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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Ein Handelsvertrag zwischen Deutschland und England besteht bekanntlich
nicht mehr, nachdem der frühere Meistbegünstigungsvertrag, der sich auch auf
den Handel zwischen Deutschland und den englischen Kolonien bezog, im Jahre
1897 von der englischen Negierung gekündigt morden ist. Den unmittelbaren
Anstoß zu der Kündigung hatte der damals neu geschaffene Vorzugstarif gegeben,
durch den Kanada dem Mutterlande weitgehende Zollbegünstigungen einräumte.
Da nach dem deutsch-britischen Handelsvertrage deutsche Waren in den Kolonien
nicht höher besteuert werden durften als englische Waren, so nahm natürlich
Deutschland, solange der Vertrag in Geltung war, an den nur dem Mutter¬
lande zugedachten Vorzugszöllen teil. Um diesem Zustande ein Ende zu machen,
hat England den Vertrag gekündigt, und dieser trat im Sommer 1893 außer
Kraft. An seine Stelle ist das inzwischen wiederholt erneuerte Reichsgesetz
getreten, das den Bundesrat ermächtigt, "den Angehörigen und den Erzeug¬
nissen des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Irland, sowie den
Angehörigen und den Erzeugnissen britischer Kolonien und auswärtiger Besitzungen,
diejenigen Vorteile einzuräumen, die seitens des Reichs den Angehörigen oder
den Erzeugnissen des meistbegünstigten Landes gewährt werden."

In der Handelspolitik des Deutschen Reiches war das ein Novum; es
blieb indes ein anderer Ausweg nicht übrig, weil der Abschluß eines neuen
Handelsvertrages mit England nicht zu erreichen war, der britische Handel aber
von dem Mitgenusse der deutschen Vertragszölle nicht ausgeschlossen werden
sollte. Man hat sich daran gewöhnt, dieses nun schon seit beinahe vierzehn
Jahren bestehende, rein autonome Handelsverhältnis als deutsch-britisches Handels¬
provisorium zu bezeichnen. Nur Kanada gegenüber hat bisher der Bundesrat
von der ihm erteilten Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht: kanadische Waren
unterliegen daher seit 1898 beim Eingange in Deutschland den Sätzen unseres
allgemeinen Tarifes.

Der Außenhandel Großbritanniens und der britischen Kolonien und Besitzungen
wacht ungefähr ein Viertel des gesamten internationalen Handels aller Länder
der Erde aus. In den Jahren 1900 und 1910 betrug der Wert der Einfuhr
und Ausfuhr der einzelnen Teile des britischen Weltreiches in Millionen Mark:

Einfuhr Ausfuhr
1900191019001910
Großbritannien ....9 38211 7235 9408 784
Indien.......19142 6Sö2 1S33 473
Australien und Neuseeland. 1063164111771784
Kanada.......7i>91 SK37461173
Südafrika......4717731S8426
Übrige britische Kolonien .40034038"600
zusammen . .. 13 97918 73510 06416 140

Während der letzten zehn Jahre ist mithin die Einfuhr um 4,8 Milliarden Mark
und die Ausfuhr um 5,6 Milliarden Mark gestiegen; die Zunahme beträgt im
ganzen etwa 42 Prozent. Indien und Australien haben eine aktive Handels-


Grenzboten IV 1911 S8
Reichsspiegel

Ein Handelsvertrag zwischen Deutschland und England besteht bekanntlich
nicht mehr, nachdem der frühere Meistbegünstigungsvertrag, der sich auch auf
den Handel zwischen Deutschland und den englischen Kolonien bezog, im Jahre
1897 von der englischen Negierung gekündigt morden ist. Den unmittelbaren
Anstoß zu der Kündigung hatte der damals neu geschaffene Vorzugstarif gegeben,
durch den Kanada dem Mutterlande weitgehende Zollbegünstigungen einräumte.
Da nach dem deutsch-britischen Handelsvertrage deutsche Waren in den Kolonien
nicht höher besteuert werden durften als englische Waren, so nahm natürlich
Deutschland, solange der Vertrag in Geltung war, an den nur dem Mutter¬
lande zugedachten Vorzugszöllen teil. Um diesem Zustande ein Ende zu machen,
hat England den Vertrag gekündigt, und dieser trat im Sommer 1893 außer
Kraft. An seine Stelle ist das inzwischen wiederholt erneuerte Reichsgesetz
getreten, das den Bundesrat ermächtigt, „den Angehörigen und den Erzeug¬
nissen des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Irland, sowie den
Angehörigen und den Erzeugnissen britischer Kolonien und auswärtiger Besitzungen,
diejenigen Vorteile einzuräumen, die seitens des Reichs den Angehörigen oder
den Erzeugnissen des meistbegünstigten Landes gewährt werden."

