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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom vor ^8?o

daß Klöster durch Soldaten entweiht wurden; daß der Gottesdienst und die
Administration der Sakramente in vielen Parochien gehemmt wurden; daß das
Vermögen der Bischöfe und Domkapitel zu besonderen Steuern herangezogen
wurde. Der Senat in Petersburg sprach, nach Ablehnung ihm unterbreiteter
Reformen, zum Überfluß den Wunsch aus, daß in den polnischen Landesteilen
einfach russische Gesetze und Einrichtungen eingeführt würden. Der Papst hatte
also keinen Anlaß, zufrieden zu sein, und in Polen dauerte der Aufruhr fort
bis in das Jahr 1864 hinein.

Am 24. April 1864 glaubte der Papst, wieder einmal seine Stimme für
die Polen erheben zu sollen, und zwar gelegentlich einer kurialem Feierlichkeit.
Als freilich im Vertrauen auf die Ansprache hin flüchtige Polen nach Rom
kamen, um sich der päpstlichen Fürsorge unmittelbar zu erfreuen, gab der Papst
ihnen deutlich zu verstehen, daß sie sich in der Annahme eines polnischen
Charakters der römischen Kirche getäuscht hätten. Eine päpstliche Enzyklika vom
30. Juli 1864 an die katholischen Bischöfe "Rußlands und Polens" löste auf
feiten der russischen Regierung nur einen Ukas aus, der den größten Teil (110)
der polnischen Klöster als "Herde des Aufruhrs und der sakrilegen Anstiftung zu
verbrecherischen Blutvergießen" unterdrückte, ihre Güter konfiszierte und die übrigen
Klöster der Staatsaufsicht unterstellte. Daraus entwickelte sich eine Folge von
päpstlichen Protestnoten und weiteren russischen Gewaltmaßnahmen gegen polnisch¬
katholische Interessen, die sich bis über das Jahr 1865 erstreckten, ohne eine
starke Volksreaktion auszulösen. Als am 27. Dezember 1865 Papst Pius der
Neunte in einer Unterredung mit dem russischen Geschäftsträger Baron
v. Meyendorff abermals Beschwerden äußerte, konnte dieser sich nicht enthalten,
dem Papste zu sagen: "I^'ö8t-Le pas vous, 4>of Lame pere, qui fomentex
la clisLoräe et n'apporte^-vous M8 me? non8 I'e8put as revolte, as
revolution et ac ac-zoräre?" Der Papst verlor die Geduld und wies ihm
die Tür: "Lorte^, Monsieur, sorte? sur-Je-eligmp, mais 8g,enex eme es
n's8t Pas Is representant as I'empereur, eme je eonZöäie, c'est M. as
Ms^enäcirK." Die russische Regierung hatte kein Wort der Mißbilligung für
Meyendorff, nahm im Gegenteil trotz aller "Aufklärungen" des Kardinal-Staats¬
sekretärs Antonelli seine Partei, berief ihn alsbald von Rom ab und kassierte
damit die diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan.

Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit dem Papste hinderte die
russische Negierung nicht, den Polen aus politischen oder aus orthodox-fanatischen
Gründen in ihren katholischen Interessen zu schaden. Die Handlungsfreiheit
des Papstes war indes durch den Mangel der diplomatischen Beziehungen und
das dadurch erweckte allgemeine Mißtrauen empfindlich eingeschränkt. Daß der
Papst unter den neuen Umständen erst recht keinen Anlaß sah, den Polen
Loyalität gegen ihre Regierungen zu empfehlen, liegt auf der Hand. Mit
tiefem Kummer sah er, wie unablässig polnische Besonderheiten durch russische
und deutsche absorbiert wurden, wie anderseits Preußen sich gegen Österreich


Polen und Rom vor ^8?o

daß Klöster durch Soldaten entweiht wurden; daß der Gottesdienst und die
Administration der Sakramente in vielen Parochien gehemmt wurden; daß das
Vermögen der Bischöfe und Domkapitel zu besonderen Steuern herangezogen
wurde. Der Senat in Petersburg sprach, nach Ablehnung ihm unterbreiteter
Reformen, zum Überfluß den Wunsch aus, daß in den polnischen Landesteilen
einfach russische Gesetze und Einrichtungen eingeführt würden. Der Papst hatte
also keinen Anlaß, zufrieden zu sein, und in Polen dauerte der Aufruhr fort
bis in das Jahr 1864 hinein.

Am 24. April 1864 glaubte der Papst, wieder einmal seine Stimme für
die Polen erheben zu sollen, und zwar gelegentlich einer kurialem Feierlichkeit.
Als freilich im Vertrauen auf die Ansprache hin flüchtige Polen nach Rom
kamen, um sich der päpstlichen Fürsorge unmittelbar zu erfreuen, gab der Papst
ihnen deutlich zu verstehen, daß sie sich in der Annahme eines polnischen
Charakters der römischen Kirche getäuscht hätten. Eine päpstliche Enzyklika vom
30. Juli 1864 an die katholischen Bischöfe „Rußlands und Polens" löste auf
feiten der russischen Regierung nur einen Ukas aus, der den größten Teil (110)
der polnischen Klöster als „Herde des Aufruhrs und der sakrilegen Anstiftung zu
verbrecherischen Blutvergießen" unterdrückte, ihre Güter konfiszierte und die übrigen
Klöster der Staatsaufsicht unterstellte. Daraus entwickelte sich eine Folge von
päpstlichen Protestnoten und weiteren russischen Gewaltmaßnahmen gegen polnisch¬
katholische Interessen, die sich bis über das Jahr 1865 erstreckten, ohne eine
starke Volksreaktion auszulösen. Als am 27. Dezember 1865 Papst Pius der
Neunte in einer Unterredung mit dem russischen Geschäftsträger Baron
v. Meyendorff abermals Beschwerden äußerte, konnte dieser sich nicht enthalten,
dem Papste zu sagen: „I^'ö8t-Le pas vous, 4>of Lame pere, qui fomentex
la clisLoräe et n'apporte^-vous M8 me? non8 I'e8put as revolte, as
revolution et ac ac-zoräre?" Der Papst verlor die Geduld und wies ihm
die Tür: „Lorte^, Monsieur, sorte? sur-Je-eligmp, mais 8g,enex eme es
n's8t Pas Is representant as I'empereur, eme je eonZöäie, c'est M. as
Ms^enäcirK." Die russische Regierung hatte kein Wort der Mißbilligung für
Meyendorff, nahm im Gegenteil trotz aller „Aufklärungen" des Kardinal-Staats¬
sekretärs Antonelli seine Partei, berief ihn alsbald von Rom ab und kassierte
damit die diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan.

Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit dem Papste hinderte die
russische Negierung nicht, den Polen aus politischen oder aus orthodox-fanatischen
Gründen in ihren katholischen Interessen zu schaden. Die Handlungsfreiheit
des Papstes war indes durch den Mangel der diplomatischen Beziehungen und
das dadurch erweckte allgemeine Mißtrauen empfindlich eingeschränkt. Daß der
Papst unter den neuen Umständen erst recht keinen Anlaß sah, den Polen
Loyalität gegen ihre Regierungen zu empfehlen, liegt auf der Hand. Mit
tiefem Kummer sah er, wie unablässig polnische Besonderheiten durch russische
und deutsche absorbiert wurden, wie anderseits Preußen sich gegen Österreich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/220>, abgerufen am 25.08.2024.