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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Gottfried Haberkorfs Irrtum

"Gottfried?" flüsterte eine leise Stimme.

"Anna, du?"

"Nein -- Liselotte I"

"Komm in die Stube. Ich will Licht anstecken."

Da legte sie die Hand auf seinen Arm.

"Nein -- nein -- bitte kein Licht."

Sie blieb an der Tür stehen und nahm das leichte Tuch ab, das sie um
den Kopf gelegt hatte.

"Willst du dich nicht setzen?"

Sie wehrte ab.

"Sag einmal, Gottfried," begann sie stockend, "ich musz dich etwas fragen."

"Bitte," sagte er beklommen und wußte nicht, wo das hinaus wollte.

"Wie -- wie stehst du eigentlich zu Anna?"

Also das war es! Ihm schlug das Herz.

"Zu Anna? O -- wie sollte ich zu ihr stehen -- wir haben uns wohl mal
ein bißchen gezankt -- aber --"

Er schwieg, und sie wartete, daß er noch etwas sagen sollte.

Du hast sie doch -- sehr lieb?" fragte sie weiter.

"O gewiß -- sicher!" sagte er hastig und schämte sich, daß er log.

Sie schwieg. Es war ein peinliches Schweigen.

"Man zankt sich ja mal -- das kommt wohl überall vor --"

"Sag, Gottfried, liebt Anna dich?"

Da wurde er verwirrt und wußte nichts zu sagen.

"Anna liebt dich nicht!" sagte Liselotte bestimmt.

"So -- nicht?" sagte Gottfried und bemühte sich, seine Freude zurückzudrängen.

"Nein, Anna liebt dich nicht. Ich weiß überhaupt nicht, ob sie jemand lieb
haben kann. Jedenfalls würde sie, wenn sie jetzt frei wäre, den Vetter Brennecke
heiraten, aber nur weil er die Erbschaft gemacht hat."

Gottfried schwieg.

"Wenn du sie wirklich sehr liebst, werde ich alles aufbieten, sie zu dir zurück¬
zubringen. Aber ihr müßt bald heiraten, dann wird sie dir gehören. Du weißt,
daß sie verständig ist. Willst du sie bald heiraten, Gottfried?"

Wieder trat eine Pause zwischen die beiden. Liselotte stützte sich auf das
Klavier, und Gottfried hörte, wie ihr Atem schwer ins Zimmer glitt.

Was will sie nur? dachte er. Plötzlich dämmerte es in ihm auf. Schnell
heiraten? sagte --Da kam eine tiefe Niedergeschlagenheit in ihn. Er
sah sein hoffendes Leben jäh in die graue Alltäglichkeit einer gleichgültigen Ehe
sinken. Da stand es in ihm auf und wehrte sich und schrie: Nein, nein!

"Nein, nein!" rief er.

"Was sagst du?" fragte Liselotte und hielt ihr Herz.

"Ich kann, ich will sie nicht heiraten. Wir kommen nie zueinander."

"Gott sei Dank!" sagte Liselotte leise.

"Wie? -- Liselotte--?"

Da kam sie ganz nah an ihn, daß der Duft ihrer Kleider, ihres Haares um
ihn war. Ein süßer Taumel kam über Gottfried. Das war derselbe Duft, der
in jener Nacht um ihn gewesen war, ganz der gleiche Duft.


Gottfried Haberkorfs Irrtum

„Gottfried?" flüsterte eine leise Stimme.

„Anna, du?"

„Nein — Liselotte I"

„Komm in die Stube. Ich will Licht anstecken."

Da legte sie die Hand auf seinen Arm.

„Nein — nein — bitte kein Licht."

Sie blieb an der Tür stehen und nahm das leichte Tuch ab, das sie um
den Kopf gelegt hatte.

„Willst du dich nicht setzen?"

Sie wehrte ab.

„Sag einmal, Gottfried," begann sie stockend, „ich musz dich etwas fragen."

„Bitte," sagte er beklommen und wußte nicht, wo das hinaus wollte.

„Wie — wie stehst du eigentlich zu Anna?"

Also das war es! Ihm schlug das Herz.

„Zu Anna? O — wie sollte ich zu ihr stehen — wir haben uns wohl mal
ein bißchen gezankt — aber —"

Er schwieg, und sie wartete, daß er noch etwas sagen sollte.

Du hast sie doch — sehr lieb?" fragte sie weiter.

„O gewiß — sicher!" sagte er hastig und schämte sich, daß er log.

Sie schwieg. Es war ein peinliches Schweigen.

„Man zankt sich ja mal — das kommt wohl überall vor —"

„Sag, Gottfried, liebt Anna dich?"

Da wurde er verwirrt und wußte nichts zu sagen.

„Anna liebt dich nicht!" sagte Liselotte bestimmt.

„So — nicht?" sagte Gottfried und bemühte sich, seine Freude zurückzudrängen.

