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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus Lhina

zwischen beiden Nationen in Betracht kommen, dürften diese wohl in vielen
Beziehungen den Chinesen zum Vorteil gereichen. Der chinesische Bankier steht
noch immer im Rufe musterhafter Ehrlichkeit. Der Fleiß, die Ausdauer und die
Nüchternheit der Chinesen sind sprichwörtlich, und mit Recht. Die hierzulande
bekanntlich nicht ganz leichte Kunst des Lesens und Schreibens ist ungleich weiter
verbreitet als in Rußland. Als ich auf unserem Ausfluge nach dem Po-doa-shan
in einem Tempel eine Inschrift kopierte, stand einer der Kukis, die Lillys Stuhl
trugen, dabei und als ich ein stark verwittertes Zeichen (das beiläufig bemerkt,
durchaus kein ganz gewöhnliches war) nicht auf den ersten Blick zu entziffern
vermochte, kam er mir darin zuvor, indem er das Zeichen mit dem Finger auf
den Stein schrieb. Überhaupt fiel mir bei diesen einfachen Tagelöhnern und
unserem übrigen Dienstpersonal auf, wie sehr sie sich für historische Denkmäler,
besonders Inschriften interessierten. Im Tempel Pi-pur-se bewunderte ich eine
herrliche CIoisonn6vase; der Ma-fu (Orovm) von Herrn v. P. musterte sie
ebenfalls mit Kennerblick, und als ich dann die Vermutung aussprach, daß sie aus
der Zeit der K'im-lung stammte, meinte er, sie werde doch wohl noch älter sein
und vermutlich aus der Zeit der Ming-Dynastie herrühren. Der Mann wußte
auch ganz genau, daß der Tempel während der Ming-Dynastie erbaut und
später unter K'im-lung restauriert worden war.

Noch eine charakteristische Episode muß ich Dir erzählen. Als wir nämlich
von Ch'a-tao nach Nan-k'on zurückritten, ging mein Maultier mit mir durch,
so daß ich schon zwanzig Minuten vor den übrigen am Ziele angelangt war. Ich
hatte mich eben im Hofe der Karawanserei auf eine Bank gesetzt, als ein
Chinese mit einen: Buch in der Hand auf mich zutrat und mich bat, ihn: über
einige Fragen Aufschluß zu geben. Das Buch erwies sich als eine englische
Grammatik in chinesischer Sprache, und die erbetene Auskunft betraf den Laut¬
wert der englischen Buchstaben. Natürlich tat ich ihm mit Freuden den Gefallen.
Am nächsten Morgen überbringt mir einer der Diener ein Schreiben des Gast¬
wirts, adressiert an S. Exzellenz Herrn Ko (so lautet mein Name chinesisch),
in welchem er mir in höflicher Weise mitteilt, keine Bezahlung von mir an¬
nehmen zu wolle". Aufs höchste erstaunt, frage ich, was das zu bedeuten habe,
und höre nun, daß mein wissensdurstiger Interpellant eben der Wirt selber
gewesen war! Die Chinesen werden bei jeder Gelegenheit von den Europäern
schlecht gemacht und als Gauner verschrieen. Daher dürfen hübsche Züge wie
dieser nicht verschwiegen werden.

Das letzte Ziel unseres Ausfluges, der Tempel Pi-pur-sse, ist wohl nächst
der großen Mauer die Krone von allem, was wir bisher in China gesehen haben.
Durch ein Marmortor mit herrlichen Reliefs blickt man auf den in indischen:
Stile gehaltenen Marmortempel, der, von immergrünen Bäumen umgeben, am
Abhang eines Berges liegt. Zahlreiche andere Tempelbauten, die dazu gehören,
sind zwar aus weniger kostbarem Material gebaut, enthalten dafür jedoch um
so wertvollere Kunstschätze an Cloisonne, Bronze und wundervollen Schnitzereien.


Briefe aus Lhina

zwischen beiden Nationen in Betracht kommen, dürften diese wohl in vielen
Beziehungen den Chinesen zum Vorteil gereichen. Der chinesische Bankier steht
noch immer im Rufe musterhafter Ehrlichkeit. Der Fleiß, die Ausdauer und die
Nüchternheit der Chinesen sind sprichwörtlich, und mit Recht. Die hierzulande
bekanntlich nicht ganz leichte Kunst des Lesens und Schreibens ist ungleich weiter
verbreitet als in Rußland. Als ich auf unserem Ausfluge nach dem Po-doa-shan
in einem Tempel eine Inschrift kopierte, stand einer der Kukis, die Lillys Stuhl
trugen, dabei und als ich ein stark verwittertes Zeichen (das beiläufig bemerkt,
durchaus kein ganz gewöhnliches war) nicht auf den ersten Blick zu entziffern
vermochte, kam er mir darin zuvor, indem er das Zeichen mit dem Finger auf
den Stein schrieb. Überhaupt fiel mir bei diesen einfachen Tagelöhnern und
unserem übrigen Dienstpersonal auf, wie sehr sie sich für historische Denkmäler,
besonders Inschriften interessierten. Im Tempel Pi-pur-se bewunderte ich eine
herrliche CIoisonn6vase; der Ma-fu (Orovm) von Herrn v. P. musterte sie
ebenfalls mit Kennerblick, und als ich dann die Vermutung aussprach, daß sie aus
der Zeit der K'im-lung stammte, meinte er, sie werde doch wohl noch älter sein
und vermutlich aus der Zeit der Ming-Dynastie herrühren. Der Mann wußte
auch ganz genau, daß der Tempel während der Ming-Dynastie erbaut und
später unter K'im-lung restauriert worden war.

