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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Alte Klagen, neue Fragen

von Übelständen, die diese überhaupt mit sich bringen, und muß ertragen werden.
Eine Milderung bringt gerade hier die neuerdings offiziell eingeführte
Kurzstunde. Ein Grund zu einer Beschränkung der Unterrichtsstundenzahl über¬
haupt kann aus diesen besonderen Verhältnissen nicht abgeleitet werden.

Sehen wir uns nun einmal die drei Schularten, Gymnasium, Real¬
gymnasium und Oberrealschule, im einzelnen hinsichtlich der Überbürdung mit
Unterrichtsstunden an, so ergibt sich, daß das Gymnasium gerade am wenigsten
zu leiden hat. Es hat tatsächlich in den oberen Klassen durch den Wegfall
des Zeichnens eine Stunde weniger als die anderen beiden Schularten; was
aber noch wesentlicher ins Gewicht füllt, ist die mindere Belastung mit fakul¬
tativen Stunden. Das Gymnasium hat sechs fakultative Stunden in den oberen
Klassen, nämlich Zeichnen, Hebräisch und eine neuere Sprache; diese sind aber
auch wirklich fakultativ und kaum einer wird mehr als zwei nehmen, die meisten
wohl die zwei neusprachlichen. Das Realgymnasium und die Oberrealschule
aber haben als fakultative Stunden vier naturwissenschaftliche Arbeits- und
Übungsstunden, die tatsächlich nicht fakultativ sind, weil sich niemand ausschließen
kann, wenn er nicht hinter den anderen und den durch diese Stunden
ermöglichten Zielforderungen zurückbleiben will. Dazu kommen noch eine
Stunde geometrisches oder perspektivisches Zeichnen und schon von 0III an
zwei Stunden Linearzeichnen, und mit Nachdruck tritt auch noch die Biologie
in Konkurrenz. Bei der Oberrealschule im besonderen nehmen, wie ich höre,
die naturwissenschaftlichen Aufgaben der Oberklassen die Kräfte der Schüler in
ganz unverhältnismäßiger Weise in Anspruch. Es gilt nicht bloß die erlernten
Elemente zu befestigen, die Kenntnisse zu erweitern und zu vertiefen, sondern
es beginnt von 011 an ein ganz neues Arbeitsgebiet, in dem auch das Ge¬
dächtniswerk einen gewaltigen Raum beansprucht. Spricht man also von Über¬
bürdung, so betrifft das in erster Linie die Oberrealschulen, dann die Real¬
gymnasien. Wie aber wäre zu entlasten? Bei den Oberrealschulen ist das am
schwersten, weil die Belastung gerade auf dem ihnen eigentümlichen Gebiete liegt, den
Naturwissenschaften. Bleibt also nur die Frage zu erörtern, ob derBetriebderNatur-
wissenschaften in diesen: Umfange, auch wenn die mathematisch-naturwissenschaftliche
Vorbildung die Richtungslinie bleibt, wirklich notwendig ist. Ich wage darüber
kein Urteil abzugeben, da ich nicht Fachmann bin, aber ich bin persönlich überzeugt,
daß eine Entlastung nur in dieser Richtung gesucht werden kann.

Bei den Realgymnasien liegt die Frage günstiger. Eine Beschränkung
der Mathematik und der Naturwissenschaften unterliegt hier in. E. gar keinem
Bedenken. Man mache doch auch bei dieser Schulart Ernst mit dem weisen
Grundsatze, der beim Gymnasium durchgeführt wird, daß es auf die akademischen
Studien vorbereiten, nicht aber schon in diese hineinführen soll. Es sind gewiß
nicht viel weniger Gymnasiasten, die Mathematik, ja selbst Naturwissenschaften
studieren, als Realgymnasiasten. Reicht die gymnasiale mathematische Vorbildung
dazu aus -- und das tut sie erfahrungsgemäß --, so braucht man auch auf


Alte Klagen, neue Fragen

von Übelständen, die diese überhaupt mit sich bringen, und muß ertragen werden.
Eine Milderung bringt gerade hier die neuerdings offiziell eingeführte
Kurzstunde. Ein Grund zu einer Beschränkung der Unterrichtsstundenzahl über¬
haupt kann aus diesen besonderen Verhältnissen nicht abgeleitet werden.

