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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

von der vornehmen Dame, die ihre Nerven
durch das blutige Schauspiel aufpeitscht, bis zu
dein Banditen, der sich mit Lebensgefahr in
die Großstadt wagt, "in über einen neuen
Torero ein Gutachten abgeben zu können,
sehen wir die spanische Nation mit gleicher
Leidenschaft an dein Stierkamps hängen. Nur
ein Typus fehlt in der von dem Dichter vor¬
geführten Schar: der Gegner des StiergefechtS,
und der Wohl aus dem Grunde, weil die Be¬
strebungen eines solchen nach wie vor in
Spanien nicht aufkommen zu können scheinen.
Auch der Dichter ist weit entfernt, sich auf
dessen Standpunkt zu stellen; er verzichtet auf
jede abfällige Kritik und erteilt sogar Freunden
des Stierkampfs zu langen Apologien das
Wort. (Wie wahr ist dabei die Bemerkung,
daß, wenn etwa in England der Stierkamps
Nationalsport wäre, eine Reihe von Ländern
ihn nachäffen würden!) Man gewinnt den
Eindruck, daß ein Abstollungsversuch bei der
tiefen Eingewurzeltheit dieser Vorliebe ganz
fruchtlos wäre. Durch die in Jbcmez' Roman
aufgehäuften Schilderungen der oft grausigen,
immer aufregenden Stiergefechte wird sich der
in diesen Sport vernarrte Spanier ebenso¬
wenig von der Überzeugung abbringen lassen,
daß die Besichtigung einer "Corrida" eben doch
das interessanteste und kavaliersmäßigste Ver¬
gnügen ist, das man sich denken kann, wie der
auswärtige Leser zögern wird, dem Dichter
darin beizustimmen, daß die blut- und schau¬
gierige Menge die eigentliche "brüllende Bestie"
beim Stierkampf ist. -- Von dem Torero¬
handwerk wird in diesem Roman der Nimbus
der Ritterlichkeit gründlichst hinweggefegt: der
"Espada" erscheint als roher Athlet, als Gla¬
diator und in vieler Hinsicht täppischer Poseur.
Wie handwerksmäßig, konkurrenzneidisch, gunst-
buhlcrisch verfahren diese Helden der Arena!
Einen von ihnen in seiner ganzen, oft be¬
dauernswerten Menschlichkeit darzustellen, ist
die künstlerische Aufgabe des Romans, die der
Dichter mit feinem Eindringen in die seelischen
Wallungen und Wandlungen dieser äußerlich
so glänzend gestellten Gladiatoren löst. -- Der
Held der Erzählung ist einer jener in Spanien
nicht seltenen niedriggeborenen Gesellen, die
durch ihre Verwegenheit im Stierkampf von
früher Jugend an aufsehenerregende Erfolge
erringen und sich zu ersten Matadoren auf¬


[Spaltenumbruch]

chwingen. Die ergötzliche Schilderung der
Kindheitsstreiche des armen Teufels ist eine
Modernisierung der altberühmten spanischen
Picaro-(Schelmen-) Novellen; später gelangt
Juan Gallardo zu kolossalen Vermögen, von
dem er nicht den richtigen Gebrauch zu machen
weiß, wenn er auch von den gewöhnlichsten
Parvenuunarten freibleibt. Psychologisch an:
indringendsten weiß Jbcmez zu schildern, wo
s sich um die Darlegung der Furchtgefühle
dieses professionell furchtlosen Menschen han¬
delt: ein Gefühl des Unbehagens beschleicht
hn, so oft er zur Arena fährt und macht ihm
ein Handwerk gelegentlich peinvoll. An dieser
einer Angst geht er schließlich zugrunde: Er
hatbei einem Gefecht eine langsam vernarbende,
chwere Wunde empfangen; indes heilt diese
gut aus und alles kehrt ihm wieder, Kraft,
Gewandtheit, Schnelligkeit -- alles bis auf die
Hauptsache, den Mut. Er beginnt nun ernst¬
ich, die Tiere zu fürchten, denen er gegenüber¬
estellt wird, er greift zu feigen, früher ver¬
achteten Kniffen, um sich ihrer zu entledigen,
r läßt sich von der Menge auspfeifen und
ritt doch immer wieder von neuem auf. Das
Bewußtsein seiner Mutlosigkeit und seines ge¬
unkenen Ansehens veranlaßt ihn schließlich zu
inem tollkühnen Manöver, das ihm den Tod
bringt: Tapferkeit läßt sich eben nicht er¬
wingen und geheuchelter Mut bringt nicht zu¬
wege, was dem wahren ein Kinderspiel ist. --
Das ist der psychologische Grundgedanke der
Jbanezschen Dichtung, die als Sitten- wie
als Seelengemälde gleiche Beachtung verdient
und dein Leser manche neue Seite des spa¬
nischen Volkslebens wie ganz im allgemeinen
der menschlichen Natur nahebringen wird.

