Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Polen und Rom vor ^870

öffentlichen Kundgebungen für die Polen in großer Zahl, ja zu Werbungen von
Hilfstruppen für die Polen. Die italienische Negierung aber mußte eigens einen
Gesandten nach Petersburg schicken, um sich selbst von aller Schuld an jenen
Kundgebungen reinzuwaschen und die eben erst wiederangeknüpften guten diplo¬
matischen Beziehungen zu Rußland zu salvieren. Das gelang ihr nicht ganz,
und Nußland quittierte die italienische Zweideutigkeit durch eine Annäherung an
Rom. Es trat den französischen Begünstigungen für die Sache des Papstes bei
und ließ offiziös aussprechen, daß Italien sich eine andere Hauptstadt als Rom
suchen müßte. Ferner gab es dem Papste anheim, einen Nuntius in Petersburg
zu bestellen.

An diesem unverhofften Erfolge sollte der Papst indessen nur mäßige Freude
haben, denn die russische Regierung traute ihm nicht und gestattete keinerlei
freien Mitteilungsverkehr zwischen der katholischen Geistlichkeit und dem Nuntius.
Ein direkter Verkehr mit den: Hi. Stuhl blieb natürlich erst recht nach wie vor
ausgeschlossen, "um nicht mit jener freien Korrespondenz die hohen politischen
Interessen zu kompromittieren". Zudem richtete die russische Regierung eine
Kommission für Kulte und öffentlichen Unterricht in Polen ein, die im Wider¬
spruch stand mit der Verfassung der römischen Kirche und den bisher gültigen
Vereinbarungen.

So sehen wir 1863 Polen in erneutem und verstärktem Aufruhr. Die Ereignisse
nahmen bald eine verhängnisvolle Wendung. Rußland ging mit größter Strenge
vor, desgleichen Preußen, das in der Provinz Posen den Kriegszustand erklärte.
Beide Regierungen lehnten einen Jnterventionsversuch Österreichs, Frankreichs
und Englands, die sogar eine internationale Konferenz für Polen vorschlugen,
rundweg ab. Während diese Mächte sich mit der Ablehnung abfärben und
Österreich sich sogar bereit fand, auf russisches Ersuchen hin die polnischen
Patrioten in Galizien aufs Korn zu nehmen, hielt es der Papst für zeitgemäß,
einen Brief an den Zaren zu richten. "Erschüttert von dem Unheil, welches
das polnische Volk heimsucht, und von dem religiösen Ruin, welcher ihm droht"
und aus Liebe zum polnischen Volke glaubte der Papst den Zaren daran
erinnern zu dürfen, daß die Hauptursache der häufigen Agitationen in Polen
die religiöse Unterdrückung wäre, unter der seit Jahrzehnten "jene ruhmreiche
und edle Nation" seufze, deren Geschick eng verbunden mit dem Katholizismus.
Hieran schloß der Papst die Bitte, daß zur "Beruhigung der tief erregten Seelen"
der Kirche ihre Autorität und den Gläubigen die Freiheit, ihre ererbte Religion
zu bekennen, wiedergegeben würde.

Die Antwort der russischen Negierung bestand darin, daß der Erzbischof
von Warschau von seinem Bistum entfernt und nach Jeroslaw verbannt wurde,
wo er mit feinen Diözesanmitgliedern auf keinem anderen Wege als durch Ver¬
mittlung der Regierungskanzlei Verbindung erhielt; daß zahlreiche katholische
Geistliche verbannt oder ins Gefängnis geworfen oder getötet wurden wegen
Handlungen, die der russischen Regierung verdächtig bzw. verräterisch erschienen;


Polen und Rom vor ^870

öffentlichen Kundgebungen für die Polen in großer Zahl, ja zu Werbungen von
Hilfstruppen für die Polen. Die italienische Negierung aber mußte eigens einen
Gesandten nach Petersburg schicken, um sich selbst von aller Schuld an jenen
Kundgebungen reinzuwaschen und die eben erst wiederangeknüpften guten diplo¬
matischen Beziehungen zu Rußland zu salvieren. Das gelang ihr nicht ganz,
und Nußland quittierte die italienische Zweideutigkeit durch eine Annäherung an
Rom. Es trat den französischen Begünstigungen für die Sache des Papstes bei
und ließ offiziös aussprechen, daß Italien sich eine andere Hauptstadt als Rom
suchen müßte. Ferner gab es dem Papste anheim, einen Nuntius in Petersburg
zu bestellen.

An diesem unverhofften Erfolge sollte der Papst indessen nur mäßige Freude
haben, denn die russische Regierung traute ihm nicht und gestattete keinerlei
freien Mitteilungsverkehr zwischen der katholischen Geistlichkeit und dem Nuntius.
Ein direkter Verkehr mit den: Hi. Stuhl blieb natürlich erst recht nach wie vor
ausgeschlossen, „um nicht mit jener freien Korrespondenz die hohen politischen
Interessen zu kompromittieren". Zudem richtete die russische Regierung eine
Kommission für Kulte und öffentlichen Unterricht in Polen ein, die im Wider¬
spruch stand mit der Verfassung der römischen Kirche und den bisher gültigen
Vereinbarungen.

