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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus Lhina

Der große Altar war bedeckt mit den herrlichsten Geräten aus Cloisonnö, Bronze
und Lack, jedes einzelne Stück ein Kunstwerk ersten Ranges. Vor dem Altar
stand der gelbe Thron des Abtes und rund umher die Polstersitze der Lamas.

Der Tempel selbst steht in einem engen Hofe, der von allen vier Seiten
von hohen dreistöckigen Gebäuden mit offenen Galerien umgrenzt ist. Der
freundliche Abt führte uns über künstlich und sehr geschmackvoll angelegte Felsen¬
stufen auf das flache Dach dieser den Tempel einschließenden Gebäude, von
wo wir das herrlich gearbeitete Tempeldach aus nächster Nähe bewundern und
zugleich einen Blick auf die reizende Umgebung werfen konnten. Ich vergaß
noch zu erwähnen, daß die Decke des Tempels aus herrlichem vergoldetem
Schnitzwerk, Drachenfiguren darstellend, besteht. In der Nähe des Tempels steht
der Palast, ein großer dreistöckiger, rotgetünchter Backsteinbau mit prachtvollen
Fensterdächern aus grünen und gelben Majolikakacheln. Prachtvoll war auch
der große Torbogen aus bunten Majolikakacheln.

Nachdem wir alles besichtigt hatten, ließen wir den Lamas eine Kleinigkeit
(2 Dollars) geben, die sie zuerst durchaus nicht annehmen wollten: es könnte
falsch gedeutet werden, wenn es bekannt würde, daß sie Geld angenommen hätten.
Erst aus wiederholtes Zureden ließen sie sich bewegen, das Geld anzunehmen.
Darauf sagte der Abt zu den ihn umgebenden Lamas: "Lasset uns den Herr¬
schaften für ihre Gabe danken," und es war rührend, wie er gleich darauf selbst
mit seinen Lamas vor uns zum Danke niederkniete.

Der nächste Tempel, den wir besichtigten, heißt P'u-ta-la, so genannt nach
Potala, dem Palaste des Dalai-Lama in Lhassa, dessen getreue Nachbildung er
ist. Auch hier wurden wir zuerst von dem die Aufsicht fahrenden Mandarin
begrüßt und von diesem in den inneren Hof geführt, wo uns ebenfalls der Abt
an der Spitze seiner Klostergeistlichkeit erwartete. Lilly photographierte sofort
die malerische Gruppe. Leider hatten wir uns in dem ersten Tempel durch
Mr. Gradaus Boy einschüchtern lassen, der es für durchaus unzulässig erklärte,
den Apparat mitzunehmen. Da wir inzwischen gesehen hatten, wie freundlich
die Leute waren, genierten wir uns auch nicht mehr.

Vor einem schönen Torbogen aus grünen und gelben Majolikakacheln, vor
dem zwei marmorne Elefanten in sitzender Stellung aufgestellt waren, packten
wir unseren Freßkober aus und luden die hohe Geistlichkeit, sowie die welt¬
lichen Würdenträger ein, sich an Wein, Sardinen und Brot zu delektieren, was
sie auch taten.

Der Haupttempel ist hier ein mächtiger sechsstöckiger Backsteinbau, viereckig
und nach oben hin sich etwas verjüngend. An den vier Ecken des Daches sind
niedrige pagodenartige Türme angebracht. Der ganze Bau ruht auf einem
mächtigen steinernen Unterbau, der oben eine Terrasse vor dem Hauptgebäude
bildet/ Das große Gebäude umschließt einen viereckigen Hof, in dem sich der
eigentliche Tempel befindet, der leider sehr gelitten hat und verfallen ist. Wir
haben auch diesen Hof photographiert. Zu Füßen des mächtigen Baues, über


Briefe aus Lhina

Der große Altar war bedeckt mit den herrlichsten Geräten aus Cloisonnö, Bronze
und Lack, jedes einzelne Stück ein Kunstwerk ersten Ranges. Vor dem Altar
stand der gelbe Thron des Abtes und rund umher die Polstersitze der Lamas.

Der Tempel selbst steht in einem engen Hofe, der von allen vier Seiten
von hohen dreistöckigen Gebäuden mit offenen Galerien umgrenzt ist. Der
freundliche Abt führte uns über künstlich und sehr geschmackvoll angelegte Felsen¬
stufen auf das flache Dach dieser den Tempel einschließenden Gebäude, von
wo wir das herrlich gearbeitete Tempeldach aus nächster Nähe bewundern und
zugleich einen Blick auf die reizende Umgebung werfen konnten. Ich vergaß
noch zu erwähnen, daß die Decke des Tempels aus herrlichem vergoldetem
Schnitzwerk, Drachenfiguren darstellend, besteht. In der Nähe des Tempels steht
der Palast, ein großer dreistöckiger, rotgetünchter Backsteinbau mit prachtvollen
Fensterdächern aus grünen und gelben Majolikakacheln. Prachtvoll war auch
der große Torbogen aus bunten Majolikakacheln.

Nachdem wir alles besichtigt hatten, ließen wir den Lamas eine Kleinigkeit
(2 Dollars) geben, die sie zuerst durchaus nicht annehmen wollten: es könnte
falsch gedeutet werden, wenn es bekannt würde, daß sie Geld angenommen hätten.
Erst aus wiederholtes Zureden ließen sie sich bewegen, das Geld anzunehmen.
Darauf sagte der Abt zu den ihn umgebenden Lamas: „Lasset uns den Herr¬
schaften für ihre Gabe danken," und es war rührend, wie er gleich darauf selbst
mit seinen Lamas vor uns zum Danke niederkniete.

