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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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und was ich damals konstatierte, muß ich heute wieder tun: die Rede hat besonders
in ihrem ersten Teil kalt gelassen und bei der Behandlung der Affäre Lindeauist
gar den Kanzler zum Anwalt seines Gegners gestempelt. Konkret gesprochen, muß
es als Fehler der Rede aufgefaßt werden, daß sie auf die beiden Schlagworte
der Altdeutschen "Siedlungsgebiet" und "schwarze Macht" nicht eingegangen ist.
Das schwarze Gespenst konnte ja Herr v. Kiderlen noch näher beleuchten, nachdem
Herr v. Liebert es aus seiner Gespensterkammer hervorgeholt hatte, aber die
Siedlungsutopie mußte unter dem Tisch bleiben, weil sich doch kein Abgeordneter
fand, der sich der Negierung zuliebe lächerlich machen wollte. Und doch hätte
gerade die Erwähnung des Wunsches nach Siedlungsland dem Herrn Reichs¬
kanzler Gelegenheit zu manchem Exkurs ins innerpolitische Gebiet gegeben und
einige theoretische Bemerkungen über Weg und Ziel der deutschen Kolonialpolitik
gestattet, wie sie z. B. in der kleinen, sehr lesenswerten Schrift von Hildebrand,
"Sozialistische Auslandspolitik""), enthalten sind. Die Rede hätte dann freilich
eineStunde länger gedauert, -- das aber wäre keinFehler gewesen. Auch die Broschüre
von Claß "Marokko Deutsch" hätte eine Erwähnung verdient, und dem Redner
bei entsprechender Behandlung einen Heiterkeitserfolg eingetragen. -- So aber hat
sich der Kanzler durch seinen Ernst und seine Gewissenhaftigkeit und nicht zuletzt
durch den sachlichen Respekt, mit dem er den Parteileuten im Reichstage begegnet ist,
das Regierungsgeschäft nur unnötig erschwert.


"Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
Muß auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, für wen ihr schreibt!"

Die Marokkodebatte hat eine besondere Bedeutung für die Parteipolitik er¬
halten durch die überaus scharfe Abfuhr, die der Reichskanzler dem Führer der
Konservativen erteilte, und durch das Verhalten des Kronprinzen in der Hof¬
loge des Reichstages. Es wird seitens der nationalistischen und demokratischen
Presse so hingestellt, als habe der künftige Träger der deutschen Kaiserkrone osten¬
tativ gegen das Verhalten der Regierung seines Vaters demonstriert und beide
wärmen an dem dadurch vielfach erregten Unwillen ihre dünnen Parteisuppen.
Ich möchte den Vorgang, so verletzend er für die Vertreter des Kaisers im
Reichstage sein konnte, nicht gar so tragisch nehmen. Es ist ein Zeichen
unserer Zeit, daß man in dem Benehmen des Kronprinzen nur eine negative
Seite sehen will; daß der Thronfolger, der nur sehr selten Gelegenheit hat,
politische Reden zu hören, sich an dem ästhetischen Genuß der Rede Heydebrands
begeistern und berauschen und hinreißen lassen konnte, das kommt niemand in den
Sinn. Und doch haben sich ältere und härter gesottene Besucher des Reichstags
dem Eindruck des konservativen Führers nicht entziehen können. Auch sie haben
ihm Beifall geklatscht, selbst wo sie politisch ganz anders denken, lediglich weil er
so überaus warm das nationale Empfinden zur Schau zu tragen verstand. Also
mache man daraus keine Staatsaktion und beginne nicht schon heute damit, dem
Kaisersproß die künftige Stellung im Lande zu untergraben.



") Bei Eugen DiedenchS in Jena 1911.

und was ich damals konstatierte, muß ich heute wieder tun: die Rede hat besonders
in ihrem ersten Teil kalt gelassen und bei der Behandlung der Affäre Lindeauist
gar den Kanzler zum Anwalt seines Gegners gestempelt. Konkret gesprochen, muß
es als Fehler der Rede aufgefaßt werden, daß sie auf die beiden Schlagworte
der Altdeutschen „Siedlungsgebiet" und „schwarze Macht" nicht eingegangen ist.
Das schwarze Gespenst konnte ja Herr v. Kiderlen noch näher beleuchten, nachdem
Herr v. Liebert es aus seiner Gespensterkammer hervorgeholt hatte, aber die
Siedlungsutopie mußte unter dem Tisch bleiben, weil sich doch kein Abgeordneter
fand, der sich der Negierung zuliebe lächerlich machen wollte. Und doch hätte
gerade die Erwähnung des Wunsches nach Siedlungsland dem Herrn Reichs¬
kanzler Gelegenheit zu manchem Exkurs ins innerpolitische Gebiet gegeben und
einige theoretische Bemerkungen über Weg und Ziel der deutschen Kolonialpolitik
gestattet, wie sie z. B. in der kleinen, sehr lesenswerten Schrift von Hildebrand,
„Sozialistische Auslandspolitik""), enthalten sind. Die Rede hätte dann freilich
eineStunde länger gedauert, — das aber wäre keinFehler gewesen. Auch die Broschüre
von Claß „Marokko Deutsch" hätte eine Erwähnung verdient, und dem Redner
bei entsprechender Behandlung einen Heiterkeitserfolg eingetragen. — So aber hat
sich der Kanzler durch seinen Ernst und seine Gewissenhaftigkeit und nicht zuletzt
durch den sachlichen Respekt, mit dem er den Parteileuten im Reichstage begegnet ist,
das Regierungsgeschäft nur unnötig erschwert.


„Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
Muß auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, für wen ihr schreibt!"

Die Marokkodebatte hat eine besondere Bedeutung für die Parteipolitik er¬
halten durch die überaus scharfe Abfuhr, die der Reichskanzler dem Führer der
Konservativen erteilte, und durch das Verhalten des Kronprinzen in der Hof¬
loge des Reichstages. Es wird seitens der nationalistischen und demokratischen
Presse so hingestellt, als habe der künftige Träger der deutschen Kaiserkrone osten¬
tativ gegen das Verhalten der Regierung seines Vaters demonstriert und beide
wärmen an dem dadurch vielfach erregten Unwillen ihre dünnen Parteisuppen.
Ich möchte den Vorgang, so verletzend er für die Vertreter des Kaisers im
Reichstage sein konnte, nicht gar so tragisch nehmen. Es ist ein Zeichen
unserer Zeit, daß man in dem Benehmen des Kronprinzen nur eine negative
Seite sehen will; daß der Thronfolger, der nur sehr selten Gelegenheit hat,
politische Reden zu hören, sich an dem ästhetischen Genuß der Rede Heydebrands
begeistern und berauschen und hinreißen lassen konnte, das kommt niemand in den
Sinn. Und doch haben sich ältere und härter gesottene Besucher des Reichstags
dem Eindruck des konservativen Führers nicht entziehen können. Auch sie haben
ihm Beifall geklatscht, selbst wo sie politisch ganz anders denken, lediglich weil er
so überaus warm das nationale Empfinden zur Schau zu tragen verstand. Also
mache man daraus keine Staatsaktion und beginne nicht schon heute damit, dem
Kaisersproß die künftige Stellung im Lande zu untergraben.



") Bei Eugen DiedenchS in Jena 1911.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/360>, abgerufen am 03.07.2024.