Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel Die belgische Roheisenerzeugung hat sich in den letzten Jahren bereits Die innerhalb der deutschen Zollunion gelegene südwestdeutsch-luxemburgische Die etwaigen Folgen des von Deutschland her befürchteten Wettbewerbes "Der Belgier hält grundsätzlich die freie Konkurrenz für den allein richtigen Stand- Reichsspiegel Die belgische Roheisenerzeugung hat sich in den letzten Jahren bereits Die innerhalb der deutschen Zollunion gelegene südwestdeutsch-luxemburgische Die etwaigen Folgen des von Deutschland her befürchteten Wettbewerbes „Der Belgier hält grundsätzlich die freie Konkurrenz für den allein richtigen Stand- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320576"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_577"> Die belgische Roheisenerzeugung hat sich in den letzten Jahren bereits<lb/> kräftig gehoben. Sie betrug 1910: 1800000 Tonnen gegen 1600000 Tonnen<lb/> im Jahre 1909 und 1200000 Tonnen ini Jahre 1908. Die belgische Eisen¬<lb/> industrie ist, wie bereits ausgeführt, auf eine starke Ausfuhr ihrer Erzeugnisse<lb/> angewiesen, da im Verhältnis zu der starken Produktion der Jnlandsverbrauch<lb/> nur klein ist und außerdem ein nennenswerter Zollschutz nicht besteht. Alle Ver¬<lb/> bands- und Syndikatsbestrebungen hatten in Belgien immer mit großen Schwierig¬<lb/> keiten zu kämpfen, die zum Teil in den manchesterlichen Anschauungen weiter Kreise<lb/> der Großindustrie begründet sind; in Krisenzeiten finden sich häufig Syndikats¬<lb/> mitglieder, welche die Preise unterbieten, und in Zeiten günstiger Konjunktur<lb/> wirft man der Syndikatsleitung gewöhnlich vor, daß sie die Gunst der Um¬<lb/> stände nicht genügend ausnütze. Die Geschichte des belgischen Roheisen-<lb/> Syndikats ist ein Beispiel dafür. Ganz abgesehen davon liegt der Grad von<lb/> Disziplin, der die Voraussetzung eines jeden Syndikats ist, dem belgischen Volks¬<lb/> charakter etwas fern; während in Deutschland alles zur Konzentration drängt,<lb/> gibt es daher in Belgien nur ganz wenige große Werke, dagegen eine ansehnliche<lb/> Reihe kleiner und kleinster Betriebe.</p><lb/> <p xml:id="ID_578"> Die innerhalb der deutschen Zollunion gelegene südwestdeutsch-luxemburgische<lb/> Eisenindustrie ist durch höhere Eingangszölle gegen den belgischen Wettbewerb<lb/> geschützt und verfügt immerhin über einen größeren Jnlandsmarkt, so daß sie<lb/> in Krisenzeiten leichter die belgische Konkurrenz auf dem Weltmarkte unterbieten<lb/> kann, ohne allzu großen Schaden zu erleiden, und in Belgien selbst dürften die<lb/> besser ausgerüsteten kapitalkräftigen und stärker geschützten deutschen Industrien mit<lb/> der belgischen Eisenindustrie in erfolgreichen Wettkampf treten können.</p><lb/> <p xml:id="ID_579"> Die etwaigen Folgen des von Deutschland her befürchteten Wettbewerbes<lb/> find in den letzten Jahren in Belgien wiederholt der Gegenstand eingehendster<lb/> Erörterung gewesen; u. a. suchte man deshalb für einen engeren, wirtschaftlichen<lb/> Anschluß an Holland Propaganda zu machen, allerdings weniger unter Betonung<lb/> der von Deutschland drohenden industriellen Konkurrenz als unter Anführung<lb/> politischer Besorgnisse. Wenn die deutsche Industrie auch alle Veranlassung<lb/> hat, den Bemühungen Belgiens, das verlorene Terrain wieder zu gewinnen,<lb/> ernste Beachtung zu schenken, so ist das doch in weit höherem Maße in Belgien<lb/> der Fall. Ein belgischer Industrieller schrieb vor einigen Jahren in der fran¬<lb/> zösischen Zeitschrift „Kevus LLonvmlczuo lntenmtionÄle" über das internationale<lb/> Syndikatswesen vom belgischen Standpunkte aus betrachtet:</p><lb/> <p xml:id="ID_580" next="#ID_581"> „Der Belgier hält grundsätzlich die freie Konkurrenz für den allein richtigen Stand-<lb/> Punkt. Die industriellen Syndikate sind Erscheinungen des Protektionssystems, das besonders<lb/> Deutschland und Amerika so weit als möglich ausgebildet haben. Seine Folgen sind: fester<lb/> Jnlandsmarkt, starke Steigerung der Preise, Fernhalten des ausländischen Wettbewerbes und<lb/> gleichzeitig Ausfuhr zu offensiven Konkurrenzpreisen (Dumping). Für das kleine Belgien, das<lb/> 76 Prozent seiner Produktion exportiert, ist dieses System unmöglich, anderseits verkennt<lb/> der Belgier keineswegs die Bordelle des Syndikats. Ja er sieht sich gewissermaßen zu einer<lb/> Verständigung mit den deutschen Werken genötigt, da sonst deutsche Erzeugnisse in sein Land</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
