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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottland

leicht über das Maß hinausging, das ein Neffe seiner Tante darzubringen berechtigt
ist. Und sie selbst fühlte sich nicht fähig, solche kleinen Übergriffe in die Rechte
ihres Eheherrn mit dem nötigen Nachdruck zurückzuweisen. Hatte sie sich doch zu
ihrem Schrecken schon einmal über dem Gedanken ertappt, daß es ihr leichter
sein würde, Herrn Salentin eine gehorsame Nichte als eine gehorsame Gattin
zu sein.

Herr v. Pallandt war dreist genug, ihr zu verstehen zu geben, daß er ihre
Weigerung, mit ihm den Garten aufzusuchen, nicht gerade als eine Schmeichelei
auffasse, und meinte, wenn es ihr lieber sei, so könne er ja auch dem Oheim ent¬
gegengehen. Sie antwortete nicht darauf, sondern wandte sich seinem Gaule zu,
der mit dem langen Schweif unermüdlich nach den Fliegen schlug.

"Ihr habt ein schönes Rotz," sagte sie, indem sie den Hals des Tieres klopfte,
"es muß eine Lust sein, darauf zu reiten."

"Haben Sie Lust, es einmal zu versuchen, maclame ma laute?" fragte er.

Sie sah ihn überrascht an.'

"Hab' noch nie im Sattel gesessen," bekannte sie.

"Alsdann ist es an der Zeit, datz Sie es lernen. Sie wären die erste
v. Friemersheim, die nicht reiten könnte."

Ihre Augen leuchteten vor Verlangen, das stolze Tier zu besteigen.

"Wie sollt' ich hinaufkommen?" erwiderte sie zögernd. "Das Roß ist
ja so hoch."

"Wenn Sie weiter kein scrupule haben, euere laute!" sagte er lachend.
"Soll ich Sie hinaufsehen?"

Sie sah ihn unschlüssig an und warf dann einen Blick nach der Tür der
Waschküche. Da fühlte sie sich plötzlich von starken Armen emporgehoben und saß,
ehe sie es noch recht begriff, auf dem breiten Rücken des Gaules.

Der Neffe legte ihr Gewand zurecht, schnallte den linken Bügel hoch und
schob ihren Fuß hinein. Dann band er das Pferd los und gab ihr die Zügel
in die Hand.

Sie hätte vor Wonne aufjauchzen mögen, aber die Furcht vor den Schwäge¬
rinnen verschloß ihr den Mund. Mathias faßte das Roß beim Kopf und führte
es langsam um den Brunnen. Merge konnte das Lachen nicht unterdrücken; die
schaukelnde Bewegung kam ihr zu sonderbar vor.

"Sie haben eine gute tenue," bemerkte er anerkennend, "Sie sitzen nicht
anders im Sattel wie eine prineesLe 6u sang."

"Laßt doch einmal los," bat sie, durch sein Lob ermutigt, "ich muß doch
auch allein reiten können."

Er tat es und überließ das Pferd der Reiterin. Es ging vorwärts, näherte
sich aber, da sie mit dem Zügel nicht recht umzugehen verstand, immer mehr der
Waschküche. Sie versuchte es zurückzuhalten, das Tier jedoch, das eine stärkere
Hand gewöhnt war, sprang zur Seite, strauchelte ein wenig und schlug mit den
Eisen seiner mächtigen Hufe helle Funken aus dem Pflaster.

"Non älen, quelle ötouräerie!" ließ sich in diesem Augenblick die Stimme
der Gnbernatorin vernehmen, "hat man so etwas schon erlebt! Merge, würdest
du nicht die cvmMisanee haben und einmal herkommen?"


Das Glück des Hauses Rottland

leicht über das Maß hinausging, das ein Neffe seiner Tante darzubringen berechtigt
ist. Und sie selbst fühlte sich nicht fähig, solche kleinen Übergriffe in die Rechte
ihres Eheherrn mit dem nötigen Nachdruck zurückzuweisen. Hatte sie sich doch zu
ihrem Schrecken schon einmal über dem Gedanken ertappt, daß es ihr leichter
sein würde, Herrn Salentin eine gehorsame Nichte als eine gehorsame Gattin
zu sein.

Herr v. Pallandt war dreist genug, ihr zu verstehen zu geben, daß er ihre
Weigerung, mit ihm den Garten aufzusuchen, nicht gerade als eine Schmeichelei
auffasse, und meinte, wenn es ihr lieber sei, so könne er ja auch dem Oheim ent¬
gegengehen. Sie antwortete nicht darauf, sondern wandte sich seinem Gaule zu,
der mit dem langen Schweif unermüdlich nach den Fliegen schlug.

„Ihr habt ein schönes Rotz," sagte sie, indem sie den Hals des Tieres klopfte,
„es muß eine Lust sein, darauf zu reiten."

„Haben Sie Lust, es einmal zu versuchen, maclame ma laute?" fragte er.

Sie sah ihn überrascht an.'

„Hab' noch nie im Sattel gesessen," bekannte sie.

„Alsdann ist es an der Zeit, datz Sie es lernen. Sie wären die erste
v. Friemersheim, die nicht reiten könnte."

Ihre Augen leuchteten vor Verlangen, das stolze Tier zu besteigen.

„Wie sollt' ich hinaufkommen?" erwiderte sie zögernd. „Das Roß ist
ja so hoch."

„Wenn Sie weiter kein scrupule haben, euere laute!" sagte er lachend.
„Soll ich Sie hinaufsehen?"