Dr. Schneider-
Annie Bopser: "Die wir von der Erde
ind." Berlin. Vita, Deutsches Verlagshaus.
Preis 4 M.

In diesem Erstlingswerk, das im großen
Wurf und in der Poetischen Grundstimmung
in starkes Talent verrät, liegt viel von dem
igenen Erleben der Verfasserin, und damit
hängt, wie mir scheint, el,: kleiner Schönheits¬
ehler zusammen: Die Heldin Damajanti,
gewiß aus Teilmodellen entstanden, zeigt
inmal unverschweißte Nähte ihrer Entstehung.
Sind es Schlacken aus dein eigenen Wesen

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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von der vornehmen Dame, die ihre Nerven
durch das blutige Schauspiel aufpeitscht, bis zu
dein Banditen, der sich mit Lebensgefahr in
die Großstadt wagt, »in über einen neuen
Torero ein Gutachten abgeben zu können,
sehen wir die spanische Nation mit gleicher
Leidenschaft an dein Stierkamps hängen. Nur
ein Typus fehlt in der von dem Dichter vor¬
geführten Schar: der Gegner des StiergefechtS,
und der Wohl aus dem Grunde, weil die Be¬
strebungen eines solchen nach wie vor in
Spanien nicht aufkommen zu können scheinen.
Auch der Dichter ist weit entfernt, sich auf
dessen Standpunkt zu stellen; er verzichtet auf
jede abfällige Kritik und erteilt sogar Freunden
des Stierkampfs zu langen Apologien das
Wort. (Wie wahr ist dabei die Bemerkung,
daß, wenn etwa in England der Stierkamps
Nationalsport wäre, eine Reihe von Ländern
ihn nachäffen würden!) Man gewinnt den
Eindruck, daß ein Abstollungsversuch bei der
tiefen Eingewurzeltheit dieser Vorliebe ganz
fruchtlos wäre. Durch die in Jbcmez' Roman
aufgehäuften Schilderungen der oft grausigen,
immer aufregenden Stiergefechte wird sich der
in diesen Sport vernarrte Spanier ebenso¬
wenig von der Überzeugung abbringen lassen,
daß die Besichtigung einer „Corrida" eben doch
das interessanteste und kavaliersmäßigste Ver¬
gnügen ist, das man sich denken kann, wie der
auswärtige Leser zögern wird, dem Dichter
darin beizustimmen, daß die blut- und schau¬
gierige Menge die eigentliche „brüllende Bestie"
beim Stierkampf ist. — Von dem Torero¬
handwerk wird in diesem Roman der Nimbus
der Ritterlichkeit gründlichst hinweggefegt: der
„Espada" erscheint als roher Athlet, als Gla¬
diator und in vieler Hinsicht täppischer Poseur.
Wie handwerksmäßig, konkurrenzneidisch, gunst-
buhlcrisch verfahren diese Helden der Arena!
Einen von ihnen in seiner ganzen, oft be¬
dauernswerten Menschlichkeit darzustellen, ist
die künstlerische Aufgabe des Romans, die der
Dichter mit feinem Eindringen in die seelischen
Wallungen und Wandlungen dieser äußerlich
so glänzend gestellten Gladiatoren löst. — Der
Held der Erzählung ist einer jener in Spanien
nicht seltenen niedriggeborenen Gesellen, die
durch ihre Verwegenheit im Stierkampf von
früher Jugend an aufsehenerregende Erfolge
erringen und sich zu ersten Matadoren auf¬


