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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Aber man erzählte mir, daß alte Leute sich
besinnen könnten, ehedem habe draußen auf
der Höhe einer gestanden; dortsollen sich die
Dorfjungen um die willkommene Erfrischung
geprügelt haben. Auch der Marktplatz mag
Goethe gefallen haben: in der Mitte stand
einst ein Brunnen, am unteren Ende die Weiße,
Wohl erneuerte Kirche; gegenüber dem Löwen
des reichen Kaufmanns modernes Haus und
die ältere anliegende Apotheke stimmen über¬
ein; ja selbst der im Gedichte erwähnte "be¬
schlossene Chausseebau" findet sein Analogon
in der Adorfer Stadtgeschichte jener Jahre.

Als das Wesentliche des Eindruckes sei
betont: Es kann kaum der Zufall diese über¬
raschende Gleichheit der Srtlichkeit gegeben
haben. Goethe war in Adorf kurz vor Ab¬
fassung der Dichtung, er sah den Markt, ver¬
kehrte im Löwen, durchwanderte das Grund¬
stück. Da blieben ihm die Eindrücke, und er
Verwandte sie beliebig umbildend zu seinem
Gedichte.

Ähnlich ist es mit dem Wege zwischen Adorf
und Elster. Die Entfernungen stimmen. Halb¬
wegs kommt quer zum Tal eine Straße --
heute -- vom Bahnhof Elster; dort, wo sie
sich mit der Hauptstraße vereinigt, haben die
Städter mit ihren Hilfsgaben den Emigranten¬
zug erwartet, dort am Sommerwege. Die
Flüchtigen sind talauf gezogen, "den glück¬
lichen Winkel dieses fruchtbaren Tals und seiner
Krümmungen wandernd." Selbst ein Fußweg
ist da, nur darf man sich ihm nicht nach dem
Sinne der Dichtung vorstellen, denn er kürzt
wenig. Daraus Goethe besser erklären wollen,
ja Widersprüche lösen, wie Trauer versucht,
geht ohne Verdrehungen nicht ab. Die Emi¬
granten kommen zum Rastdorfe. Ein Anger
findet sich da mit einem säuerlichen Brunnen.
Wie soll man sich ihn nach Goethe vorstellen?
Eigenartig ist seine Fassung:

"Flach gegraben befand sich unter den Bäumen
ein Brunnen,
Stieg man die Stufen hinab, so zeigten sich
steinerne Bänke,
Rings um die Quelle gesetzt, die immer lebendig
hervorquoll,
Reinlich, mit niedriger Mauer gefaßt, zu
schöpfen bequemlich."
[Spaltenumbruch]

sich in alten Akten eine Brunnenzeichnung aus
dem Jahre 1795, die beinahe als Illustration
zu Goethe dienen kann. Wie man zu dieser
absonderlichen Form gekommen ist, läßt sich
auch aus alten Nachrichten begründen: die
alljährliche Überschwemmung des Tales ver¬
unreinigte das gute Quellwasser des Sauer¬
brunnens, so Plante man damals aus Prak¬
tischer Notwendigkeit der Errichtung eines
breiten Erdwalles rund um das "Mäuerchen"
des eigentlichen Brunnens. Und Goethe, der
sich für alles Geologische interessierte, sollte er
nicht von Adorf aus die Brunnenverhältnisse
in Elster studiert haben?

Soweit reichen die lokalen Übereinstim¬
mungen. Sie sind so überwiegend, daß ich
nicht mehr zweifle: Goethe hat von der Ört-
lichkeit Adorf--Elster in seiner Dichtung ver¬
wandt. Aber das Weitere, Teile der Hand¬
lung nun auch mit Adorf in Zusammenhang
zu bringen, ist abzulehnen. Trauer versucht
es, vielleicht angesteckt von den törichten Unter¬
suchungen Kullmers überPößneck in Thüringen.
Das, was über die Datierung des Brandes
das Alter des Geistlichen, die Emigrantenzüge
gesagt wird, ist wertlos. An dem Ergebnisse
der bisherigen Forschung ist nichts zu ändern
nötig: die Geraer Überlieferung vom Jahre
1732 ist die unmittelbare Quelle Goethes ge¬
wesen. Diese nun auch nach Elster verlegen,
heißt der Dichtung in kleinlicher Weise Gewalt
antun. Goethe hat die Fabel am Rhein spielen
lassen, er nahm Refugiös an Stelle der Salz¬
burger Vertriebenen, er gab der bürgerlichen
Dichtung den großen historischen Hintergrund
seiner Zeit, die Revolution.

Wenn Lokalgelehrte versuchen, das Große
an der Schöpfung zunichte zu machen, nur
um möglichst viel Gemeinsames für ihre Idee
herauszuschlagen und der neuen Auffindung
Sensation zu erhöhen, so kann das nicht scharf
genug zurückgewiesen werden.

