziffer und Befitzverhältnisse zu ermitteln. Und
dann bedenke man den passiven, wenn nicht gar aktiven Widerstand, den die
verhaßten "Ausländer und Ungläubigen" auf Schritt und Tritt bei dem Versuche
finden werden, dem Rechtgläubigen "unter dem Vorwande der Stenereintreibung
ihr Geld wegzunehmen".

Zurzeit scheinen die mächtigen Nachbarn Persiens dafür zu sorgen, daß
den Amerikanern diese Blamage erspart bleibt, denn die persische Frage ist seit
kurzem in ein neues Stadium getreten. Nachdem man sich bisher begnügt
hatte, hinter den Kulissen zu wirken -- man wird aus dem Vorhergehenden
die Unterströmungen herausgefühlt haben --, scheint man von nun ab auch
direkt eingreifen zu wollen. England gab den Anstoß, indem es nach der bei¬
nahe offenkundig betriebenen Umerstützung des Ex-Schah durch die Russen die
längst angekündigten Truppenlandungen am persischen Golf zur Ausführung
brachte. Ob das klug gehandelt war, könnte zweifelhaft erscheinen. Gewiß
läßt sich nicht leugnen, daß die englischen Kaufleute in Manchester und Bir¬
mingham die Regierung schon längst zur energischen Wahrung ihrer persischen
Interessen drängten. Wir wollen es den Engländern auch gern glauben, daß



") Morgan Shuster, hat inzwischen bereits Teheran verlassen und die Geschäfte an
eine Kommission unter Vorsitz des belgischen Zolldirektors Morard übergeben.
Briefe aus Persien

hinaus. (Der eilige Rückzug muß für die verwöhnte Pariserin recht beschwerlich
gewesen sein,)

Eine wesentliche Besserung der inneren Krise ist natürlich durch die Siege
Jesfrems noch nicht verbürgt. Denn der Ex - Schah sitzt noch inmitten seiner
Anhänger in der Tmkmenensteppe, und Salar-e-Dankes kann ebenfalls aus dem
unzugänglichen Gebirgsland Kurdistans und Luristans jederzeit mit neuen
Streitkräften wieder auftauchen. Ebenso sind die unruhigen Stämme im Nord¬
westen und Südwesten noch umgeschlagen. Jeffrem wäre natürlich der geborene
Mann, um als Militärdiktator des ganzen Landes einmal mit eisernem Besen
Ruhe zu schaffen. Aber da er Christ ist, so ist seine Ernennung zu einem
solchen Posten oder auch nur zum Kriegsminister in einem Lande fanatischer
Mohammedaner ausgeschlossen. Man muß zufrieden sein, wenn ihm nur die
Möglichkeit gelassen wird, in seiner jetzigen Stellung weiter zum Wohle des
Landes zu kämpfen, und wenn nicht wieder — wie schon einmal — fanatische
Mullahs seine Kaltstellung durchsetzen, weil „es nicht angängig ist, daß ein
Christenhund rechtgläubige Moslims zusammenschießt."

Die Lösung des Finanzproblems ist (mit Ausnahme des von Belgien
musterhaft organisierten Zolldienstes) in die Hand von amerikanischen Beratern
gelegt. Allem Anschein nach werden Morgan Shuster und seine Gehilfen die
kaum begonnene Arbeit wieder niederlegen müssen*). Aber selbst angenommen,
sie blieben, fo wäre ihr Erfolg doch höchst zweifelhaft. Denn wo soll man mit
der Ausarbeitung eines Steuersystems anfangen in einem Lande, wo es weder
ein Personenstandsregister noch ein Grundbuch noch überhaupt irgend einen
Anhalt gibt, um Bevölkerungsziffer und Befitzverhältnisse zu ermitteln. Und
dann bedenke man den passiven, wenn nicht gar aktiven Widerstand, den die
verhaßten „Ausländer und Ungläubigen" auf Schritt und Tritt bei dem Versuche
finden werden, dem Rechtgläubigen „unter dem Vorwande der Stenereintreibung
ihr Geld wegzunehmen".

