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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Reichsbcmk und Geldumlauf

sie haben im Durchschnitt der beiden letzten Jahre sich von 251 auf 278 Millionen
erhöht. An sich ist diese Erscheinung, die mit der vermehrten Ausprägung von
Scheidemünze zusammenhängt, nicht erfreulich. Denn wenn sich die Scheide¬
münze im Besitz der Bank anhäuft, so ist dies ein ziemlich sicheres Zeichen
dafür, daß die (auf 20 Mark für den Kopf der Bevölkerung festgesetzte) Aus¬
prägung der nnterwertigen Münzen das Bedürfnis des Verkehrs übersteigt und
daß der Verkehr diese Münzen abstößt. Um so näher liegt die Besorgnis, daß
dieses Übermaß von Scheidegeld eine inflationistische Wirkung ausübt, mithin
den Abfluß des vollwichtigen Geldes nach dem Ausland befördert. Eine
dauernde Vermehrung des Bestandes an Silbergeld ist also in Wahrheit eine
Schwächung der Neichsbank, wenn auch vielleicht das Prozentverhältnis der
Bardeckung infolge der Berücksichtigung der Silbermünzen sich rechnerisch
günstig stellt.

Nun hat man die Frage aufgeworfen: warum sich so sklavisch an die
Dritteldeckung binden? Tatsächlich ist die Reichsbank ja schon jetzt nicht ver¬
pflichtet, ihre Noten zu einem Drittel mit Währungsmetall zu decken, sondern
nur mit etwa 22 Prozent, da ein Drittel ihres Barvorrats aus Silber besteht!
Nur die Vorschrift der Dritteldeckung, so argumentiert man, ist daran schuld,
wenn eine plötzliche starke Vermehrung der Notenausgabe Ängstlichkeit und
Nervosität erzeugt. Man könnte dein Übel mit Leichtigkeit dadurch steuern,
daß man den Deckungszwang ganz oder wenigstens an den Quartals¬
terminen beseitigte, wie man an letzteren ja bereits eine Erhöhung des steuer¬
freien Kontingents eingeführt hat. Eine ungünstige Rückwirkung auf die Voll¬
wertigkeit der Reichsbanknoten sei von einer solchen Änderung nicht zu besorgen,
da der Bedarf an Zahlungsmitteln an den Quartalsterminen kein Kapitalbedarf,
sondern ein Bedarf nach Rechnungsmünzen sei, der nach wenigen Tagen seine
Ausgleichung finde"). Darauf ist zu erwidern: Die Festsetzung der Drittelgrenze
ist an sich freilich bis zu einem gewissen Grade willkürlich. Daß die Bar¬
deckung sich gerade auf ein Drittel belaufen müsse, um die jederzeitige Ein-
lösbarkeit der Noten zu verbürgen, läßt sich weder theoretisch noch praktisch
begründen. Aber das gleiche gilt von jedem anderen Prozentsatz, den man
vorschreiben wollte. Ob man nun 20, 25 oder 30 Prozent wählt, immer
wird die Festlegung eine arbiträre und ihre Richtigkeit nicht zu erweisen sein.
Es kommt hier allein auf das Prinzip an. Als das deutsche Bankgesetz
geschaffen wurde, stand die Mehrzahl der Bankpolitiker unter dem Eindruck
der vorhandenen regellosen Zettelwirtschaft und man strebte, beeinflußt durch
die Theorie und Praxis Englands, dahin, durch möglichst große Garantien die
Vollwertigkeit und die Einlösbarkeit der Reichsbanknoten sicherzustellen. So
kam man zu dem Grundsatz der modifizierten Dritteldeckung. Ohne sich für
die Unanfechtbarkeit des gewühlten Prozentverhältvisses einzusetzen, wird man



") So Bendixen im Bnnkarchiv X S. 285 fg.
Reichsbcmk und Geldumlauf

sie haben im Durchschnitt der beiden letzten Jahre sich von 251 auf 278 Millionen
erhöht. An sich ist diese Erscheinung, die mit der vermehrten Ausprägung von
Scheidemünze zusammenhängt, nicht erfreulich. Denn wenn sich die Scheide¬
münze im Besitz der Bank anhäuft, so ist dies ein ziemlich sicheres Zeichen
dafür, daß die (auf 20 Mark für den Kopf der Bevölkerung festgesetzte) Aus¬
prägung der nnterwertigen Münzen das Bedürfnis des Verkehrs übersteigt und
daß der Verkehr diese Münzen abstößt. Um so näher liegt die Besorgnis, daß
dieses Übermaß von Scheidegeld eine inflationistische Wirkung ausübt, mithin
den Abfluß des vollwichtigen Geldes nach dem Ausland befördert. Eine
dauernde Vermehrung des Bestandes an Silbergeld ist also in Wahrheit eine
Schwächung der Neichsbank, wenn auch vielleicht das Prozentverhältnis der
Bardeckung infolge der Berücksichtigung der Silbermünzen sich rechnerisch
günstig stellt.

Nun hat man die Frage aufgeworfen: warum sich so sklavisch an die
Dritteldeckung binden? Tatsächlich ist die Reichsbank ja schon jetzt nicht ver¬
pflichtet, ihre Noten zu einem Drittel mit Währungsmetall zu decken, sondern
nur mit etwa 22 Prozent, da ein Drittel ihres Barvorrats aus Silber besteht!
Nur die Vorschrift der Dritteldeckung, so argumentiert man, ist daran schuld,
wenn eine plötzliche starke Vermehrung der Notenausgabe Ängstlichkeit und
Nervosität erzeugt. Man könnte dein Übel mit Leichtigkeit dadurch steuern,
daß man den Deckungszwang ganz oder wenigstens an den Quartals¬
terminen beseitigte, wie man an letzteren ja bereits eine Erhöhung des steuer¬
freien Kontingents eingeführt hat. Eine ungünstige Rückwirkung auf die Voll¬
wertigkeit der Reichsbanknoten sei von einer solchen Änderung nicht zu besorgen,
da der Bedarf an Zahlungsmitteln an den Quartalsterminen kein Kapitalbedarf,
sondern ein Bedarf nach Rechnungsmünzen sei, der nach wenigen Tagen seine
Ausgleichung finde"). Darauf ist zu erwidern: Die Festsetzung der Drittelgrenze
ist an sich freilich bis zu einem gewissen Grade willkürlich. Daß die Bar¬
deckung sich gerade auf ein Drittel belaufen müsse, um die jederzeitige Ein-
lösbarkeit der Noten zu verbürgen, läßt sich weder theoretisch noch praktisch
begründen. Aber das gleiche gilt von jedem anderen Prozentsatz, den man
vorschreiben wollte. Ob man nun 20, 25 oder 30 Prozent wählt, immer
wird die Festlegung eine arbiträre und ihre Richtigkeit nicht zu erweisen sein.
Es kommt hier allein auf das Prinzip an. Als das deutsche Bankgesetz
geschaffen wurde, stand die Mehrzahl der Bankpolitiker unter dem Eindruck
der vorhandenen regellosen Zettelwirtschaft und man strebte, beeinflußt durch
die Theorie und Praxis Englands, dahin, durch möglichst große Garantien die
Vollwertigkeit und die Einlösbarkeit der Reichsbanknoten sicherzustellen. So
kam man zu dem Grundsatz der modifizierten Dritteldeckung. Ohne sich für
die Unanfechtbarkeit des gewühlten Prozentverhältvisses einzusetzen, wird man



") So Bendixen im Bnnkarchiv X S. 285 fg.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/267>, abgerufen am 03.07.2024.