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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Lriefe aus China

angelegt hatte, auf die Präfektur, um dem Gouverneur unsere Karten abzugeben.
Der letztere war noch nicht aufgestanden, aber einer der anderen Beamten sagte
dem Bon, daß meine Ankunft bereits vom Tsungli-Damen (dem Ministerium
des Auswärtigen) angezeigt worden war. Mein Paß war nämlich vom Tsungli-
Damen ausgefertigt worden, während Mr. Graham nur einen einfachen Gesandt¬
schaftspaß hatte.

Während der Bon auf der Präfektur war, machten wir einen Spaziergang
durch die Stadt und photographierten. Natürlich waren wir stets von einer
hundertköpfigen Schar begleitet. In den Gasthof zurückgekehrt, erfuhren wir
durch den Bon, daß es geraten wäre, noch einen persönlichen Besuch bei dein
Präfekten zu machen, was wir denn auch sofort taten, d. h. Mr. Graham und
ich in Begleitung des Boy. Da der hohe Würdenträger, der Opiumraucher
sein soll, noch immer in Morpheus' Armen lag, ließ ich ihm durch einen der
diensttuenden Beamten sagen, wir seien nur gekommen, um ihm unsere Auf¬
wartung zu machen und ihn zu bitten, uns womöglich Zutritt zu den Tempeln
zu vermitteln, worauf er uns sagen ließ, er wolle sein Möglichstes tun und uns
Bescheid zukommen lassen.

So zogen wir denn wieder ab und ritten sofort, um keine Zeit zu ver¬
lieren, nach Jehol.

Kaum hatten wir den von einer hohen Steinmauer umgebenen und nie¬
mand zugänglichen kaiserlichen Jagdpark hinter uns, als sich uns ein Bild von
ganz überraschender Eigenartigkeit bot. Wir sahen eine niedrige Hügelkette vor
uns, auf der aus dem frischen Grün der Bäume goldene Dächer und hohe
palastartige Bauten, wie man sie sonst in ganz China nicht steht, hervorragten.
Das waren die berühmten Lamatempel. Ohne Zeitverlust ging es sofort aus
Photographieren. Darauf ritten wir etwas näher an die Tempelbauten heran.
Bald wurden wir von einem älteren mongolischen Lama eingeholt, der desselben
Weges ritt. Ich begrüßte ihn mongolisch und schrieb ihm darauf das buddhistische
Gebet Omi man pacime nun in tibetischer Schrift auf ein Blatt Papier. Die
Wirkung übertraf meine Erwartung; er starrte bald mich, bald das Blatt offenen
Mundes an, drückte darauf das Blatt voll Ehrerbietung an seine Stirn und
hielt mir den Daumen hin. Diese Geste bedeutet so viel wie .Mimbsr One".
Allmählich kamen noch verschiedene andere Lamas hinzu, und als ich ihnen
verschiedene buddhistisch-theologische Ausdrücke und Formeln in tibetischer, mon¬
golischer und mandschurischer Schrift aufschrieb, kannte ihr Erstaunen keine
Grenzen mehr, und ich hörte, wie einer zum andern sagte: "Dieser Fremde
kennt buddhistische Ausdrücke, die nicht einmal jedem Lama bekannt sind. Woher
mag er diese Kenntnis haben?" Dutzendweise tauchten mehr oder minder rein¬
liche Daumen vor meiner Nase auf, und jetzt schien mir der Augenblick gekommen,
die Wirkung meines Zaubers zu erproben. Ich fragte also den Lama, der
uns zuerst begegnet war, ob er zu dem Tempel P'u-ta-la gehöre? -- "Ja". --
"Kannst du uns nicht hineinführen und uns den Tempel zeigen?" Dn hieß


Grenzvoten IV 19t 1 8t
Lriefe aus China

angelegt hatte, auf die Präfektur, um dem Gouverneur unsere Karten abzugeben.
Der letztere war noch nicht aufgestanden, aber einer der anderen Beamten sagte
dem Bon, daß meine Ankunft bereits vom Tsungli-Damen (dem Ministerium
des Auswärtigen) angezeigt worden war. Mein Paß war nämlich vom Tsungli-
Damen ausgefertigt worden, während Mr. Graham nur einen einfachen Gesandt¬
schaftspaß hatte.

Während der Bon auf der Präfektur war, machten wir einen Spaziergang
durch die Stadt und photographierten. Natürlich waren wir stets von einer
hundertköpfigen Schar begleitet. In den Gasthof zurückgekehrt, erfuhren wir
durch den Bon, daß es geraten wäre, noch einen persönlichen Besuch bei dein
Präfekten zu machen, was wir denn auch sofort taten, d. h. Mr. Graham und
ich in Begleitung des Boy. Da der hohe Würdenträger, der Opiumraucher
sein soll, noch immer in Morpheus' Armen lag, ließ ich ihm durch einen der
diensttuenden Beamten sagen, wir seien nur gekommen, um ihm unsere Auf¬
wartung zu machen und ihn zu bitten, uns womöglich Zutritt zu den Tempeln
zu vermitteln, worauf er uns sagen ließ, er wolle sein Möglichstes tun und uns
Bescheid zukommen lassen.

So zogen wir denn wieder ab und ritten sofort, um keine Zeit zu ver¬
lieren, nach Jehol.