Der nächste Tempel, den wir besichtigten, heißt P'u-ta-la, so genannt nach
Potala, dem Palaste des Dalai-Lama in Lhassa, dessen getreue Nachbildung er
ist. Auch hier wurden wir zuerst von dem die Aufsicht fahrenden Mandarin
begrüßt und von diesem in den inneren Hof geführt, wo uns ebenfalls der Abt
an der Spitze seiner Klostergeistlichkeit erwartete. Lilly photographierte sofort
die malerische Gruppe. Leider hatten wir uns in dem ersten Tempel durch
Mr. Gradaus Boy einschüchtern lassen, der es für durchaus unzulässig erklärte,
den Apparat mitzunehmen. Da wir inzwischen gesehen hatten, wie freundlich
die Leute waren, genierten wir uns auch nicht mehr.

Vor einem schönen Torbogen aus grünen und gelben Majolikakacheln, vor
dem zwei marmorne Elefanten in sitzender Stellung aufgestellt waren, packten
wir unseren Freßkober aus und luden die hohe Geistlichkeit, sowie die welt¬
lichen Würdenträger ein, sich an Wein, Sardinen und Brot zu delektieren, was
sie auch taten.

Der Haupttempel ist hier ein mächtiger sechsstöckiger Backsteinbau, viereckig
und nach oben hin sich etwas verjüngend. An den vier Ecken des Daches sind
niedrige pagodenartige Türme angebracht. Der ganze Bau ruht auf einem
mächtigen steinernen Unterbau, der oben eine Terrasse vor dem Hauptgebäude
bildet/ Das große Gebäude umschließt einen viereckigen Hof, in dem sich der
eigentliche Tempel befindet, der leider sehr gelitten hat und verfallen ist. Wir
haben auch diesen Hof photographiert. Zu Füßen des mächtigen Baues, über


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[0651] Briefe aus Lhina Der große Altar war bedeckt mit den herrlichsten Geräten aus Cloisonnö, Bronze und Lack, jedes einzelne Stück ein Kunstwerk ersten Ranges. Vor dem Altar stand der gelbe Thron des Abtes und rund umher die Polstersitze der Lamas. Der Tempel selbst steht in einem engen Hofe, der von allen vier Seiten von hohen dreistöckigen Gebäuden mit offenen Galerien umgrenzt ist. Der freundliche Abt führte uns über künstlich und sehr geschmackvoll angelegte Felsen¬ stufen auf das flache Dach dieser den Tempel einschließenden Gebäude, von wo wir das herrlich gearbeitete Tempeldach aus nächster Nähe bewundern und zugleich einen Blick auf die reizende Umgebung werfen konnten. Ich vergaß noch zu erwähnen, daß die Decke des Tempels aus herrlichem vergoldetem Schnitzwerk, Drachenfiguren darstellend, besteht. In der Nähe des Tempels steht der Palast, ein großer dreistöckiger, rotgetünchter Backsteinbau mit prachtvollen Fensterdächern aus grünen und gelben Majolikakacheln. Prachtvoll war auch der große Torbogen aus bunten Majolikakacheln. Nachdem wir alles besichtigt hatten, ließen wir den Lamas eine Kleinigkeit (2 Dollars) geben, die sie zuerst durchaus nicht annehmen wollten: es könnte falsch gedeutet werden, wenn es bekannt würde, daß sie Geld angenommen hätten. Erst aus wiederholtes Zureden ließen sie sich bewegen, das Geld anzunehmen. Darauf sagte der Abt zu den ihn umgebenden Lamas: „Lasset uns den Herr¬ schaften für ihre Gabe danken," und es war rührend, wie er gleich darauf selbst mit seinen Lamas vor uns zum Danke niederkniete. Der nächste Tempel, den wir besichtigten, heißt P'u-ta-la, so genannt nach Potala, dem Palaste des Dalai-Lama in Lhassa, dessen getreue Nachbildung er ist. Auch hier wurden wir zuerst von dem die Aufsicht fahrenden Mandarin begrüßt und von diesem in den inneren Hof geführt, wo uns ebenfalls der Abt an der Spitze seiner Klostergeistlichkeit erwartete. Lilly photographierte sofort die malerische Gruppe. Leider hatten wir uns in dem ersten Tempel durch Mr. Gradaus Boy einschüchtern lassen, der es für durchaus unzulässig erklärte, den Apparat mitzunehmen. Da wir inzwischen gesehen hatten, wie freundlich die Leute waren, genierten wir uns auch nicht mehr. Vor einem schönen Torbogen aus grünen und gelben Majolikakacheln, vor dem zwei marmorne Elefanten in sitzender Stellung aufgestellt waren, packten wir unseren Freßkober aus und luden die hohe Geistlichkeit, sowie die welt¬ lichen Würdenträger ein, sich an Wein, Sardinen und Brot zu delektieren, was sie auch taten. Der Haupttempel ist hier ein mächtiger sechsstöckiger Backsteinbau, viereckig und nach oben hin sich etwas verjüngend. An den vier Ecken des Daches sind niedrige pagodenartige Türme angebracht. Der ganze Bau ruht auf einem mächtigen steinernen Unterbau, der oben eine Terrasse vor dem Hauptgebäude bildet/ Das große Gebäude umschließt einen viereckigen Hof, in dem sich der eigentliche Tempel befindet, der leider sehr gelitten hat und verfallen ist. Wir haben auch diesen Hof photographiert. Zu Füßen des mächtigen Baues, über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/651>, abgerufen am 03.07.2024.