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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus Lhiiia

los langweilig. Sie schienen mit ihren drei Kindern in ihrem sauberen und sehr
nett eingerichteten chinesischen Hause ein ganz behagliches Leben zu führen. Da
sie sich erst seit drei Monaten in Pa-ton aufhielten, hatten sie dort natürlich
noch keinem Chinesen zur ewigen Seligkeit verhelfen können. Da war noch ein
anderer englischer Missionar aus Australien bei ihnen zum Besuch, der einen
hoffnunglos stupiden Eindruck machte.

Die Dörfer und kleinen Städte, die wir unterwegs passierten, machten
größtenteils einen freundlichen und ordentlichen Eindruck. In einem kleinen
Dorfe, Lung-chid-men, das aus etwa einem Dutzend Häuser bestand, fanden
wir Unterkunft in einem sehr netten, sauberen Gasthofe; die Wände des schönen,
geräumigen Zimmers waren mit Tabellen zur chinesischen Geschichte geschmückt.
Das Nachbarhaus war ein Schulhaus. Überhaupt konnten wir im ganzen
über die chinesischen Gasthöfe nicht klagen, und ich glaube kaum, daß man in
irgend einem russischen Dorfe auch nur annähernd so gut logieren könnte, wie
wir es durchschnittlich auf allen unseren bisherigen Reisen in China taten.

Man hatte uns so viel von der Bösartigkeit und fremdenfeindlichen Ge¬
sinnung der Bevölkerung von Ch'eng-te-fu im allgemeinen und der Lamas
insbesondere erzählt, daß wir aufs Schlimmste gefaßt waren. Statt dessen
wurden wir überall ohne eine einzige Ausnahme mit der größten Freundlichkeit
behandelt. Jeder Scherz erregte die größte Heiterkeit, und von irgend welcher
Animosität war nichts zu merken. Ich finde meine bisher gemachte Erfahrung
nur wieder bestätigt: daß man nämlich von den Chinesen so behandelt wird,
wie man sie behandelt. Mr. Graham und ich waren einmal in etwas rascherem
Tempo vorausgeritten und machten bei einem Tempel des Kriegsgottes Halt,
um auf Lilly zu warten. Kaum hatten wir den hübschen Tempelhof, in dem
ein schöner duftender Fliederbusch stand, betreten, als ein junger Priester auf
uns zukam und uns in sein Haus zu kommen bat. Der Mann machte einen
sehr netten Eindruck, er hatte ein offenes und freundliches Wesen, ganz ohne
die gespreizte Höflichkeit, die sonst den Chinesen eigen ist. Er regalierte uns
zunächst mit Tee und zeigte uns dann seine Schule, wo wohl einige zwanzig
Kinder lernten. Alles sah sauber und ordentlich aus. Du brauchst durchaus
nicht zu denken, daß ich China und die Chinesen immer nur durch eine rosige Brille
betrachte; es bleibt immer noch so manches übrig, was einen nicht gerade anspricht.

In Peking angekommen (heute ist inzwischen schon der 11. Mai), erfuhren
wir, daß Prinz Heinrich von Preußen erst am 13. kommt, da der alte
Klapperkasten, der den stolzen Namen "Deutschland" führt, wieder einmal aus
dem Leim gegangen ist. Es ist doch merkwürdig, daß bei uns heutzutage, wo
sich's um Staatsaktionen handelt, alles entweder aus dem Leim oder auf den¬
selben geht. . . .

Lilly übt sich täglich im Knixen, es geht auch schon ganz gut, nur macht
sie immer gleichzeitig mit der Zunge ähnliche Bewegungen, wie mit den Beinen (!!)




Briefe aus Lhiiia

los langweilig. Sie schienen mit ihren drei Kindern in ihrem sauberen und sehr
nett eingerichteten chinesischen Hause ein ganz behagliches Leben zu führen. Da
sie sich erst seit drei Monaten in Pa-ton aufhielten, hatten sie dort natürlich
noch keinem Chinesen zur ewigen Seligkeit verhelfen können. Da war noch ein
anderer englischer Missionar aus Australien bei ihnen zum Besuch, der einen
hoffnunglos stupiden Eindruck machte.

Die Dörfer und kleinen Städte, die wir unterwegs passierten, machten
größtenteils einen freundlichen und ordentlichen Eindruck. In einem kleinen
Dorfe, Lung-chid-men, das aus etwa einem Dutzend Häuser bestand, fanden
wir Unterkunft in einem sehr netten, sauberen Gasthofe; die Wände des schönen,
geräumigen Zimmers waren mit Tabellen zur chinesischen Geschichte geschmückt.
Das Nachbarhaus war ein Schulhaus. Überhaupt konnten wir im ganzen
über die chinesischen Gasthöfe nicht klagen, und ich glaube kaum, daß man in
irgend einem russischen Dorfe auch nur annähernd so gut logieren könnte, wie
wir es durchschnittlich auf allen unseren bisherigen Reisen in China taten.