Dr. Johannes Mißlack-

Eine höchst interessante Idee ist durchgeführt
im Goethe-Kalender auf das Jahr 1912 (heraus,
gegeben von Carl Schiiddckopf. Leipzig, Die-
terichscheVcrlagSbuchhandlungTheodorWeicher.
Preis M. 1,60). Es ist der Versuch gemacht,
GoethesVerhältnis zu den bedeutendstenFrauen,
die in des Dichters Leben eine Rolle gespielt

[Ende Spaltensatz]

"säuerlich" war das Wasser, "erquicklich und
gesund zu trinken die Menschen." Da findet


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Aber man erzählte mir, daß alte Leute sich
besinnen könnten, ehedem habe draußen auf
der Höhe einer gestanden; dortsollen sich die
Dorfjungen um die willkommene Erfrischung
geprügelt haben. Auch der Marktplatz mag
Goethe gefallen haben: in der Mitte stand
einst ein Brunnen, am unteren Ende die Weiße,
Wohl erneuerte Kirche; gegenüber dem Löwen
des reichen Kaufmanns modernes Haus und
die ältere anliegende Apotheke stimmen über¬
ein; ja selbst der im Gedichte erwähnte „be¬
schlossene Chausseebau" findet sein Analogon
in der Adorfer Stadtgeschichte jener Jahre.

Als das Wesentliche des Eindruckes sei
betont: Es kann kaum der Zufall diese über¬
raschende Gleichheit der Srtlichkeit gegeben
haben. Goethe war in Adorf kurz vor Ab¬
fassung der Dichtung, er sah den Markt, ver¬
kehrte im Löwen, durchwanderte das Grund¬
stück. Da blieben ihm die Eindrücke, und er
Verwandte sie beliebig umbildend zu seinem
Gedichte.

Ähnlich ist es mit dem Wege zwischen Adorf
und Elster. Die Entfernungen stimmen. Halb¬
wegs kommt quer zum Tal eine Straße —
heute — vom Bahnhof Elster; dort, wo sie
sich mit der Hauptstraße vereinigt, haben die
Städter mit ihren Hilfsgaben den Emigranten¬
zug erwartet, dort am Sommerwege. Die
Flüchtigen sind talauf gezogen, „den glück¬
lichen Winkel dieses fruchtbaren Tals und seiner
Krümmungen wandernd." Selbst ein Fußweg
ist da, nur darf man sich ihm nicht nach dem
Sinne der Dichtung vorstellen, denn er kürzt
wenig. Daraus Goethe besser erklären wollen,
ja Widersprüche lösen, wie Trauer versucht,
geht ohne Verdrehungen nicht ab. Die Emi¬
granten kommen zum Rastdorfe. Ein Anger
findet sich da mit einem säuerlichen Brunnen.
Wie soll man sich ihn nach Goethe vorstellen?
Eigenartig ist seine Fassung:

„Flach gegraben befand sich unter den Bäumen
ein Brunnen,
Stieg man die Stufen hinab, so zeigten sich
steinerne Bänke,
Rings um die Quelle gesetzt, die immer lebendig
hervorquoll,
Reinlich, mit niedriger Mauer gefaßt, zu
schöpfen bequemlich."
[Spaltenumbruch]

sich in alten Akten eine Brunnenzeichnung aus
dem Jahre 1795, die beinahe als Illustration
zu Goethe dienen kann. Wie man zu dieser
absonderlichen Form gekommen ist, läßt sich
auch aus alten Nachrichten begründen: die
alljährliche Überschwemmung des Tales ver¬
unreinigte das gute Quellwasser des Sauer¬
brunnens, so Plante man damals aus Prak¬
tischer Notwendigkeit der Errichtung eines
breiten Erdwalles rund um das „Mäuerchen"
des eigentlichen Brunnens. Und Goethe, der
sich für alles Geologische interessierte, sollte er
nicht von Adorf aus die Brunnenverhältnisse
in Elster studiert haben?

Soweit reichen die lokalen Übereinstim¬
mungen. Sie sind so überwiegend, daß ich
nicht mehr zweifle: Goethe hat von der Ört-
lichkeit Adorf—Elster in seiner Dichtung ver¬
wandt. Aber das Weitere, Teile der Hand¬
lung nun auch mit Adorf in Zusammenhang
zu bringen, ist abzulehnen. Trauer versucht
es, vielleicht angesteckt von den törichten Unter¬
suchungen Kullmers überPößneck in Thüringen.
Das, was über die Datierung des Brandes
das Alter des Geistlichen, die Emigrantenzüge
gesagt wird, ist wertlos. An dem Ergebnisse
der bisherigen Forschung ist nichts zu ändern
nötig: die Geraer Überlieferung vom Jahre
1732 ist die unmittelbare Quelle Goethes ge¬
wesen. Diese nun auch nach Elster verlegen,
heißt der Dichtung in kleinlicher Weise Gewalt
antun. Goethe hat die Fabel am Rhein spielen
lassen, er nahm Refugiös an Stelle der Salz¬
burger Vertriebenen, er gab der bürgerlichen
Dichtung den großen historischen Hintergrund
seiner Zeit, die Revolution.

Wenn Lokalgelehrte versuchen, das Große
an der Schöpfung zunichte zu machen, nur
um möglichst viel Gemeinsames für ihre Idee
herauszuschlagen und der neuen Auffindung
Sensation zu erhöhen, so kann das nicht scharf
genug zurückgewiesen werden.

Dr. Johannes Mißlack-

Eine höchst interessante Idee ist durchgeführt
im Goethe-Kalender auf das Jahr 1912 (heraus,
gegeben von Carl Schiiddckopf. Leipzig, Die-
terichscheVcrlagSbuchhandlungTheodorWeicher.
Preis M. 1,60). Es ist der Versuch gemacht,
GoethesVerhältnis zu den bedeutendstenFrauen,
die in des Dichters Leben eine Rolle gespielt

[Ende Spaltensatz]

„säuerlich" war das Wasser, „erquicklich und
gesund zu trinken die Menschen." Da findet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/51>, abgerufen am 03.07.2024.