So sehen wir 1863 Polen in erneutem und verstärktem Aufruhr. Die Ereignisse
nahmen bald eine verhängnisvolle Wendung. Rußland ging mit größter Strenge
vor, desgleichen Preußen, das in der Provinz Posen den Kriegszustand erklärte.
Beide Regierungen lehnten einen Jnterventionsversuch Österreichs, Frankreichs
und Englands, die sogar eine internationale Konferenz für Polen vorschlugen,
rundweg ab. Während diese Mächte sich mit der Ablehnung abfärben und
Österreich sich sogar bereit fand, auf russisches Ersuchen hin die polnischen
Patrioten in Galizien aufs Korn zu nehmen, hielt es der Papst für zeitgemäß,
einen Brief an den Zaren zu richten. „Erschüttert von dem Unheil, welches
das polnische Volk heimsucht, und von dem religiösen Ruin, welcher ihm droht"
und aus Liebe zum polnischen Volke glaubte der Papst den Zaren daran
erinnern zu dürfen, daß die Hauptursache der häufigen Agitationen in Polen
die religiöse Unterdrückung wäre, unter der seit Jahrzehnten „jene ruhmreiche
und edle Nation" seufze, deren Geschick eng verbunden mit dem Katholizismus.
Hieran schloß der Papst die Bitte, daß zur „Beruhigung der tief erregten Seelen"
der Kirche ihre Autorität und den Gläubigen die Freiheit, ihre ererbte Religion
zu bekennen, wiedergegeben würde.