Sehen wir uns nun einmal die drei Schularten, Gymnasium, Real¬
gymnasium und Oberrealschule, im einzelnen hinsichtlich der Überbürdung mit
Unterrichtsstunden an, so ergibt sich, daß das Gymnasium gerade am wenigsten
zu leiden hat. Es hat tatsächlich in den oberen Klassen durch den Wegfall
des Zeichnens eine Stunde weniger als die anderen beiden Schularten; was
aber noch wesentlicher ins Gewicht füllt, ist die mindere Belastung mit fakul¬
tativen Stunden. Das Gymnasium hat sechs fakultative Stunden in den oberen
Klassen, nämlich Zeichnen, Hebräisch und eine neuere Sprache; diese sind aber
auch wirklich fakultativ und kaum einer wird mehr als zwei nehmen, die meisten
wohl die zwei neusprachlichen. Das Realgymnasium und die Oberrealschule
aber haben als fakultative Stunden vier naturwissenschaftliche Arbeits- und
Übungsstunden, die tatsächlich nicht fakultativ sind, weil sich niemand ausschließen
kann, wenn er nicht hinter den anderen und den durch diese Stunden
ermöglichten Zielforderungen zurückbleiben will. Dazu kommen noch eine
Stunde geometrisches oder perspektivisches Zeichnen und schon von 0III an
zwei Stunden Linearzeichnen, und mit Nachdruck tritt auch noch die Biologie
in Konkurrenz. Bei der Oberrealschule im besonderen nehmen, wie ich höre,
die naturwissenschaftlichen Aufgaben der Oberklassen die Kräfte der Schüler in
ganz unverhältnismäßiger Weise in Anspruch. Es gilt nicht bloß die erlernten
Elemente zu befestigen, die Kenntnisse zu erweitern und zu vertiefen, sondern
es beginnt von 011 an ein ganz neues Arbeitsgebiet, in dem auch das Ge¬
dächtniswerk einen gewaltigen Raum beansprucht. Spricht man also von Über¬
bürdung, so betrifft das in erster Linie die Oberrealschulen, dann die Real¬
gymnasien. Wie aber wäre zu entlasten? Bei den Oberrealschulen ist das am
schwersten, weil die Belastung gerade auf dem ihnen eigentümlichen Gebiete liegt, den
Naturwissenschaften. Bleibt also nur die Frage zu erörtern, ob derBetriebderNatur-
wissenschaften in diesen: Umfange, auch wenn die mathematisch-naturwissenschaftliche
Vorbildung die Richtungslinie bleibt, wirklich notwendig ist. Ich wage darüber
kein Urteil abzugeben, da ich nicht Fachmann bin, aber ich bin persönlich überzeugt,
daß eine Entlastung nur in dieser Richtung gesucht werden kann.

Bei den Realgymnasien liegt die Frage günstiger. Eine Beschränkung
der Mathematik und der Naturwissenschaften unterliegt hier in. E. gar keinem
Bedenken. Man mache doch auch bei dieser Schulart Ernst mit dem weisen
Grundsatze, der beim Gymnasium durchgeführt wird, daß es auf die akademischen
Studien vorbereiten, nicht aber schon in diese hineinführen soll. Es sind gewiß
nicht viel weniger Gymnasiasten, die Mathematik, ja selbst Naturwissenschaften
studieren, als Realgymnasiasten. Reicht die gymnasiale mathematische Vorbildung
dazu aus — und das tut sie erfahrungsgemäß —, so braucht man auch auf


