Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.I-iisioriÄ mille^us Stäbe an die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart anlegte. Der Versuch, mit des Gedankens Blässe der politischen Entschließung die Also angenommen, daß die Geschichte die vorhin angedeuteten Vorzüge als I-iisioriÄ mille^us Stäbe an die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart anlegte. Der Versuch, mit des Gedankens Blässe der politischen Entschließung die Also angenommen, daß die Geschichte die vorhin angedeuteten Vorzüge als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320595"/> <fw type="header" place="top"> I-iisioriÄ mille^us</fw><lb/> <p xml:id="ID_657" prev="#ID_656"> Stäbe an die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart anlegte.<lb/> Der völlige Mißerfolg, den diese Zeitschrift trotz der geistvollen Beiträge Rankes<lb/> auszuweisen hatte, spricht jedenfalls dafür, daß man sich.von der Wirkung rein<lb/> historisch-voraussetzimgsloser Belehrung nicht zu viel versprechen darf. Denn diese<lb/> Methode wirkte nicht nur nicht in die Breite, sondern auch die geistig angeregten<lb/> und politisch interessierten Kreise boten ihr keinen entsprechenden Widerhall.<lb/> Und Ranke selbst setzte sich vor gewissen Leuten in ein schiefes Licht, als ob er<lb/> ein Lohnschreiber der preußischen Regierung wäre; wie man in der Vorrede zu<lb/> Heines „Französischen Zustünden" nachlesen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_658"> Der Versuch, mit des Gedankens Blässe der politischen Entschließung die<lb/> Richtung zu geben, „die Priorität der politischen Erkenntnis über den politischen<lb/> Willen zu proklamieren" (Diether), mußte wohl mißlingen. Ans diesen und<lb/> späteren Erfahrungen verstehen wir nun Rankes resigniertes Wort an Bismarck:<lb/> „Der Historiker kann niemals zugleich praktischer Politiker sein." Wir fassen<lb/> das Wort auch in seiner Umkehrung: Je mehr ein Mann von politischer Anlage<lb/> ist, d. h. je mehr in ihm die politische Willensseite ausgebildet ist, um so<lb/> weniger wird ihm die für den reinen Historiker erforderliche Kühle und Ruhe<lb/> den Geschehnissen gegenüber beiwohnen, und desto mehr wird er geneigt sein,<lb/> seine persönliche Farbe und Wertung in die Darstellung der Ereignisse hinein¬<lb/> zutragen. Und Rankes wehmütiges Geständnis besagt verallgemeinert wohl dies:<lb/> Die Anlage zur kühl-voraussetzungslosen Historie und die Beschäftigung mit<lb/> ihr übt auf den Menschen leicht einen Einfluß aus, der das politische Wollen<lb/> und hiermit die Fähigkeit zur politischen Wirksamkeit lahmt. Der Historiker,<lb/> gewohnt, widerstreitende Kräfte zu begreifen und ihre Wirkung abzuwägen,<lb/> gewohnt, das Gewordene als berechtigt anzuerkennen, hat aufgehört, mit solchen<lb/> Wertmaßstäben zu arbeiten, die einen klaren Zusammenhang mit der Politik<lb/> zeigen. Er betrachtet schließlich mit historischem Auge auch die Gegenwart und<lb/> beweist auch dort die Parteilosigkeit, die ihm bei der Darstellung der Kämpfe<lb/> früherer Zeit zur Gewohnheit geworden ist. Das l'out compiencZlL c'est<lb/> tout pu-clonner ist ja der Tod jeder politischen Vetätigung, wie schließlich jeder<lb/> Betätigung überhaupt, weil es den Nerv des Willens angreift. „Der historische<lb/> Sinn" — hierin hat Nietzsche nicht unrecht — „wenn er ungebändigt waltet<lb/> und alle seine Konsequenzen zieht, entwurzelt die Zukunft."</p><lb/> <p xml:id="ID_659" next="#ID_660"> Also angenommen, daß die Geschichte die vorhin angedeuteten Vorzüge als<lb/> Anschauungsmaterial für politische Erkenntnis besitzt, so erscheint doch die über¬<lb/> wiegende Beschäftigung mit reiner Geschichte für die politische Erziehung des<lb/> Durchschnittsmenschen nicht ohne Gefahr. Es wird schwer sein, ihn auf der<lb/> mittleren Linie zu halten, wo nicht das politische Wollen durch rein gedank¬<lb/> liche Auffassung des Geschehens vernichtet und anderseits doch das politische<lb/> Verständnis gefördert wird. Im allgemeinen wird er statt der verstandeskühlen<lb/> Betrachtung etwas Gemütswärme, etwas Begeisterung und eine Wertung der<lb/> Ereignisse verlangen. Und dieses Verlangen wird um so mehr Berechtigung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
I-iisioriÄ mille^us
Stäbe an die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart anlegte.