Reichsspiegel
Die belgische Roheisenerzeugung hat sich in den letzten Jahren bereits
kräftig gehoben. Sie betrug 1910: 1800000 Tonnen gegen 1600000 Tonnen
im Jahre 1909 und 1200000 Tonnen ini Jahre 1908. Die belgische Eisen¬
industrie ist, wie bereits ausgeführt, auf eine starke Ausfuhr ihrer Erzeugnisse
angewiesen, da im Verhältnis zu der starken Produktion der Jnlandsverbrauch
nur klein ist und außerdem ein nennenswerter Zollschutz nicht besteht. Alle Ver¬
bands- und Syndikatsbestrebungen hatten in Belgien immer mit großen Schwierig¬
keiten zu kämpfen, die zum Teil in den manchesterlichen Anschauungen weiter Kreise
der Großindustrie begründet sind; in Krisenzeiten finden sich häufig Syndikats¬
mitglieder, welche die Preise unterbieten, und in Zeiten günstiger Konjunktur
wirft man der Syndikatsleitung gewöhnlich vor, daß sie die Gunst der Um¬
stände nicht genügend ausnütze. Die Geschichte des belgischen Roheisen-
Syndikats ist ein Beispiel dafür. Ganz abgesehen davon liegt der Grad von
Disziplin, der die Voraussetzung eines jeden Syndikats ist, dem belgischen Volks¬
charakter etwas fern; während in Deutschland alles zur Konzentration drängt,
gibt es daher in Belgien nur ganz wenige große Werke, dagegen eine ansehnliche
Reihe kleiner und kleinster Betriebe.
Die innerhalb der deutschen Zollunion gelegene südwestdeutsch-luxemburgische
Eisenindustrie ist durch höhere Eingangszölle gegen den belgischen Wettbewerb
geschützt und verfügt immerhin über einen größeren Jnlandsmarkt, so daß sie
in Krisenzeiten leichter die belgische Konkurrenz auf dem Weltmarkte unterbieten
kann, ohne allzu großen Schaden zu erleiden, und in Belgien selbst dürften die
besser ausgerüsteten kapitalkräftigen und stärker geschützten deutschen Industrien mit
der belgischen Eisenindustrie in erfolgreichen Wettkampf treten können.
Die etwaigen Folgen des von Deutschland her befürchteten Wettbewerbes
find in den letzten Jahren in Belgien wiederholt der Gegenstand eingehendster
Erörterung gewesen; u. a. suchte man deshalb für einen engeren, wirtschaftlichen
Anschluß an Holland Propaganda zu machen, allerdings weniger unter Betonung
der von Deutschland drohenden industriellen Konkurrenz als unter Anführung
politischer Besorgnisse. Wenn die deutsche Industrie auch alle Veranlassung
hat, den Bemühungen Belgiens, das verlorene Terrain wieder zu gewinnen,
ernste Beachtung zu schenken, so ist das doch in weit höherem Maße in Belgien
der Fall. Ein belgischer Industrieller schrieb vor einigen Jahren in der fran¬
zösischen Zeitschrift „Kevus LLonvmlczuo lntenmtionÄle" über das internationale
Syndikatswesen vom belgischen Standpunkte aus betrachtet:
„Der Belgier hält grundsätzlich die freie Konkurrenz für den allein richtigen Stand-
Punkt. Die industriellen Syndikate sind Erscheinungen des Protektionssystems, das besonders
Deutschland und Amerika so weit als möglich ausgebildet haben. Seine Folgen sind: fester
Jnlandsmarkt, starke Steigerung der Preise, Fernhalten des ausländischen Wettbewerbes und
gleichzeitig Ausfuhr zu offensiven Konkurrenzpreisen (Dumping). Für das kleine Belgien, das
76 Prozent seiner Produktion exportiert, ist dieses System unmöglich, anderseits verkennt
der Belgier keineswegs die Bordelle des Syndikats. Ja er sieht sich gewissermaßen zu einer
Verständigung mit den deutschen Werken genötigt, da sonst deutsche Erzeugnisse in sein Land
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