Zurzeit scheinen die mächtigen Nachbarn Persiens dafür zu sorgen, daß
den Amerikanern diese Blamage erspart bleibt, denn die persische Frage ist seit
kurzem in ein neues Stadium getreten. Nachdem man sich bisher begnügt
hatte, hinter den Kulissen zu wirken — man wird aus dem Vorhergehenden
die Unterströmungen herausgefühlt haben —, scheint man von nun ab auch
direkt eingreifen zu wollen. England gab den Anstoß, indem es nach der bei¬
nahe offenkundig betriebenen Umerstützung des Ex-Schah durch die Russen die
längst angekündigten Truppenlandungen am persischen Golf zur Ausführung
brachte. Ob das klug gehandelt war, könnte zweifelhaft erscheinen. Gewiß
läßt sich nicht leugnen, daß die englischen Kaufleute in Manchester und Bir¬
mingham die Regierung schon längst zur energischen Wahrung ihrer persischen
Interessen drängten. Wir wollen es den Engländern auch gern glauben, daß



") Morgan Shuster, hat inzwischen bereits Teheran verlassen und die Geschäfte an
eine Kommission unter Vorsitz des belgischen Zolldirektors Morard übergeben.
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[0188] Briefe aus Persien hinaus. (Der eilige Rückzug muß für die verwöhnte Pariserin recht beschwerlich gewesen sein,) Eine wesentliche Besserung der inneren Krise ist natürlich durch die Siege Jesfrems noch nicht verbürgt. Denn der Ex - Schah sitzt noch inmitten seiner Anhänger in der Tmkmenensteppe, und Salar-e-Dankes kann ebenfalls aus dem unzugänglichen Gebirgsland Kurdistans und Luristans jederzeit mit neuen Streitkräften wieder auftauchen. Ebenso sind die unruhigen Stämme im Nord¬ westen und Südwesten noch umgeschlagen. Jeffrem wäre natürlich der geborene Mann, um als Militärdiktator des ganzen Landes einmal mit eisernem Besen Ruhe zu schaffen. Aber da er Christ ist, so ist seine Ernennung zu einem solchen Posten oder auch nur zum Kriegsminister in einem Lande fanatischer Mohammedaner ausgeschlossen. Man muß zufrieden sein, wenn ihm nur die Möglichkeit gelassen wird, in seiner jetzigen Stellung weiter zum Wohle des Landes zu kämpfen, und wenn nicht wieder — wie schon einmal — fanatische Mullahs seine Kaltstellung durchsetzen, weil „es nicht angängig ist, daß ein Christenhund rechtgläubige Moslims zusammenschießt." Die Lösung des Finanzproblems ist (mit Ausnahme des von Belgien musterhaft organisierten Zolldienstes) in die Hand von amerikanischen Beratern gelegt. Allem Anschein nach werden Morgan Shuster und seine Gehilfen die kaum begonnene Arbeit wieder niederlegen müssen*). Aber selbst angenommen, sie blieben, fo wäre ihr Erfolg doch höchst zweifelhaft. Denn wo soll man mit der Ausarbeitung eines Steuersystems anfangen in einem Lande, wo es weder ein Personenstandsregister noch ein Grundbuch noch überhaupt irgend einen Anhalt gibt, um Bevölkerungsziffer und Befitzverhältnisse zu ermitteln. Und dann bedenke man den passiven, wenn nicht gar aktiven Widerstand, den die verhaßten „Ausländer und Ungläubigen" auf Schritt und Tritt bei dem Versuche finden werden, dem Rechtgläubigen „unter dem Vorwande der Stenereintreibung ihr Geld wegzunehmen". Zurzeit scheinen die mächtigen Nachbarn Persiens dafür zu sorgen, daß den Amerikanern diese Blamage erspart bleibt, denn die persische Frage ist seit kurzem in ein neues Stadium getreten. Nachdem man sich bisher begnügt hatte, hinter den Kulissen zu wirken — man wird aus dem Vorhergehenden die Unterströmungen herausgefühlt haben —, scheint man von nun ab auch direkt eingreifen zu wollen. England gab den Anstoß, indem es nach der bei¬ nahe offenkundig betriebenen Umerstützung des Ex-Schah durch die Russen die längst angekündigten Truppenlandungen am persischen Golf zur Ausführung brachte. Ob das klug gehandelt war, könnte zweifelhaft erscheinen. Gewiß läßt sich nicht leugnen, daß die englischen Kaufleute in Manchester und Bir¬ mingham die Regierung schon längst zur energischen Wahrung ihrer persischen Interessen drängten. Wir wollen es den Engländern auch gern glauben, daß ") Morgan Shuster, hat inzwischen bereits Teheran verlassen und die Geschäfte an eine Kommission unter Vorsitz des belgischen Zolldirektors Morard übergeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/188>, abgerufen am 27.09.2024.