Der völlige Mißerfolg, den diese Zeitschrift trotz der geistvollen Beiträge Rankes
auszuweisen hatte, spricht jedenfalls dafür, daß man sich.von der Wirkung rein
historisch-voraussetzimgsloser Belehrung nicht zu viel versprechen darf. Denn diese
Methode wirkte nicht nur nicht in die Breite, sondern auch die geistig angeregten
und politisch interessierten Kreise boten ihr keinen entsprechenden Widerhall.
Und Ranke selbst setzte sich vor gewissen Leuten in ein schiefes Licht, als ob er
ein Lohnschreiber der preußischen Regierung wäre; wie man in der Vorrede zu
Heines „Französischen Zustünden" nachlesen kann.
Der Versuch, mit des Gedankens Blässe der politischen Entschließung die
Richtung zu geben, „die Priorität der politischen Erkenntnis über den politischen
Willen zu proklamieren" (Diether), mußte wohl mißlingen. Ans diesen und
späteren Erfahrungen verstehen wir nun Rankes resigniertes Wort an Bismarck:
„Der Historiker kann niemals zugleich praktischer Politiker sein." Wir fassen
das Wort auch in seiner Umkehrung: Je mehr ein Mann von politischer Anlage
ist, d. h. je mehr in ihm die politische Willensseite ausgebildet ist, um so
weniger wird ihm die für den reinen Historiker erforderliche Kühle und Ruhe
den Geschehnissen gegenüber beiwohnen, und desto mehr wird er geneigt sein,
seine persönliche Farbe und Wertung in die Darstellung der Ereignisse hinein¬
zutragen. Und Rankes wehmütiges Geständnis besagt verallgemeinert wohl dies:
Die Anlage zur kühl-voraussetzungslosen Historie und die Beschäftigung mit
ihr übt auf den Menschen leicht einen Einfluß aus, der das politische Wollen
und hiermit die Fähigkeit zur politischen Wirksamkeit lahmt. Der Historiker,
gewohnt, widerstreitende Kräfte zu begreifen und ihre Wirkung abzuwägen,
gewohnt, das Gewordene als berechtigt anzuerkennen, hat aufgehört, mit solchen
Wertmaßstäben zu arbeiten, die einen klaren Zusammenhang mit der Politik
zeigen. Er betrachtet schließlich mit historischem Auge auch die Gegenwart und
beweist auch dort die Parteilosigkeit, die ihm bei der Darstellung der Kämpfe
früherer Zeit zur Gewohnheit geworden ist. Das l'out compiencZlL c'est
tout pu-clonner ist ja der Tod jeder politischen Vetätigung, wie schließlich jeder
Betätigung überhaupt, weil es den Nerv des Willens angreift. „Der historische
Sinn" — hierin hat Nietzsche nicht unrecht — „wenn er ungebändigt waltet
und alle seine Konsequenzen zieht, entwurzelt die Zukunft."
Also angenommen, daß die Geschichte die vorhin angedeuteten Vorzüge als
Anschauungsmaterial für politische Erkenntnis besitzt, so erscheint doch die über¬
wiegende Beschäftigung mit reiner Geschichte für die politische Erziehung des
Durchschnittsmenschen nicht ohne Gefahr. Es wird schwer sein, ihn auf der
mittleren Linie zu halten, wo nicht das politische Wollen durch rein gedank¬
liche Auffassung des Geschehens vernichtet und anderseits doch das politische
Verständnis gefördert wird. Im allgemeinen wird er statt der verstandeskühlen
Betrachtung etwas Gemütswärme, etwas Begeisterung und eine Wertung der
Ereignisse verlangen. Und dieses Verlangen wird um so mehr Berechtigung
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