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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Hamburger Monistenkongreß

Dingen zugehe. Dies geht soweit, daß jenes Flugblatt sogar erklärt, dem Monis¬
mus sei es gleichgültig, ob es nur eine Kraft oder nur einen Stoff gäbe, das sei
lediglich eine physikalische Frage.

Mit der Definition des Monismus seitens jenes Flugblattes stimmt es nun
vollständig überein, wie Prof. Ostwald auf dem Kongreß den Monismus bestimmte.
Er sagte nämlich: "Wir Monisten verhalten uns ablehnend gegen jeden Offen-
barungsglauben und gegen jede übernatürliche Vorstellung. Innerhalb dieses
Kreises bietet sich aber für jeden Einzelnen, so verschieden er seine Aufgabe auffassen
mag, Raum für freie Betätigung."

Aus alledem ergibt sich klipp und klar: Der Deutsche Monistenbund hat mit
Wissenschaft im Grunde genommen recht wenig menn. Er ist im Wesentlichen eine
Kampfesorganisation gegen die Religion; denn was einzelne Monisten, selbst Haeckel,
noch "Religion" nennen, ist wieder eine völlig unberechtigte Umwertung dessen,
was man seit alters so genannt hat.

Es ist ein großer Gewinn, daß dieses Ziel des Monistenbundes jetzt nach
dem Kongreß klar vor aller Augen liegt. Und aus diesem Ziel ist es auch zu
erklären, wenn der Kongreß äußerlich einen so glänzenden Verlauf genommen hat.
Jene Massen, die sich nicht genug tun konnten in Jubelausbrüchen und stürmischer
Begeisterung, sie waren suggestiv beeinflußt durch den Gedanken der Zerschmetterung
der Religion durch die Wissenschaft. Sie erwarten vom Monistenbund und seinem
Monismus einen Ersatz für den Gottesglauben und die Religion, die sie selbst
schon längst verloren haben.

Werden sie finden, was sie suchen? -- Nun, die Monisten selbst sind offenbar
auf dem Kongreß wie in einem Rausch und im Siegestaumel gewesen, verstieg
sich Ostwald am Schluß doch zu den unbegreiflichen Worten: "Ich schließe den
ersten Monistenkongreß und eröffne das monistische Jahrhundert." -- Es gehört
wohl nicht besonders viel Prophetengabe dazu, um vorherzusagen, daß sie beide,
die Massen und die Monistenführer, die sich offenbar in diesen Taumel gegenseitig
hineinsuggeriert haben, recht bald sehr enttäuscht und ernüchtert sein werden. Die
Wirklichkeit wird bald genug zeigen, in welchen Utopien diese Leute leben.

Jedenfalls ist das sicher: unser Volk hat noch gesunden Sinn genug, um den
sogenannten Monismus des Monistenbundes zu durchschauen und das Flittergold
seines Kongresses als das zu werten, was es ist. Zunächst wird dem Monisten¬
bund im großen und ganzen nur ein für seine "Wissenschaft" recht bedenkliches
Feld der Betätigung offen stehen: die großen Massen der religionslosen Sozial¬
demokratie und ihrer Mitläufer.




Der Hamburger Monistenkongreß

Dingen zugehe. Dies geht soweit, daß jenes Flugblatt sogar erklärt, dem Monis¬
mus sei es gleichgültig, ob es nur eine Kraft oder nur einen Stoff gäbe, das sei
lediglich eine physikalische Frage.

Mit der Definition des Monismus seitens jenes Flugblattes stimmt es nun
vollständig überein, wie Prof. Ostwald auf dem Kongreß den Monismus bestimmte.
Er sagte nämlich: „Wir Monisten verhalten uns ablehnend gegen jeden Offen-
barungsglauben und gegen jede übernatürliche Vorstellung. Innerhalb dieses
Kreises bietet sich aber für jeden Einzelnen, so verschieden er seine Aufgabe auffassen
mag, Raum für freie Betätigung."

Aus alledem ergibt sich klipp und klar: Der Deutsche Monistenbund hat mit
Wissenschaft im Grunde genommen recht wenig menn. Er ist im Wesentlichen eine
Kampfesorganisation gegen die Religion; denn was einzelne Monisten, selbst Haeckel,
noch „Religion" nennen, ist wieder eine völlig unberechtigte Umwertung dessen,
was man seit alters so genannt hat.