[Spaltenumbruch]

chwingen. Die ergötzliche Schilderung der
Kindheitsstreiche des armen Teufels ist eine
Modernisierung der altberühmten spanischen
Picaro-(Schelmen-) Novellen; später gelangt
Juan Gallardo zu kolossalen Vermögen, von
dem er nicht den richtigen Gebrauch zu machen
weiß, wenn er auch von den gewöhnlichsten
Parvenuunarten freibleibt. Psychologisch an:
indringendsten weiß Jbcmez zu schildern, wo
s sich um die Darlegung der Furchtgefühle
dieses professionell furchtlosen Menschen han¬
delt: ein Gefühl des Unbehagens beschleicht
hn, so oft er zur Arena fährt und macht ihm
ein Handwerk gelegentlich peinvoll. An dieser
einer Angst geht er schließlich zugrunde: Er
hatbei einem Gefecht eine langsam vernarbende,
chwere Wunde empfangen; indes heilt diese
gut aus und alles kehrt ihm wieder, Kraft,
Gewandtheit, Schnelligkeit — alles bis auf die
Hauptsache, den Mut. Er beginnt nun ernst¬
ich, die Tiere zu fürchten, denen er gegenüber¬
estellt wird, er greift zu feigen, früher ver¬
achteten Kniffen, um sich ihrer zu entledigen,
r läßt sich von der Menge auspfeifen und
ritt doch immer wieder von neuem auf. Das
Bewußtsein seiner Mutlosigkeit und seines ge¬
unkenen Ansehens veranlaßt ihn schließlich zu
inem tollkühnen Manöver, das ihm den Tod
bringt: Tapferkeit läßt sich eben nicht er¬
wingen und geheuchelter Mut bringt nicht zu¬
wege, was dem wahren ein Kinderspiel ist. —
Das ist der psychologische Grundgedanke der
Jbanezschen Dichtung, die als Sitten- wie
als Seelengemälde gleiche Beachtung verdient
und dein Leser manche neue Seite des spa¬
nischen Volkslebens wie ganz im allgemeinen
der menschlichen Natur nahebringen wird.

Dr. Schneider-
Annie Bopser: „Die wir von der Erde
ind." Berlin. Vita, Deutsches Verlagshaus.
Preis 4 M.

In diesem Erstlingswerk, das im großen
Wurf und in der Poetischen Grundstimmung
in starkes Talent verrät, liegt viel von dem
igenen Erleben der Verfasserin, und damit
hängt, wie mir scheint, el,: kleiner Schönheits¬
ehler zusammen: Die Heldin Damajanti,
gewiß aus Teilmodellen entstanden, zeigt
inmal unverschweißte Nähte ihrer Entstehung.
Sind es Schlacken aus dein eigenen Wesen