Die Antwort der russischen Negierung bestand darin, daß der Erzbischof
von Warschau von seinem Bistum entfernt und nach Jeroslaw verbannt wurde,
wo er mit feinen Diözesanmitgliedern auf keinem anderen Wege als durch Ver¬
mittlung der Regierungskanzlei Verbindung erhielt; daß zahlreiche katholische
Geistliche verbannt oder ins Gefängnis geworfen oder getötet wurden wegen
Handlungen, die der russischen Regierung verdächtig bzw. verräterisch erschienen;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319820"/>
          <fw type="header" place="top"> Polen und Rom vor ^870</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_885" prev="#ID_884"> öffentlichen Kundgebungen für die Polen in großer Zahl, ja zu Werbungen von<lb/>
Hilfstruppen für die Polen. Die italienische Negierung aber mußte eigens einen<lb/>
Gesandten nach Petersburg schicken, um sich selbst von aller Schuld an jenen<lb/>
Kundgebungen reinzuwaschen und die eben erst wiederangeknüpften guten diplo¬<lb/>
matischen Beziehungen zu Rußland zu salvieren. Das gelang ihr nicht ganz,<lb/>
und Nußland quittierte die italienische Zweideutigkeit durch eine Annäherung an<lb/>
Rom. Es trat den französischen Begünstigungen für die Sache des Papstes bei<lb/>
und ließ offiziös aussprechen, daß Italien sich eine andere Hauptstadt als Rom<lb/>
suchen müßte. Ferner gab es dem Papste anheim, einen Nuntius in Petersburg<lb/>
zu bestellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_886"> An diesem unverhofften Erfolge sollte der Papst indessen nur mäßige Freude<lb/>
haben, denn die russische Regierung traute ihm nicht und gestattete keinerlei<lb/>
freien Mitteilungsverkehr zwischen der katholischen Geistlichkeit und dem Nuntius.<lb/>
Ein direkter Verkehr mit den: Hi. Stuhl blieb natürlich erst recht nach wie vor<lb/>
ausgeschlossen, &#x201E;um nicht mit jener freien Korrespondenz die hohen politischen<lb/>
Interessen zu kompromittieren". Zudem richtete die russische Regierung eine<lb/>
Kommission für Kulte und öffentlichen Unterricht in Polen ein, die im Wider¬<lb/>
spruch stand mit der Verfassung der römischen Kirche und den bisher gültigen<lb/>
Vereinbarungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_887"> So sehen wir 1863 Polen in erneutem und verstärktem Aufruhr. Die Ereignisse<lb/>
nahmen bald eine verhängnisvolle Wendung. Rußland ging mit größter Strenge<lb/>
vor, desgleichen Preußen, das in der Provinz Posen den Kriegszustand erklärte.<lb/>
Beide Regierungen lehnten einen Jnterventionsversuch Österreichs, Frankreichs<lb/>
und Englands, die sogar eine internationale Konferenz für Polen vorschlugen,<lb/>
rundweg ab. Während diese Mächte sich mit der Ablehnung abfärben und<lb/>
Österreich sich sogar bereit fand, auf russisches Ersuchen hin die polnischen<lb/>
Patrioten in Galizien aufs Korn zu nehmen, hielt es der Papst für zeitgemäß,<lb/>
einen Brief an den Zaren zu richten. &#x201E;Erschüttert von dem Unheil, welches<lb/>
das polnische Volk heimsucht, und von dem religiösen Ruin, welcher ihm droht"<lb/>
und aus Liebe zum polnischen Volke glaubte der Papst den Zaren daran<lb/>
erinnern zu dürfen, daß die Hauptursache der häufigen Agitationen in Polen<lb/>
die religiöse Unterdrückung wäre, unter der seit Jahrzehnten &#x201E;jene ruhmreiche<lb/>
und edle Nation" seufze, deren Geschick eng verbunden mit dem Katholizismus.<lb/>
Hieran schloß der Papst die Bitte, daß zur &#x201E;Beruhigung der tief erregten Seelen"<lb/>
der Kirche ihre Autorität und den Gläubigen die Freiheit, ihre ererbte Religion<lb/>
zu bekennen, wiedergegeben würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_888" next="#ID_889"> Die Antwort der russischen Negierung bestand darin, daß der Erzbischof<lb/>
von Warschau von seinem Bistum entfernt und nach Jeroslaw verbannt wurde,<lb/>
wo er mit feinen Diözesanmitgliedern auf keinem anderen Wege als durch Ver¬<lb/>
mittlung der Regierungskanzlei Verbindung erhielt; daß zahlreiche katholische<lb/>
Geistliche verbannt oder ins Gefängnis geworfen oder getötet wurden wegen<lb/>
Handlungen, die der russischen Regierung verdächtig bzw. verräterisch erschienen;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] Polen und Rom vor ^870 öffentlichen Kundgebungen für die Polen in großer Zahl, ja zu Werbungen von Hilfstruppen für die Polen. Die italienische Negierung aber mußte eigens einen Gesandten nach Petersburg schicken, um sich selbst von aller Schuld an jenen Kundgebungen reinzuwaschen und die eben erst wiederangeknüpften guten diplo¬ matischen Beziehungen zu Rußland zu salvieren. Das gelang ihr nicht ganz, und Nußland quittierte die italienische Zweideutigkeit durch eine Annäherung an Rom. Es trat den französischen Begünstigungen für die Sache des Papstes bei und ließ offiziös aussprechen, daß Italien sich eine andere Hauptstadt als Rom suchen müßte. Ferner gab es dem Papste anheim, einen Nuntius in Petersburg zu bestellen. An diesem unverhofften Erfolge sollte der Papst indessen nur mäßige Freude haben, denn die russische Regierung traute ihm nicht und gestattete keinerlei freien Mitteilungsverkehr zwischen der katholischen Geistlichkeit und dem Nuntius. Ein direkter Verkehr mit den: Hi. Stuhl blieb natürlich erst recht nach wie vor ausgeschlossen, „um nicht mit jener freien Korrespondenz die hohen politischen Interessen zu kompromittieren". Zudem richtete die russische Regierung eine Kommission für Kulte und öffentlichen Unterricht in Polen ein, die im Wider¬ spruch stand mit der Verfassung der römischen Kirche und den bisher gültigen Vereinbarungen. So sehen wir 1863 Polen in erneutem und verstärktem Aufruhr. Die Ereignisse nahmen bald eine verhängnisvolle Wendung. Rußland ging mit größter Strenge vor, desgleichen Preußen, das in der Provinz Posen den Kriegszustand erklärte. Beide Regierungen lehnten einen Jnterventionsversuch Österreichs, Frankreichs und Englands, die sogar eine internationale Konferenz für Polen vorschlugen, rundweg ab. Während diese Mächte sich mit der Ablehnung abfärben und Österreich sich sogar bereit fand, auf russisches Ersuchen hin die polnischen Patrioten in Galizien aufs Korn zu nehmen, hielt es der Papst für zeitgemäß, einen Brief an den Zaren zu richten. „Erschüttert von dem Unheil, welches das polnische Volk heimsucht, und von dem religiösen Ruin, welcher ihm droht" und aus Liebe zum polnischen Volke glaubte der Papst den Zaren daran erinnern zu dürfen, daß die Hauptursache der häufigen Agitationen in Polen die religiöse Unterdrückung wäre, unter der seit Jahrzehnten „jene ruhmreiche und edle Nation" seufze, deren Geschick eng verbunden mit dem Katholizismus. Hieran schloß der Papst die Bitte, daß zur „Beruhigung der tief erregten Seelen" der Kirche ihre Autorität und den Gläubigen die Freiheit, ihre ererbte Religion zu bekennen, wiedergegeben würde. Die Antwort der russischen Negierung bestand darin, daß der Erzbischof von Warschau von seinem Bistum entfernt und nach Jeroslaw verbannt wurde, wo er mit feinen Diözesanmitgliedern auf keinem anderen Wege als durch Ver¬ mittlung der Regierungskanzlei Verbindung erhielt; daß zahlreiche katholische Geistliche verbannt oder ins Gefängnis geworfen oder getötet wurden wegen Handlungen, die der russischen Regierung verdächtig bzw. verräterisch erschienen;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/219>, abgerufen am 23.07.2024.