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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus China

es jedoch mit der größten Entschiedenheit: "Unmöglich, das geht nicht." --
"Warum denn aber nicht? Du siehst ja, daß ich die Lehre kenne, auch sind
wir ruhige Leute, die keinen Skandal anrichten werden. Überlege es dir!" --
"Unmöglich. Wir sind einfache Lamas, und die Erlaubnis dazu kann nur der
Abt geben." -- "Gut, aber wie erlangt man die?" -- "Verschaffe dir eine
Empfehlung vom Präfekten, dann wird euch niemand den Eintritt verwehren."

Vor der Hand hatten wir also nichts ausgerichtet, aber doch offenbar einen
guten Eindruck gemacht. Der gute Wille schien da zu sein. So traten wir denn
resigniert den Rückweg an.

Im Gasthof angelangt, trafen wir einen chinesischen Prüfe kturdiener an, der
uns die Visitenkarte seines Herrn überbrachte mit der Mitteilung, daß dieser,
ein Beamter der Prüfektur, erbötig sei, uns, falls wir die Genehmigung zum
Besuche der Tempel erhielten, dorthin zu begleiten. Das sah günstig aus; wir
schickten ihm unsere Karten und ließen ihm für sein freundliches Anerbieten
danken. Am nächsten Morgen erschien auch wirklich ein Bote aus der Prüfektur,
der uns mitteilte, daß einer Besichtigung der Tempel nichts im Wege stehe. Du
wirst Dir unseren Jubel vorstellen können, wenn ich Dir sage, daß, soviel
bekannt ist, seit Lord Macartnev, der im Jahre 1793 als englischer Spezial-
gesandter von dem Kaiser K'im-lung in Jehol empfangen wurde, kein Ausländer
diese Tempel hat betreten dürfen!!!

Bald stellte sich der Mandarin, der uns den Tag vorher seine Karten
geschickt hatte, ein, von mehreren Soldaten begleitet. Er war sehr nett und
liebenswürdig, und wir regalierten ihn erst mit Champagner, bevor wir auf¬
brachen. Zuerst ging es nach dem Hing-kung, wo wir zunächst von dem dort
stationierten Mandarin empfangen wurden. In jedem der Tempel führt nämlich
neben dem Abt ein Beamter als Vertreter der staatlichen Obrigkeit die Aufsicht.
Nach einer kurzen Pause wurden wir in den inneren Hof geleitet, wo uns der
Abt in seinem gelben Gewände, umgeben von mehreren LamaS, begrüßte. Ich
führte auch ihm natürlich sofort meine Kunststücke vor, die ihm so zu imponieren
schienen, daß er mich in eigener Person herumführte und mir alles erklärte.
Der Hing-kung ist eine getreue Nachbildung des Palastes des zweiten Gro߬
lamas (Pan-es'en-rin-po-es'e) in Tashilhunpo (Tibet) und besteht aus einem
ziemlich großen Gebändekomvlex, der in einen: schönen Parke gelegen ist. Die
größte Sehenswürdigkeit darin ist der Haupttempel, ein viereckiger hoher Back¬
steinbau mit goldenem Dache, das in einer mit einem laternenartigen Knopf
gekrönten Spitze ausläuft, die von vier prachtvoll gearbeiteten Drachen aus ver¬
goldeter Bronze gestützt wird. Genau solche Drachen sind auch an den vier
leicht geschweiften Ecken des Daches angebracht. Das Dach selbst ist mit ver¬
goldeten Ziegeln gedeckt. Auch das Innere des Tempels ist prachtvoll. An den
vier Wänden laufen zwei Galerien, ähnlich den Emporen unserer Kirchen. An
der Rückwand, hinter dem Altare, standen zwei mächtige Buddhastatuen aus
vergoldeter Bronze übereinander, die obere auf der Höhe der ersten Galerie.


Briefe aus China

es jedoch mit der größten Entschiedenheit: „Unmöglich, das geht nicht." —
„Warum denn aber nicht? Du siehst ja, daß ich die Lehre kenne, auch sind
wir ruhige Leute, die keinen Skandal anrichten werden. Überlege es dir!" —
„Unmöglich. Wir sind einfache Lamas, und die Erlaubnis dazu kann nur der
Abt geben." — „Gut, aber wie erlangt man die?" — „Verschaffe dir eine
Empfehlung vom Präfekten, dann wird euch niemand den Eintritt verwehren."

Vor der Hand hatten wir also nichts ausgerichtet, aber doch offenbar einen
guten Eindruck gemacht. Der gute Wille schien da zu sein. So traten wir denn
resigniert den Rückweg an.

Im Gasthof angelangt, trafen wir einen chinesischen Prüfe kturdiener an, der
uns die Visitenkarte seines Herrn überbrachte mit der Mitteilung, daß dieser,
ein Beamter der Prüfektur, erbötig sei, uns, falls wir die Genehmigung zum
Besuche der Tempel erhielten, dorthin zu begleiten. Das sah günstig aus; wir
schickten ihm unsere Karten und ließen ihm für sein freundliches Anerbieten
danken. Am nächsten Morgen erschien auch wirklich ein Bote aus der Prüfektur,
der uns mitteilte, daß einer Besichtigung der Tempel nichts im Wege stehe. Du
wirst Dir unseren Jubel vorstellen können, wenn ich Dir sage, daß, soviel
bekannt ist, seit Lord Macartnev, der im Jahre 1793 als englischer Spezial-
gesandter von dem Kaiser K'im-lung in Jehol empfangen wurde, kein Ausländer
diese Tempel hat betreten dürfen!!!