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[0355] Maßgebliches und Unmaßgebliches von der vornehmen Dame, die ihre Nerven durch das blutige Schauspiel aufpeitscht, bis zu dein Banditen, der sich mit Lebensgefahr in die Großstadt wagt, »in über einen neuen Torero ein Gutachten abgeben zu können, sehen wir die spanische Nation mit gleicher Leidenschaft an dein Stierkamps hängen. Nur ein Typus fehlt in der von dem Dichter vor¬ geführten Schar: der Gegner des StiergefechtS, und der Wohl aus dem Grunde, weil die Be¬ strebungen eines solchen nach wie vor in Spanien nicht aufkommen zu können scheinen. Auch der Dichter ist weit entfernt, sich auf dessen Standpunkt zu stellen; er verzichtet auf jede abfällige Kritik und erteilt sogar Freunden des Stierkampfs zu langen Apologien das Wort. (Wie wahr ist dabei die Bemerkung, daß, wenn etwa in England der Stierkamps Nationalsport wäre, eine Reihe von Ländern ihn nachäffen würden!) Man gewinnt den Eindruck, daß ein Abstollungsversuch bei der tiefen Eingewurzeltheit dieser Vorliebe ganz fruchtlos wäre. Durch die in Jbcmez' Roman aufgehäuften Schilderungen der oft grausigen, immer aufregenden Stiergefechte wird sich der in diesen Sport vernarrte Spanier ebenso¬ wenig von der Überzeugung abbringen lassen, daß die Besichtigung einer „Corrida" eben doch das interessanteste und kavaliersmäßigste Ver¬ gnügen ist, das man sich denken kann, wie der auswärtige Leser zögern wird, dem Dichter darin beizustimmen, daß die blut- und schau¬ gierige Menge die eigentliche „brüllende Bestie" beim Stierkampf ist. — Von dem Torero¬ handwerk wird in diesem Roman der Nimbus der Ritterlichkeit gründlichst hinweggefegt: der „Espada" erscheint als roher Athlet, als Gla¬ diator und in vieler Hinsicht täppischer Poseur. Wie handwerksmäßig, konkurrenzneidisch, gunst- buhlcrisch verfahren diese Helden der Arena! Einen von ihnen in seiner ganzen, oft be¬ dauernswerten Menschlichkeit darzustellen, ist die künstlerische Aufgabe des Romans, die der Dichter mit feinem Eindringen in die seelischen Wallungen und Wandlungen dieser äußerlich so glänzend gestellten Gladiatoren löst. — Der Held der Erzählung ist einer jener in Spanien nicht seltenen niedriggeborenen Gesellen, die durch ihre Verwegenheit im Stierkampf von früher Jugend an aufsehenerregende Erfolge erringen und sich zu ersten Matadoren auf¬ chwingen. Die ergötzliche Schilderung der Kindheitsstreiche des armen Teufels ist eine Modernisierung der altberühmten spanischen Picaro-(Schelmen-) Novellen; später gelangt Juan Gallardo zu kolossalen Vermögen, von dem er nicht den richtigen Gebrauch zu machen weiß, wenn er auch von den gewöhnlichsten Parvenuunarten freibleibt. Psychologisch an: indringendsten weiß Jbcmez zu schildern, wo s sich um die Darlegung der Furchtgefühle dieses professionell furchtlosen Menschen han¬ delt: ein Gefühl des Unbehagens beschleicht hn, so oft er zur Arena fährt und macht ihm ein Handwerk gelegentlich peinvoll. An dieser einer Angst geht er schließlich zugrunde: Er hatbei einem Gefecht eine langsam vernarbende, chwere Wunde empfangen; indes heilt diese gut aus und alles kehrt ihm wieder, Kraft, Gewandtheit, Schnelligkeit — alles bis auf die Hauptsache, den Mut. Er beginnt nun ernst¬ ich, die Tiere zu fürchten, denen er gegenüber¬ estellt wird, er greift zu feigen, früher ver¬ achteten Kniffen, um sich ihrer zu entledigen, r läßt sich von der Menge auspfeifen und ritt doch immer wieder von neuem auf. Das Bewußtsein seiner Mutlosigkeit und seines ge¬ unkenen Ansehens veranlaßt ihn schließlich zu inem tollkühnen Manöver, das ihm den Tod bringt: Tapferkeit läßt sich eben nicht er¬ wingen und geheuchelter Mut bringt nicht zu¬ wege, was dem wahren ein Kinderspiel ist. — Das ist der psychologische Grundgedanke der Jbanezschen Dichtung, die als Sitten- wie als Seelengemälde gleiche Beachtung verdient und dein Leser manche neue Seite des spa¬ nischen Volkslebens wie ganz im allgemeinen der menschlichen Natur nahebringen wird. Dr. Schneider- Annie Bopser: „Die wir von der Erde ind." Berlin. Vita, Deutsches Verlagshaus. Preis 4 M. In diesem Erstlingswerk, das im großen Wurf und in der Poetischen Grundstimmung in starkes Talent verrät, liegt viel von dem igenen Erleben der Verfasserin, und damit hängt, wie mir scheint, el,: kleiner Schönheits¬ ehler zusammen: Die Heldin Damajanti, gewiß aus Teilmodellen entstanden, zeigt inmal unverschweißte Nähte ihrer Entstehung. Sind es Schlacken aus dein eigenen Wesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/355>, abgerufen am 23.07.2024.