Kaum hatten wir den von einer hohen Steinmauer umgebenen und nie¬
mand zugänglichen kaiserlichen Jagdpark hinter uns, als sich uns ein Bild von
ganz überraschender Eigenartigkeit bot. Wir sahen eine niedrige Hügelkette vor
uns, auf der aus dem frischen Grün der Bäume goldene Dächer und hohe
palastartige Bauten, wie man sie sonst in ganz China nicht steht, hervorragten.
Das waren die berühmten Lamatempel. Ohne Zeitverlust ging es sofort aus
Photographieren. Darauf ritten wir etwas näher an die Tempelbauten heran.
Bald wurden wir von einem älteren mongolischen Lama eingeholt, der desselben
Weges ritt. Ich begrüßte ihn mongolisch und schrieb ihm darauf das buddhistische
Gebet Omi man pacime nun in tibetischer Schrift auf ein Blatt Papier. Die
Wirkung übertraf meine Erwartung; er starrte bald mich, bald das Blatt offenen
Mundes an, drückte darauf das Blatt voll Ehrerbietung an seine Stirn und
hielt mir den Daumen hin. Diese Geste bedeutet so viel wie .Mimbsr One".
Allmählich kamen noch verschiedene andere Lamas hinzu, und als ich ihnen
verschiedene buddhistisch-theologische Ausdrücke und Formeln in tibetischer, mon¬
golischer und mandschurischer Schrift aufschrieb, kannte ihr Erstaunen keine
Grenzen mehr, und ich hörte, wie einer zum andern sagte: „Dieser Fremde
kennt buddhistische Ausdrücke, die nicht einmal jedem Lama bekannt sind. Woher
mag er diese Kenntnis haben?" Dutzendweise tauchten mehr oder minder rein¬
liche Daumen vor meiner Nase auf, und jetzt schien mir der Augenblick gekommen,
die Wirkung meines Zaubers zu erproben. Ich fragte also den Lama, der
uns zuerst begegnet war, ob er zu dem Tempel P'u-ta-la gehöre? — „Ja". —
„Kannst du uns nicht hineinführen und uns den Tempel zeigen?" Dn hieß


Grenzvoten IV 19t 1 8t
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[0649] Lriefe aus China angelegt hatte, auf die Präfektur, um dem Gouverneur unsere Karten abzugeben. Der letztere war noch nicht aufgestanden, aber einer der anderen Beamten sagte dem Bon, daß meine Ankunft bereits vom Tsungli-Damen (dem Ministerium des Auswärtigen) angezeigt worden war. Mein Paß war nämlich vom Tsungli- Damen ausgefertigt worden, während Mr. Graham nur einen einfachen Gesandt¬ schaftspaß hatte. Während der Bon auf der Präfektur war, machten wir einen Spaziergang durch die Stadt und photographierten. Natürlich waren wir stets von einer hundertköpfigen Schar begleitet. In den Gasthof zurückgekehrt, erfuhren wir durch den Bon, daß es geraten wäre, noch einen persönlichen Besuch bei dein Präfekten zu machen, was wir denn auch sofort taten, d. h. Mr. Graham und ich in Begleitung des Boy. Da der hohe Würdenträger, der Opiumraucher sein soll, noch immer in Morpheus' Armen lag, ließ ich ihm durch einen der diensttuenden Beamten sagen, wir seien nur gekommen, um ihm unsere Auf¬ wartung zu machen und ihn zu bitten, uns womöglich Zutritt zu den Tempeln zu vermitteln, worauf er uns sagen ließ, er wolle sein Möglichstes tun und uns Bescheid zukommen lassen. So zogen wir denn wieder ab und ritten sofort, um keine Zeit zu ver¬ lieren, nach Jehol. Kaum hatten wir den von einer hohen Steinmauer umgebenen und nie¬ mand zugänglichen kaiserlichen Jagdpark hinter uns, als sich uns ein Bild von ganz überraschender Eigenartigkeit bot. Wir sahen eine niedrige Hügelkette vor uns, auf der aus dem frischen Grün der Bäume goldene Dächer und hohe palastartige Bauten, wie man sie sonst in ganz China nicht steht, hervorragten. Das waren die berühmten Lamatempel. Ohne Zeitverlust ging es sofort aus Photographieren. Darauf ritten wir etwas näher an die Tempelbauten heran. Bald wurden wir von einem älteren mongolischen Lama eingeholt, der desselben Weges ritt. Ich begrüßte ihn mongolisch und schrieb ihm darauf das buddhistische Gebet Omi man pacime nun in tibetischer Schrift auf ein Blatt Papier. Die Wirkung übertraf meine Erwartung; er starrte bald mich, bald das Blatt offenen Mundes an, drückte darauf das Blatt voll Ehrerbietung an seine Stirn und hielt mir den Daumen hin. Diese Geste bedeutet so viel wie .Mimbsr One". Allmählich kamen noch verschiedene andere Lamas hinzu, und als ich ihnen verschiedene buddhistisch-theologische Ausdrücke und Formeln in tibetischer, mon¬ golischer und mandschurischer Schrift aufschrieb, kannte ihr Erstaunen keine Grenzen mehr, und ich hörte, wie einer zum andern sagte: „Dieser Fremde kennt buddhistische Ausdrücke, die nicht einmal jedem Lama bekannt sind. Woher mag er diese Kenntnis haben?" Dutzendweise tauchten mehr oder minder rein¬ liche Daumen vor meiner Nase auf, und jetzt schien mir der Augenblick gekommen, die Wirkung meines Zaubers zu erproben. Ich fragte also den Lama, der uns zuerst begegnet war, ob er zu dem Tempel P'u-ta-la gehöre? — „Ja". — „Kannst du uns nicht hineinführen und uns den Tempel zeigen?" Dn hieß Grenzvoten IV 19t 1 8t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/649>, abgerufen am 23.07.2024.