Bald stellte sich der Mandarin, der uns den Tag vorher seine Karten
geschickt hatte, ein, von mehreren Soldaten begleitet. Er war sehr nett und
liebenswürdig, und wir regalierten ihn erst mit Champagner, bevor wir auf¬
brachen. Zuerst ging es nach dem Hing-kung, wo wir zunächst von dem dort
stationierten Mandarin empfangen wurden. In jedem der Tempel führt nämlich
neben dem Abt ein Beamter als Vertreter der staatlichen Obrigkeit die Aufsicht.
Nach einer kurzen Pause wurden wir in den inneren Hof geleitet, wo uns der
Abt in seinem gelben Gewände, umgeben von mehreren LamaS, begrüßte. Ich
führte auch ihm natürlich sofort meine Kunststücke vor, die ihm so zu imponieren
schienen, daß er mich in eigener Person herumführte und mir alles erklärte.
Der Hing-kung ist eine getreue Nachbildung des Palastes des zweiten Gro߬
lamas (Pan-es'en-rin-po-es'e) in Tashilhunpo (Tibet) und besteht aus einem
ziemlich großen Gebändekomvlex, der in einen: schönen Parke gelegen ist. Die
größte Sehenswürdigkeit darin ist der Haupttempel, ein viereckiger hoher Back¬
steinbau mit goldenem Dache, das in einer mit einem laternenartigen Knopf
gekrönten Spitze ausläuft, die von vier prachtvoll gearbeiteten Drachen aus ver¬
goldeter Bronze gestützt wird. Genau solche Drachen sind auch an den vier
leicht geschweiften Ecken des Daches angebracht. Das Dach selbst ist mit ver¬
goldeten Ziegeln gedeckt. Auch das Innere des Tempels ist prachtvoll. An den
vier Wänden laufen zwei Galerien, ähnlich den Emporen unserer Kirchen. An
der Rückwand, hinter dem Altare, standen zwei mächtige Buddhastatuen aus
vergoldeter Bronze übereinander, die obere auf der Höhe der ersten Galerie.


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[0650] Briefe aus China es jedoch mit der größten Entschiedenheit: „Unmöglich, das geht nicht." — „Warum denn aber nicht? Du siehst ja, daß ich die Lehre kenne, auch sind wir ruhige Leute, die keinen Skandal anrichten werden. Überlege es dir!" — „Unmöglich. Wir sind einfache Lamas, und die Erlaubnis dazu kann nur der Abt geben." — „Gut, aber wie erlangt man die?" — „Verschaffe dir eine Empfehlung vom Präfekten, dann wird euch niemand den Eintritt verwehren." Vor der Hand hatten wir also nichts ausgerichtet, aber doch offenbar einen guten Eindruck gemacht. Der gute Wille schien da zu sein. So traten wir denn resigniert den Rückweg an. Im Gasthof angelangt, trafen wir einen chinesischen Prüfe kturdiener an, der uns die Visitenkarte seines Herrn überbrachte mit der Mitteilung, daß dieser, ein Beamter der Prüfektur, erbötig sei, uns, falls wir die Genehmigung zum Besuche der Tempel erhielten, dorthin zu begleiten. Das sah günstig aus; wir schickten ihm unsere Karten und ließen ihm für sein freundliches Anerbieten danken. Am nächsten Morgen erschien auch wirklich ein Bote aus der Prüfektur, der uns mitteilte, daß einer Besichtigung der Tempel nichts im Wege stehe. Du wirst Dir unseren Jubel vorstellen können, wenn ich Dir sage, daß, soviel bekannt ist, seit Lord Macartnev, der im Jahre 1793 als englischer Spezial- gesandter von dem Kaiser K'im-lung in Jehol empfangen wurde, kein Ausländer diese Tempel hat betreten dürfen!!! Bald stellte sich der Mandarin, der uns den Tag vorher seine Karten geschickt hatte, ein, von mehreren Soldaten begleitet. Er war sehr nett und liebenswürdig, und wir regalierten ihn erst mit Champagner, bevor wir auf¬ brachen. Zuerst ging es nach dem Hing-kung, wo wir zunächst von dem dort stationierten Mandarin empfangen wurden. In jedem der Tempel führt nämlich neben dem Abt ein Beamter als Vertreter der staatlichen Obrigkeit die Aufsicht. Nach einer kurzen Pause wurden wir in den inneren Hof geleitet, wo uns der Abt in seinem gelben Gewände, umgeben von mehreren LamaS, begrüßte. Ich führte auch ihm natürlich sofort meine Kunststücke vor, die ihm so zu imponieren schienen, daß er mich in eigener Person herumführte und mir alles erklärte. Der Hing-kung ist eine getreue Nachbildung des Palastes des zweiten Gro߬ lamas (Pan-es'en-rin-po-es'e) in Tashilhunpo (Tibet) und besteht aus einem ziemlich großen Gebändekomvlex, der in einen: schönen Parke gelegen ist. Die größte Sehenswürdigkeit darin ist der Haupttempel, ein viereckiger hoher Back¬ steinbau mit goldenem Dache, das in einer mit einem laternenartigen Knopf gekrönten Spitze ausläuft, die von vier prachtvoll gearbeiteten Drachen aus ver¬ goldeter Bronze gestützt wird. Genau solche Drachen sind auch an den vier leicht geschweiften Ecken des Daches angebracht. Das Dach selbst ist mit ver¬ goldeten Ziegeln gedeckt. Auch das Innere des Tempels ist prachtvoll. An den vier Wänden laufen zwei Galerien, ähnlich den Emporen unserer Kirchen. An der Rückwand, hinter dem Altare, standen zwei mächtige Buddhastatuen aus vergoldeter Bronze übereinander, die obere auf der Höhe der ersten Galerie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/650>, abgerufen am 23.07.2024.