Man hatte uns so viel von der Bösartigkeit und fremdenfeindlichen Ge¬
sinnung der Bevölkerung von Ch'eng-te-fu im allgemeinen und der Lamas
insbesondere erzählt, daß wir aufs Schlimmste gefaßt waren. Statt dessen
wurden wir überall ohne eine einzige Ausnahme mit der größten Freundlichkeit
behandelt. Jeder Scherz erregte die größte Heiterkeit, und von irgend welcher
Animosität war nichts zu merken. Ich finde meine bisher gemachte Erfahrung
nur wieder bestätigt: daß man nämlich von den Chinesen so behandelt wird,
wie man sie behandelt. Mr. Graham und ich waren einmal in etwas rascherem
Tempo vorausgeritten und machten bei einem Tempel des Kriegsgottes Halt,
um auf Lilly zu warten. Kaum hatten wir den hübschen Tempelhof, in dem
ein schöner duftender Fliederbusch stand, betreten, als ein junger Priester auf
uns zukam und uns in sein Haus zu kommen bat. Der Mann machte einen
sehr netten Eindruck, er hatte ein offenes und freundliches Wesen, ganz ohne
die gespreizte Höflichkeit, die sonst den Chinesen eigen ist. Er regalierte uns
zunächst mit Tee und zeigte uns dann seine Schule, wo wohl einige zwanzig
Kinder lernten. Alles sah sauber und ordentlich aus. Du brauchst durchaus
nicht zu denken, daß ich China und die Chinesen immer nur durch eine rosige Brille
betrachte; es bleibt immer noch so manches übrig, was einen nicht gerade anspricht.

In Peking angekommen (heute ist inzwischen schon der 11. Mai), erfuhren
wir, daß Prinz Heinrich von Preußen erst am 13. kommt, da der alte
Klapperkasten, der den stolzen Namen „Deutschland" führt, wieder einmal aus
dem Leim gegangen ist. Es ist doch merkwürdig, daß bei uns heutzutage, wo
sich's um Staatsaktionen handelt, alles entweder aus dem Leim oder auf den¬
selben geht. . . .

Lilly übt sich täglich im Knixen, es geht auch schon ganz gut, nur macht
sie immer gleichzeitig mit der Zunge ähnliche Bewegungen, wie mit den Beinen (!!)




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[0653] Briefe aus Lhiiia los langweilig. Sie schienen mit ihren drei Kindern in ihrem sauberen und sehr nett eingerichteten chinesischen Hause ein ganz behagliches Leben zu führen. Da sie sich erst seit drei Monaten in Pa-ton aufhielten, hatten sie dort natürlich noch keinem Chinesen zur ewigen Seligkeit verhelfen können. Da war noch ein anderer englischer Missionar aus Australien bei ihnen zum Besuch, der einen hoffnunglos stupiden Eindruck machte. Die Dörfer und kleinen Städte, die wir unterwegs passierten, machten größtenteils einen freundlichen und ordentlichen Eindruck. In einem kleinen Dorfe, Lung-chid-men, das aus etwa einem Dutzend Häuser bestand, fanden wir Unterkunft in einem sehr netten, sauberen Gasthofe; die Wände des schönen, geräumigen Zimmers waren mit Tabellen zur chinesischen Geschichte geschmückt. Das Nachbarhaus war ein Schulhaus. Überhaupt konnten wir im ganzen über die chinesischen Gasthöfe nicht klagen, und ich glaube kaum, daß man in irgend einem russischen Dorfe auch nur annähernd so gut logieren könnte, wie wir es durchschnittlich auf allen unseren bisherigen Reisen in China taten. Man hatte uns so viel von der Bösartigkeit und fremdenfeindlichen Ge¬ sinnung der Bevölkerung von Ch'eng-te-fu im allgemeinen und der Lamas insbesondere erzählt, daß wir aufs Schlimmste gefaßt waren. Statt dessen wurden wir überall ohne eine einzige Ausnahme mit der größten Freundlichkeit behandelt. Jeder Scherz erregte die größte Heiterkeit, und von irgend welcher Animosität war nichts zu merken. Ich finde meine bisher gemachte Erfahrung nur wieder bestätigt: daß man nämlich von den Chinesen so behandelt wird, wie man sie behandelt. Mr. Graham und ich waren einmal in etwas rascherem Tempo vorausgeritten und machten bei einem Tempel des Kriegsgottes Halt, um auf Lilly zu warten. Kaum hatten wir den hübschen Tempelhof, in dem ein schöner duftender Fliederbusch stand, betreten, als ein junger Priester auf uns zukam und uns in sein Haus zu kommen bat. Der Mann machte einen sehr netten Eindruck, er hatte ein offenes und freundliches Wesen, ganz ohne die gespreizte Höflichkeit, die sonst den Chinesen eigen ist. Er regalierte uns zunächst mit Tee und zeigte uns dann seine Schule, wo wohl einige zwanzig Kinder lernten. Alles sah sauber und ordentlich aus. Du brauchst durchaus nicht zu denken, daß ich China und die Chinesen immer nur durch eine rosige Brille betrachte; es bleibt immer noch so manches übrig, was einen nicht gerade anspricht. In Peking angekommen (heute ist inzwischen schon der 11. Mai), erfuhren wir, daß Prinz Heinrich von Preußen erst am 13. kommt, da der alte Klapperkasten, der den stolzen Namen „Deutschland" führt, wieder einmal aus dem Leim gegangen ist. Es ist doch merkwürdig, daß bei uns heutzutage, wo sich's um Staatsaktionen handelt, alles entweder aus dem Leim oder auf den¬ selben geht. . . . Lilly übt sich täglich im Knixen, es geht auch schon ganz gut, nur macht sie immer gleichzeitig mit der Zunge ähnliche Bewegungen, wie mit den Beinen (!!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/653>, abgerufen am 23.07.2024.