In der Handelspolitik des Deutschen Reiches war das ein Novum; es
blieb indes ein anderer Ausweg nicht übrig, weil der Abschluß eines neuen
Handelsvertrages mit England nicht zu erreichen war, der britische Handel aber
von dem Mitgenusse der deutschen Vertragszölle nicht ausgeschlossen werden
sollte. Man hat sich daran gewöhnt, dieses nun schon seit beinahe vierzehn
Jahren bestehende, rein autonome Handelsverhältnis als deutsch-britisches Handels¬
provisorium zu bezeichnen. Nur Kanada gegenüber hat bisher der Bundesrat
von der ihm erteilten Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht: kanadische Waren
unterliegen daher seit 1898 beim Eingange in Deutschland den Sätzen unseres
allgemeinen Tarifes.

Der Außenhandel Großbritanniens und der britischen Kolonien und Besitzungen
wacht ungefähr ein Viertel des gesamten internationalen Handels aller Länder
der Erde aus. In den Jahren 1900 und 1910 betrug der Wert der Einfuhr
und Ausfuhr der einzelnen Teile des britischen Weltreiches in Millionen Mark:

Einfuhr Ausfuhr
1900191019001910
Großbritannien ....9 38211 7235 9408 784
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Während der letzten zehn Jahre ist mithin die Einfuhr um 4,8 Milliarden Mark
und die Ausfuhr um 5,6 Milliarden Mark gestiegen; die Zunahme beträgt im
ganzen etwa 42 Prozent. Indien und Australien haben eine aktive Handels-


Grenzboten IV 1911 S8
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[0465] Reichsspiegel Ein Handelsvertrag zwischen Deutschland und England besteht bekanntlich nicht mehr, nachdem der frühere Meistbegünstigungsvertrag, der sich auch auf den Handel zwischen Deutschland und den englischen Kolonien bezog, im Jahre 1897 von der englischen Negierung gekündigt morden ist. Den unmittelbaren Anstoß zu der Kündigung hatte der damals neu geschaffene Vorzugstarif gegeben, durch den Kanada dem Mutterlande weitgehende Zollbegünstigungen einräumte. Da nach dem deutsch-britischen Handelsvertrage deutsche Waren in den Kolonien nicht höher besteuert werden durften als englische Waren, so nahm natürlich Deutschland, solange der Vertrag in Geltung war, an den nur dem Mutter¬ lande zugedachten Vorzugszöllen teil. Um diesem Zustande ein Ende zu machen, hat England den Vertrag gekündigt, und dieser trat im Sommer 1893 außer Kraft. An seine Stelle ist das inzwischen wiederholt erneuerte Reichsgesetz getreten, das den Bundesrat ermächtigt, „den Angehörigen und den Erzeug¬ nissen des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Irland, sowie den Angehörigen und den Erzeugnissen britischer Kolonien und auswärtiger Besitzungen, diejenigen Vorteile einzuräumen, die seitens des Reichs den Angehörigen oder den Erzeugnissen des meistbegünstigten Landes gewährt werden." In der Handelspolitik des Deutschen Reiches war das ein Novum; es blieb indes ein anderer Ausweg nicht übrig, weil der Abschluß eines neuen Handelsvertrages mit England nicht zu erreichen war, der britische Handel aber von dem Mitgenusse der deutschen Vertragszölle nicht ausgeschlossen werden sollte. Man hat sich daran gewöhnt, dieses nun schon seit beinahe vierzehn Jahren bestehende, rein autonome Handelsverhältnis als deutsch-britisches Handels¬ provisorium zu bezeichnen. Nur Kanada gegenüber hat bisher der Bundesrat von der ihm erteilten Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht: kanadische Waren unterliegen daher seit 1898 beim Eingange in Deutschland den Sätzen unseres allgemeinen Tarifes. Der Außenhandel Großbritanniens und der britischen Kolonien und Besitzungen wacht ungefähr ein Viertel des gesamten internationalen Handels aller Länder der Erde aus. In den Jahren 1900 und 1910 betrug der Wert der Einfuhr und Ausfuhr der einzelnen Teile des britischen Weltreiches in Millionen Mark: Einfuhr Ausfuhr 1900191019001910 Großbritannien ....9 38211 7235 9408 784 Indien.......19142 6Sö2 1S33 473 Australien und Neuseeland. 1063164111771784 Kanada.......7i>91 SK37461173 Südafrika......4717731S8426 Übrige britische Kolonien .40034038»600 zusammen . .. 13 97918 73510 06416 140 Während der letzten zehn Jahre ist mithin die Einfuhr um 4,8 Milliarden Mark und die Ausfuhr um 5,6 Milliarden Mark gestiegen; die Zunahme beträgt im ganzen etwa 42 Prozent. Indien und Australien haben eine aktive Handels- Grenzboten IV 1911 S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/465>, abgerufen am 23.07.2024.