Es ist ein großer Gewinn, daß dieses Ziel des Monistenbundes jetzt nach
dem Kongreß klar vor aller Augen liegt. Und aus diesem Ziel ist es auch zu
erklären, wenn der Kongreß äußerlich einen so glänzenden Verlauf genommen hat.
Jene Massen, die sich nicht genug tun konnten in Jubelausbrüchen und stürmischer
Begeisterung, sie waren suggestiv beeinflußt durch den Gedanken der Zerschmetterung
der Religion durch die Wissenschaft. Sie erwarten vom Monistenbund und seinem
Monismus einen Ersatz für den Gottesglauben und die Religion, die sie selbst
schon längst verloren haben.

Werden sie finden, was sie suchen? — Nun, die Monisten selbst sind offenbar
auf dem Kongreß wie in einem Rausch und im Siegestaumel gewesen, verstieg
sich Ostwald am Schluß doch zu den unbegreiflichen Worten: „Ich schließe den
ersten Monistenkongreß und eröffne das monistische Jahrhundert." — Es gehört
wohl nicht besonders viel Prophetengabe dazu, um vorherzusagen, daß sie beide,
die Massen und die Monistenführer, die sich offenbar in diesen Taumel gegenseitig
hineinsuggeriert haben, recht bald sehr enttäuscht und ernüchtert sein werden. Die
Wirklichkeit wird bald genug zeigen, in welchen Utopien diese Leute leben.

Jedenfalls ist das sicher: unser Volk hat noch gesunden Sinn genug, um den
sogenannten Monismus des Monistenbundes zu durchschauen und das Flittergold
seines Kongresses als das zu werten, was es ist. Zunächst wird dem Monisten¬
bund im großen und ganzen nur ein für seine „Wissenschaft" recht bedenkliches
Feld der Betätigung offen stehen: die großen Massen der religionslosen Sozial¬
demokratie und ihrer Mitläufer.




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[0049] Der Hamburger Monistenkongreß Dingen zugehe. Dies geht soweit, daß jenes Flugblatt sogar erklärt, dem Monis¬ mus sei es gleichgültig, ob es nur eine Kraft oder nur einen Stoff gäbe, das sei lediglich eine physikalische Frage. Mit der Definition des Monismus seitens jenes Flugblattes stimmt es nun vollständig überein, wie Prof. Ostwald auf dem Kongreß den Monismus bestimmte. Er sagte nämlich: „Wir Monisten verhalten uns ablehnend gegen jeden Offen- barungsglauben und gegen jede übernatürliche Vorstellung. Innerhalb dieses Kreises bietet sich aber für jeden Einzelnen, so verschieden er seine Aufgabe auffassen mag, Raum für freie Betätigung." Aus alledem ergibt sich klipp und klar: Der Deutsche Monistenbund hat mit Wissenschaft im Grunde genommen recht wenig menn. Er ist im Wesentlichen eine Kampfesorganisation gegen die Religion; denn was einzelne Monisten, selbst Haeckel, noch „Religion" nennen, ist wieder eine völlig unberechtigte Umwertung dessen, was man seit alters so genannt hat. Es ist ein großer Gewinn, daß dieses Ziel des Monistenbundes jetzt nach dem Kongreß klar vor aller Augen liegt. Und aus diesem Ziel ist es auch zu erklären, wenn der Kongreß äußerlich einen so glänzenden Verlauf genommen hat. Jene Massen, die sich nicht genug tun konnten in Jubelausbrüchen und stürmischer Begeisterung, sie waren suggestiv beeinflußt durch den Gedanken der Zerschmetterung der Religion durch die Wissenschaft. Sie erwarten vom Monistenbund und seinem Monismus einen Ersatz für den Gottesglauben und die Religion, die sie selbst schon längst verloren haben. Werden sie finden, was sie suchen? — Nun, die Monisten selbst sind offenbar auf dem Kongreß wie in einem Rausch und im Siegestaumel gewesen, verstieg sich Ostwald am Schluß doch zu den unbegreiflichen Worten: „Ich schließe den ersten Monistenkongreß und eröffne das monistische Jahrhundert." — Es gehört wohl nicht besonders viel Prophetengabe dazu, um vorherzusagen, daß sie beide, die Massen und die Monistenführer, die sich offenbar in diesen Taumel gegenseitig hineinsuggeriert haben, recht bald sehr enttäuscht und ernüchtert sein werden. Die Wirklichkeit wird bald genug zeigen, in welchen Utopien diese Leute leben. Jedenfalls ist das sicher: unser Volk hat noch gesunden Sinn genug, um den sogenannten Monismus des Monistenbundes zu durchschauen und das Flittergold seines Kongresses als das zu werten, was es ist. Zunächst wird dem Monisten¬ bund im großen und ganzen nur ein für seine „Wissenschaft" recht bedenkliches Feld der Betätigung offen stehen: die großen Massen der religionslosen Sozial¬ demokratie und ihrer Mitläufer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/49>, abgerufen am 23.07.2024.