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[0643] Alte Klagen, neue Fragen von Übelständen, die diese überhaupt mit sich bringen, und muß ertragen werden. Eine Milderung bringt gerade hier die neuerdings offiziell eingeführte Kurzstunde. Ein Grund zu einer Beschränkung der Unterrichtsstundenzahl über¬ haupt kann aus diesen besonderen Verhältnissen nicht abgeleitet werden. Sehen wir uns nun einmal die drei Schularten, Gymnasium, Real¬ gymnasium und Oberrealschule, im einzelnen hinsichtlich der Überbürdung mit Unterrichtsstunden an, so ergibt sich, daß das Gymnasium gerade am wenigsten zu leiden hat. Es hat tatsächlich in den oberen Klassen durch den Wegfall des Zeichnens eine Stunde weniger als die anderen beiden Schularten; was aber noch wesentlicher ins Gewicht füllt, ist die mindere Belastung mit fakul¬ tativen Stunden. Das Gymnasium hat sechs fakultative Stunden in den oberen Klassen, nämlich Zeichnen, Hebräisch und eine neuere Sprache; diese sind aber auch wirklich fakultativ und kaum einer wird mehr als zwei nehmen, die meisten wohl die zwei neusprachlichen. Das Realgymnasium und die Oberrealschule aber haben als fakultative Stunden vier naturwissenschaftliche Arbeits- und Übungsstunden, die tatsächlich nicht fakultativ sind, weil sich niemand ausschließen kann, wenn er nicht hinter den anderen und den durch diese Stunden ermöglichten Zielforderungen zurückbleiben will. Dazu kommen noch eine Stunde geometrisches oder perspektivisches Zeichnen und schon von 0III an zwei Stunden Linearzeichnen, und mit Nachdruck tritt auch noch die Biologie in Konkurrenz. Bei der Oberrealschule im besonderen nehmen, wie ich höre, die naturwissenschaftlichen Aufgaben der Oberklassen die Kräfte der Schüler in ganz unverhältnismäßiger Weise in Anspruch. Es gilt nicht bloß die erlernten Elemente zu befestigen, die Kenntnisse zu erweitern und zu vertiefen, sondern es beginnt von 011 an ein ganz neues Arbeitsgebiet, in dem auch das Ge¬ dächtniswerk einen gewaltigen Raum beansprucht. Spricht man also von Über¬ bürdung, so betrifft das in erster Linie die Oberrealschulen, dann die Real¬ gymnasien. Wie aber wäre zu entlasten? Bei den Oberrealschulen ist das am schwersten, weil die Belastung gerade auf dem ihnen eigentümlichen Gebiete liegt, den Naturwissenschaften. Bleibt also nur die Frage zu erörtern, ob derBetriebderNatur- wissenschaften in diesen: Umfange, auch wenn die mathematisch-naturwissenschaftliche Vorbildung die Richtungslinie bleibt, wirklich notwendig ist. Ich wage darüber kein Urteil abzugeben, da ich nicht Fachmann bin, aber ich bin persönlich überzeugt, daß eine Entlastung nur in dieser Richtung gesucht werden kann. Bei den Realgymnasien liegt die Frage günstiger. Eine Beschränkung der Mathematik und der Naturwissenschaften unterliegt hier in. E. gar keinem Bedenken. Man mache doch auch bei dieser Schulart Ernst mit dem weisen Grundsatze, der beim Gymnasium durchgeführt wird, daß es auf die akademischen Studien vorbereiten, nicht aber schon in diese hineinführen soll. Es sind gewiß nicht viel weniger Gymnasiasten, die Mathematik, ja selbst Naturwissenschaften studieren, als Realgymnasiasten. Reicht die gymnasiale mathematische Vorbildung dazu aus — und das tut sie erfahrungsgemäß —, so braucht man auch auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/643>, abgerufen am 23.07.2024.