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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Aus L, R, Abekens Nachlaß

unablässiges Studium gewidmet; Goethe trat mit deu Jahren immer mehr als
Zentralsonue herrschend in den Mittelpunkt seines inneren Lebens, dergestalt,
daß die Lieblingsbeschäftigung der stillen Stunden seines Alters ein Werk wurde,
dem er die sehr wohl passende Aufschrift gab .Goethe in meinem Leben'. Dieses
Werk sollte ein Dankopfer werden seiner Freude, daß die Natur ihn befähigt
hatte, ihr nachzudenken "den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich auf¬
schwang": Goethe; er schloß es ab mit dem Bekenntnis: "Welche menschliche
Schwächen und Fehler sich in seinem Leben kund geben mochten, -- immer
blieb das Bild des für die großartigsten Zwecke ausdauernd thätigen Mannes
lebendig fest in mir und wird es bleiben; des Mannes, der nach Schellings
Ausdruck in allen inneren und äußeren Verirrungen der Zeit wie eine mächtige
Säule dastand, an der viele sich aufrichteten, wie ein Pharus, der alle Wege
des Geistes beleuchtete."

Zwanzigjährig, als Student, hatte Abeken im Septeniber 1800 Goethen
und Schillern in Jena bei Griesbachs persönlich kennen gelernt; 1308--10
lebte er als Hauslehrer von Schillers Söhnen in Weimar; und durch seine
1812 erfolgte Verheiratung mit Christiane v. Wurmb, einer nahen Verwandten
des von Lengefeldschen Hauses in Rudolstadt, wie durch seinen ununterbrochenen
Briefwechsel mit dem Calderon-Übersetzer Gries in Jena, blieb er, nach Osna¬
brück zurückgekehrt, doch dauernd in enger Verbindung mit Weimar, Jena und
Rudolstadt.

Abeken entwickelte neben der Ausübung seines Amtes als Gymnasiallehrer
eine reiche schriftstellerische Tätigkeit. Und auch bei dieser trat Goethe, die
Erforschung seines Lebens und seiner Werke, mit den Jahren immer mehr in
den Vordergrund. Schon einer seiner ersten Versuche auf dem literarhistorisch¬
kritischen Felde hatte das Glück, Goethes wärmsten Beifall zu finden; es war
die Anfang 1810 im Morgenblatt' anonym erschienene Besprechung des Romans
.Die Wahlverwandtschaften'. Goethe fand, daß der unbekannte Versasser, unter
dem man in Weimar eine Zeitlang Schelling vermutete, durchaus den "rechten
Fleck" getroffen habe, und versandte den durch Riemer besorgten Sonderabdruck
mit Vorliebe an seine Freunde. Das feinsinnige, von allem Schulmeisterlichen
freie, rein menschliche Wesen Abekens war es, das, in jener Besprechung voll
zum Ausdruck kommend, Goethen gewonnen hatte. Diese Vorzüge zeichnen
aber, mehr oder minder, alle Schriften Abekens aus und geben insbesondere
seinen beiden Hauptwerken zur Goethe-Literatur: dem 1845 erschienenen Schriftchen
.Ein Stück aus Goethes Leben' und dem umfangreichen Buche .Goethe in den
Jahren 1771 bis 1775' (1. Auflage 18K1, 2. 1865 erschienen) auch für die
Zukunft dauernden Wert. Goethes Wort über Winckelmann: "In der Gestalt,
wie der Mensch die Erde verläßt, wandelt er unter den Schatten", d. h. für
uns: in der Erinnerung der Menschen, es bewahrheitet sich an Goethe selbst;
die Nachwelt sieht, insbesondere sah die erste Generation nach 1832 Goethen
wesentlich als Greis im Silberhaar, als den Weisen, den Vollender des .Faust',


Grenzboten IV 1911 73
Aus L, R, Abekens Nachlaß

unablässiges Studium gewidmet; Goethe trat mit deu Jahren immer mehr als
Zentralsonue herrschend in den Mittelpunkt seines inneren Lebens, dergestalt,
daß die Lieblingsbeschäftigung der stillen Stunden seines Alters ein Werk wurde,
dem er die sehr wohl passende Aufschrift gab .Goethe in meinem Leben'. Dieses
Werk sollte ein Dankopfer werden seiner Freude, daß die Natur ihn befähigt
hatte, ihr nachzudenken „den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich auf¬
schwang": Goethe; er schloß es ab mit dem Bekenntnis: „Welche menschliche
Schwächen und Fehler sich in seinem Leben kund geben mochten, — immer
blieb das Bild des für die großartigsten Zwecke ausdauernd thätigen Mannes
lebendig fest in mir und wird es bleiben; des Mannes, der nach Schellings
Ausdruck in allen inneren und äußeren Verirrungen der Zeit wie eine mächtige
Säule dastand, an der viele sich aufrichteten, wie ein Pharus, der alle Wege
des Geistes beleuchtete."

Zwanzigjährig, als Student, hatte Abeken im Septeniber 1800 Goethen
und Schillern in Jena bei Griesbachs persönlich kennen gelernt; 1308—10
lebte er als Hauslehrer von Schillers Söhnen in Weimar; und durch seine
1812 erfolgte Verheiratung mit Christiane v. Wurmb, einer nahen Verwandten
des von Lengefeldschen Hauses in Rudolstadt, wie durch seinen ununterbrochenen
Briefwechsel mit dem Calderon-Übersetzer Gries in Jena, blieb er, nach Osna¬
brück zurückgekehrt, doch dauernd in enger Verbindung mit Weimar, Jena und
Rudolstadt.

Abeken entwickelte neben der Ausübung seines Amtes als Gymnasiallehrer
eine reiche schriftstellerische Tätigkeit. Und auch bei dieser trat Goethe, die
Erforschung seines Lebens und seiner Werke, mit den Jahren immer mehr in
den Vordergrund. Schon einer seiner ersten Versuche auf dem literarhistorisch¬
kritischen Felde hatte das Glück, Goethes wärmsten Beifall zu finden; es war
die Anfang 1810 im Morgenblatt' anonym erschienene Besprechung des Romans
.Die Wahlverwandtschaften'. Goethe fand, daß der unbekannte Versasser, unter
dem man in Weimar eine Zeitlang Schelling vermutete, durchaus den „rechten
Fleck" getroffen habe, und versandte den durch Riemer besorgten Sonderabdruck
mit Vorliebe an seine Freunde. Das feinsinnige, von allem Schulmeisterlichen
freie, rein menschliche Wesen Abekens war es, das, in jener Besprechung voll
zum Ausdruck kommend, Goethen gewonnen hatte. Diese Vorzüge zeichnen
aber, mehr oder minder, alle Schriften Abekens aus und geben insbesondere
seinen beiden Hauptwerken zur Goethe-Literatur: dem 1845 erschienenen Schriftchen
.Ein Stück aus Goethes Leben' und dem umfangreichen Buche .Goethe in den
Jahren 1771 bis 1775' (1. Auflage 18K1, 2. 1865 erschienen) auch für die
Zukunft dauernden Wert. Goethes Wort über Winckelmann: „In der Gestalt,
wie der Mensch die Erde verläßt, wandelt er unter den Schatten", d. h. für
uns: in der Erinnerung der Menschen, es bewahrheitet sich an Goethe selbst;
die Nachwelt sieht, insbesondere sah die erste Generation nach 1832 Goethen
wesentlich als Greis im Silberhaar, als den Weisen, den Vollender des .Faust',


Grenzboten IV 1911 73
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/585>, abgerufen am 03.07.2024.