Noch eine charakteristische Episode muß ich Dir erzählen. Als wir nämlich
von Ch'a-tao nach Nan-k'on zurückritten, ging mein Maultier mit mir durch,
so daß ich schon zwanzig Minuten vor den übrigen am Ziele angelangt war. Ich
hatte mich eben im Hofe der Karawanserei auf eine Bank gesetzt, als ein
Chinese mit einen: Buch in der Hand auf mich zutrat und mich bat, ihn: über
einige Fragen Aufschluß zu geben. Das Buch erwies sich als eine englische
Grammatik in chinesischer Sprache, und die erbetene Auskunft betraf den Laut¬
wert der englischen Buchstaben. Natürlich tat ich ihm mit Freuden den Gefallen.
Am nächsten Morgen überbringt mir einer der Diener ein Schreiben des Gast¬
wirts, adressiert an S. Exzellenz Herrn Ko (so lautet mein Name chinesisch),
in welchem er mir in höflicher Weise mitteilt, keine Bezahlung von mir an¬
nehmen zu wolle«. Aufs höchste erstaunt, frage ich, was das zu bedeuten habe,
und höre nun, daß mein wissensdurstiger Interpellant eben der Wirt selber
gewesen war! Die Chinesen werden bei jeder Gelegenheit von den Europäern
schlecht gemacht und als Gauner verschrieen. Daher dürfen hübsche Züge wie
dieser nicht verschwiegen werden.

Das letzte Ziel unseres Ausfluges, der Tempel Pi-pur-sse, ist wohl nächst
der großen Mauer die Krone von allem, was wir bisher in China gesehen haben.
Durch ein Marmortor mit herrlichen Reliefs blickt man auf den in indischen:
Stile gehaltenen Marmortempel, der, von immergrünen Bäumen umgeben, am
Abhang eines Berges liegt. Zahlreiche andere Tempelbauten, die dazu gehören,
sind zwar aus weniger kostbarem Material gebaut, enthalten dafür jedoch um
so wertvollere Kunstschätze an Cloisonne, Bronze und wundervollen Schnitzereien.


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[0340] Briefe aus Lhina zwischen beiden Nationen in Betracht kommen, dürften diese wohl in vielen Beziehungen den Chinesen zum Vorteil gereichen. Der chinesische Bankier steht noch immer im Rufe musterhafter Ehrlichkeit. Der Fleiß, die Ausdauer und die Nüchternheit der Chinesen sind sprichwörtlich, und mit Recht. Die hierzulande bekanntlich nicht ganz leichte Kunst des Lesens und Schreibens ist ungleich weiter verbreitet als in Rußland. Als ich auf unserem Ausfluge nach dem Po-doa-shan in einem Tempel eine Inschrift kopierte, stand einer der Kukis, die Lillys Stuhl trugen, dabei und als ich ein stark verwittertes Zeichen (das beiläufig bemerkt, durchaus kein ganz gewöhnliches war) nicht auf den ersten Blick zu entziffern vermochte, kam er mir darin zuvor, indem er das Zeichen mit dem Finger auf den Stein schrieb. Überhaupt fiel mir bei diesen einfachen Tagelöhnern und unserem übrigen Dienstpersonal auf, wie sehr sie sich für historische Denkmäler, besonders Inschriften interessierten. Im Tempel Pi-pur-se bewunderte ich eine herrliche CIoisonn6vase; der Ma-fu (Orovm) von Herrn v. P. musterte sie ebenfalls mit Kennerblick, und als ich dann die Vermutung aussprach, daß sie aus der Zeit der K'im-lung stammte, meinte er, sie werde doch wohl noch älter sein und vermutlich aus der Zeit der Ming-Dynastie herrühren. Der Mann wußte auch ganz genau, daß der Tempel während der Ming-Dynastie erbaut und später unter K'im-lung restauriert worden war. Noch eine charakteristische Episode muß ich Dir erzählen. Als wir nämlich von Ch'a-tao nach Nan-k'on zurückritten, ging mein Maultier mit mir durch, so daß ich schon zwanzig Minuten vor den übrigen am Ziele angelangt war. Ich hatte mich eben im Hofe der Karawanserei auf eine Bank gesetzt, als ein Chinese mit einen: Buch in der Hand auf mich zutrat und mich bat, ihn: über einige Fragen Aufschluß zu geben. Das Buch erwies sich als eine englische Grammatik in chinesischer Sprache, und die erbetene Auskunft betraf den Laut¬ wert der englischen Buchstaben. Natürlich tat ich ihm mit Freuden den Gefallen. Am nächsten Morgen überbringt mir einer der Diener ein Schreiben des Gast¬ wirts, adressiert an S. Exzellenz Herrn Ko (so lautet mein Name chinesisch), in welchem er mir in höflicher Weise mitteilt, keine Bezahlung von mir an¬ nehmen zu wolle«. Aufs höchste erstaunt, frage ich, was das zu bedeuten habe, und höre nun, daß mein wissensdurstiger Interpellant eben der Wirt selber gewesen war! Die Chinesen werden bei jeder Gelegenheit von den Europäern schlecht gemacht und als Gauner verschrieen. Daher dürfen hübsche Züge wie dieser nicht verschwiegen werden. Das letzte Ziel unseres Ausfluges, der Tempel Pi-pur-sse, ist wohl nächst der großen Mauer die Krone von allem, was wir bisher in China gesehen haben. Durch ein Marmortor mit herrlichen Reliefs blickt man auf den in indischen: Stile gehaltenen Marmortempel, der, von immergrünen Bäumen umgeben, am Abhang eines Berges liegt. Zahlreiche andere Tempelbauten, die dazu gehören, sind zwar aus weniger kostbarem Material gebaut, enthalten dafür jedoch um so wertvollere Kunstschätze an Cloisonne, Bronze und wundervollen Schnitzereien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/340>, abgerufen am 23.07.2024.