Sie sah ihn unschlüssig an und warf dann einen Blick nach der Tür der
Waschküche. Da fühlte sie sich plötzlich von starken Armen emporgehoben und saß,
ehe sie es noch recht begriff, auf dem breiten Rücken des Gaules.

Der Neffe legte ihr Gewand zurecht, schnallte den linken Bügel hoch und
schob ihren Fuß hinein. Dann band er das Pferd los und gab ihr die Zügel
in die Hand.

Sie hätte vor Wonne aufjauchzen mögen, aber die Furcht vor den Schwäge¬
rinnen verschloß ihr den Mund. Mathias faßte das Roß beim Kopf und führte
es langsam um den Brunnen. Merge konnte das Lachen nicht unterdrücken; die
schaukelnde Bewegung kam ihr zu sonderbar vor.

„Sie haben eine gute tenue," bemerkte er anerkennend, „Sie sitzen nicht
anders im Sattel wie eine prineesLe 6u sang."

„Laßt doch einmal los," bat sie, durch sein Lob ermutigt, „ich muß doch
auch allein reiten können."

Er tat es und überließ das Pferd der Reiterin. Es ging vorwärts, näherte
sich aber, da sie mit dem Zügel nicht recht umzugehen verstand, immer mehr der
Waschküche. Sie versuchte es zurückzuhalten, das Tier jedoch, das eine stärkere
Hand gewöhnt war, sprang zur Seite, strauchelte ein wenig und schlug mit den
Eisen seiner mächtigen Hufe helle Funken aus dem Pflaster.

„Non älen, quelle ötouräerie!" ließ sich in diesem Augenblick die Stimme
der Gnbernatorin vernehmen, „hat man so etwas schon erlebt! Merge, würdest
du nicht die cvmMisanee haben und einmal herkommen?"


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[0292] Das Glück des Hauses Rottland leicht über das Maß hinausging, das ein Neffe seiner Tante darzubringen berechtigt ist. Und sie selbst fühlte sich nicht fähig, solche kleinen Übergriffe in die Rechte ihres Eheherrn mit dem nötigen Nachdruck zurückzuweisen. Hatte sie sich doch zu ihrem Schrecken schon einmal über dem Gedanken ertappt, daß es ihr leichter sein würde, Herrn Salentin eine gehorsame Nichte als eine gehorsame Gattin zu sein. Herr v. Pallandt war dreist genug, ihr zu verstehen zu geben, daß er ihre Weigerung, mit ihm den Garten aufzusuchen, nicht gerade als eine Schmeichelei auffasse, und meinte, wenn es ihr lieber sei, so könne er ja auch dem Oheim ent¬ gegengehen. Sie antwortete nicht darauf, sondern wandte sich seinem Gaule zu, der mit dem langen Schweif unermüdlich nach den Fliegen schlug. „Ihr habt ein schönes Rotz," sagte sie, indem sie den Hals des Tieres klopfte, „es muß eine Lust sein, darauf zu reiten." „Haben Sie Lust, es einmal zu versuchen, maclame ma laute?" fragte er. Sie sah ihn überrascht an.' „Hab' noch nie im Sattel gesessen," bekannte sie. „Alsdann ist es an der Zeit, datz Sie es lernen. Sie wären die erste v. Friemersheim, die nicht reiten könnte." Ihre Augen leuchteten vor Verlangen, das stolze Tier zu besteigen. „Wie sollt' ich hinaufkommen?" erwiderte sie zögernd. „Das Roß ist ja so hoch." „Wenn Sie weiter kein scrupule haben, euere laute!" sagte er lachend. „Soll ich Sie hinaufsehen?" Sie sah ihn unschlüssig an und warf dann einen Blick nach der Tür der Waschküche. Da fühlte sie sich plötzlich von starken Armen emporgehoben und saß, ehe sie es noch recht begriff, auf dem breiten Rücken des Gaules. Der Neffe legte ihr Gewand zurecht, schnallte den linken Bügel hoch und schob ihren Fuß hinein. Dann band er das Pferd los und gab ihr die Zügel in die Hand. Sie hätte vor Wonne aufjauchzen mögen, aber die Furcht vor den Schwäge¬ rinnen verschloß ihr den Mund. Mathias faßte das Roß beim Kopf und führte es langsam um den Brunnen. Merge konnte das Lachen nicht unterdrücken; die schaukelnde Bewegung kam ihr zu sonderbar vor. „Sie haben eine gute tenue," bemerkte er anerkennend, „Sie sitzen nicht anders im Sattel wie eine prineesLe 6u sang." „Laßt doch einmal los," bat sie, durch sein Lob ermutigt, „ich muß doch auch allein reiten können." Er tat es und überließ das Pferd der Reiterin. Es ging vorwärts, näherte sich aber, da sie mit dem Zügel nicht recht umzugehen verstand, immer mehr der Waschküche. Sie versuchte es zurückzuhalten, das Tier jedoch, das eine stärkere Hand gewöhnt war, sprang zur Seite, strauchelte ein wenig und schlug mit den Eisen seiner mächtigen Hufe helle Funken aus dem Pflaster. „Non älen, quelle ötouräerie!" ließ sich in diesem Augenblick die Stimme der Gnbernatorin vernehmen, „hat man so etwas schon erlebt! Merge, würdest du nicht die cvmMisanee haben und einmal herkommen?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/292>, abgerufen am 23.07.2024.