„Nein, Anna liebt dich nicht. Ich weiß überhaupt nicht, ob sie jemand lieb
haben kann. Jedenfalls würde sie, wenn sie jetzt frei wäre, den Vetter Brennecke
heiraten, aber nur weil er die Erbschaft gemacht hat."

Gottfried schwieg.

„Wenn du sie wirklich sehr liebst, werde ich alles aufbieten, sie zu dir zurück¬
zubringen. Aber ihr müßt bald heiraten, dann wird sie dir gehören. Du weißt,
daß sie verständig ist. Willst du sie bald heiraten, Gottfried?"

Wieder trat eine Pause zwischen die beiden. Liselotte stützte sich auf das
Klavier, und Gottfried hörte, wie ihr Atem schwer ins Zimmer glitt.

Was will sie nur? dachte er. Plötzlich dämmerte es in ihm auf. Schnell
heiraten? sagte --Da kam eine tiefe Niedergeschlagenheit in ihn. Er
sah sein hoffendes Leben jäh in die graue Alltäglichkeit einer gleichgültigen Ehe
sinken. Da stand es in ihm auf und wehrte sich und schrie: Nein, nein!

„Nein, nein!" rief er.

„Was sagst du?" fragte Liselotte und hielt ihr Herz.

„Ich kann, ich will sie nicht heiraten. Wir kommen nie zueinander."

„Gott sei Dank!" sagte Liselotte leise.

„Wie? — Liselotte--?"

Da kam sie ganz nah an ihn, daß der Duft ihrer Kleider, ihres Haares um
ihn war. Ein süßer Taumel kam über Gottfried. Das war derselbe Duft, der
in jener Nacht um ihn gewesen war, ganz der gleiche Duft.


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[0663] Gottfried Haberkorfs Irrtum „Gottfried?" flüsterte eine leise Stimme. „Anna, du?" „Nein — Liselotte I" „Komm in die Stube. Ich will Licht anstecken." Da legte sie die Hand auf seinen Arm. „Nein — nein — bitte kein Licht." Sie blieb an der Tür stehen und nahm das leichte Tuch ab, das sie um den Kopf gelegt hatte. „Willst du dich nicht setzen?" Sie wehrte ab. „Sag einmal, Gottfried," begann sie stockend, „ich musz dich etwas fragen." „Bitte," sagte er beklommen und wußte nicht, wo das hinaus wollte. „Wie — wie stehst du eigentlich zu Anna?" Also das war es! Ihm schlug das Herz. „Zu Anna? O — wie sollte ich zu ihr stehen — wir haben uns wohl mal ein bißchen gezankt — aber —" Er schwieg, und sie wartete, daß er noch etwas sagen sollte. Du hast sie doch — sehr lieb?" fragte sie weiter. „O gewiß — sicher!" sagte er hastig und schämte sich, daß er log. Sie schwieg. Es war ein peinliches Schweigen. „Man zankt sich ja mal — das kommt wohl überall vor —" „Sag, Gottfried, liebt Anna dich?" Da wurde er verwirrt und wußte nichts zu sagen. „Anna liebt dich nicht!" sagte Liselotte bestimmt. „So — nicht?" sagte Gottfried und bemühte sich, seine Freude zurückzudrängen. „Nein, Anna liebt dich nicht. Ich weiß überhaupt nicht, ob sie jemand lieb haben kann. Jedenfalls würde sie, wenn sie jetzt frei wäre, den Vetter Brennecke heiraten, aber nur weil er die Erbschaft gemacht hat." Gottfried schwieg. „Wenn du sie wirklich sehr liebst, werde ich alles aufbieten, sie zu dir zurück¬ zubringen. Aber ihr müßt bald heiraten, dann wird sie dir gehören. Du weißt, daß sie verständig ist. Willst du sie bald heiraten, Gottfried?" Wieder trat eine Pause zwischen die beiden. Liselotte stützte sich auf das Klavier, und Gottfried hörte, wie ihr Atem schwer ins Zimmer glitt. Was will sie nur? dachte er. Plötzlich dämmerte es in ihm auf. Schnell heiraten? sagte --Da kam eine tiefe Niedergeschlagenheit in ihn. Er sah sein hoffendes Leben jäh in die graue Alltäglichkeit einer gleichgültigen Ehe sinken. Da stand es in ihm auf und wehrte sich und schrie: Nein, nein! „Nein, nein!" rief er. „Was sagst du?" fragte Liselotte und hielt ihr Herz. „Ich kann, ich will sie nicht heiraten. Wir kommen nie zueinander." „Gott sei Dank!" sagte Liselotte leise. „Wie? — Liselotte--?" Da kam sie ganz nah an ihn, daß der Duft ihrer Kleider, ihres Haares um ihn war. Ein süßer Taumel kam über Gottfried. Das war derselbe Duft, der in jener Nacht um ihn gewesen war, ganz der gleiche Duft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/663>, abgerufen am 03.07.2024.