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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom vor 5 370

politisch gemeint war? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir davon
absehen, daß die katholischen Interessen dem Polonismus immer nur der Deck¬
mantel, die äußere Schale seiner politischen Ziele gewesen sind, und einen Blick
werfen auf einige Tatsachen und Personen, die den damaligen politischen Ver¬
hältnissen das Gepräge gaben. Zunächst sei erinnert an den Kardinal Antonelli,
den damaligen Staatssekretär des Papstes, der es nie geliebt hat, sich wegen
geistlicher Dinge zu kompromittieren, um so entschiedener aber in weltlichen und
vornehmlich in diplomatischen Dingen gewesen ist. Zu Seiten Antonellis waren
an der Kurie mit diplomatischen Geschäften zwei Polen betraut: Monftgnor
Ledochowski, der 1861 als päpstlicher Nuntius nach München geschickt wurde
und den später Preußen als Erzbischof von Posen-Gnesen, als "Primat Polens"
näher kennen lernen sollte, und Monsignor Wladimir Czacki, ein besonderer
Günstling Antonellis, später Pariser Nuntius und Kardinal. Ferner gab es
in Rom ein Korps polnischer Adliger zum persönlichen Schutze des Papstes.
Dem Aufkommen Italiens hatte allerdings Frankreich oder genauer Napoleon
der Dritte den wirksamsten Vorschub geleistet. Aber an der Entstehung und
Konsolidierung eines geeinten großstaatlichen Italiens war niemand in Frank¬
reich etwas gelegen und konnte niemand etwas gelegen sein. An Frankreich
hatte der Papst einen natürlichen Verbündeten: noch am 26. November 1861
verlangte Frankreich in einer diplomatischen Note, daß der König von Italien
die Souveränität des Papstes im gesamten ehemaligen Kirchenstaate anerkennen
solle; Kardinal Antonelli weigerte sich, mit Italien wegen Roms zu paktieren --
"quant ^ paetiser avec Je8 8poliateul8, non8 ne le keron8 jamai8", waren
seine Worte zum französischen Botschafter in Rom de Lavallette. So hielt
Frankreich seine Soldaten zum Schutze des Papstes in Rom; trotz der damit
gegebenen Vereitelung des Bündnisses mit Italien und Österreich war Napoleon
der Dritte noch am 3. August 1870 (!) entschlossen, in der römischen Frage den
italienischen Wünschen nicht nachzugeben. In Frankreich war überdies bis 1860
Graf Walewski, der natürliche Sohn Napoleons des Ersten und einer Polin
(in Walewica, Nußland), Minister des Äußeren. Walewski war als junger Mann
für die Befreiung Polens sehr rührig gewesen und hatte namentlich in London
einflußreiche Personen für die polnische Sache zu gewinnen gewußt. Später
war er Adjutant des polnischen Generalissimus und mit manchen delikaten
Missionen von und zu der "polnischen Negierung" betraut. 1849 kam er als
bevollmächtigter Minister in Florenz und 1850 in Neapel mit den italienischen
Dingen in Fühlung und hatte 1859 als Vorsitzender des Pariser Kongresses
das Ob und Wie der "italienischen Frage" maßgebend zu beeinflussen. Cavour
schrieb damals in Briefen an Salmour aus Paris über Walewski: "Sage
Gramont, daß er sehr Recht hat in betreff Walewskis, denn es ist unmöglich,
mit einem falscheren, leichtherzigeren und ungeeigneteren Minister zu tun zu
haben, als er ist. . . auch die Preußen, die er getäuscht hat, sind wütend". --
"Ich gebe es nicht auf, die italienische Frage behandeln zu lassen ... der Kaiser


Polen und Rom vor 5 370

politisch gemeint war? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir davon
absehen, daß die katholischen Interessen dem Polonismus immer nur der Deck¬
mantel, die äußere Schale seiner politischen Ziele gewesen sind, und einen Blick
werfen auf einige Tatsachen und Personen, die den damaligen politischen Ver¬
hältnissen das Gepräge gaben. Zunächst sei erinnert an den Kardinal Antonelli,
den damaligen Staatssekretär des Papstes, der es nie geliebt hat, sich wegen
geistlicher Dinge zu kompromittieren, um so entschiedener aber in weltlichen und
vornehmlich in diplomatischen Dingen gewesen ist. Zu Seiten Antonellis waren
an der Kurie mit diplomatischen Geschäften zwei Polen betraut: Monftgnor
Ledochowski, der 1861 als päpstlicher Nuntius nach München geschickt wurde
und den später Preußen als Erzbischof von Posen-Gnesen, als „Primat Polens"
näher kennen lernen sollte, und Monsignor Wladimir Czacki, ein besonderer
Günstling Antonellis, später Pariser Nuntius und Kardinal. Ferner gab es
in Rom ein Korps polnischer Adliger zum persönlichen Schutze des Papstes.
Dem Aufkommen Italiens hatte allerdings Frankreich oder genauer Napoleon
der Dritte den wirksamsten Vorschub geleistet. Aber an der Entstehung und
Konsolidierung eines geeinten großstaatlichen Italiens war niemand in Frank¬
reich etwas gelegen und konnte niemand etwas gelegen sein. An Frankreich
hatte der Papst einen natürlichen Verbündeten: noch am 26. November 1861
verlangte Frankreich in einer diplomatischen Note, daß der König von Italien
die Souveränität des Papstes im gesamten ehemaligen Kirchenstaate anerkennen
solle; Kardinal Antonelli weigerte sich, mit Italien wegen Roms zu paktieren —
„quant ^ paetiser avec Je8 8poliateul8, non8 ne le keron8 jamai8", waren
seine Worte zum französischen Botschafter in Rom de Lavallette. So hielt
Frankreich seine Soldaten zum Schutze des Papstes in Rom; trotz der damit
gegebenen Vereitelung des Bündnisses mit Italien und Österreich war Napoleon
der Dritte noch am 3. August 1870 (!) entschlossen, in der römischen Frage den
italienischen Wünschen nicht nachzugeben. In Frankreich war überdies bis 1860
Graf Walewski, der natürliche Sohn Napoleons des Ersten und einer Polin
(in Walewica, Nußland), Minister des Äußeren. Walewski war als junger Mann
für die Befreiung Polens sehr rührig gewesen und hatte namentlich in London
einflußreiche Personen für die polnische Sache zu gewinnen gewußt. Später
war er Adjutant des polnischen Generalissimus und mit manchen delikaten
Missionen von und zu der „polnischen Negierung" betraut. 1849 kam er als
bevollmächtigter Minister in Florenz und 1850 in Neapel mit den italienischen
Dingen in Fühlung und hatte 1859 als Vorsitzender des Pariser Kongresses
das Ob und Wie der „italienischen Frage" maßgebend zu beeinflussen. Cavour
schrieb damals in Briefen an Salmour aus Paris über Walewski: „Sage
Gramont, daß er sehr Recht hat in betreff Walewskis, denn es ist unmöglich,
mit einem falscheren, leichtherzigeren und ungeeigneteren Minister zu tun zu
haben, als er ist. . . auch die Preußen, die er getäuscht hat, sind wütend". —
„Ich gebe es nicht auf, die italienische Frage behandeln zu lassen ... der Kaiser


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[0217] Polen und Rom vor 5 370 politisch gemeint war? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir davon absehen, daß die katholischen Interessen dem Polonismus immer nur der Deck¬ mantel, die äußere Schale seiner politischen Ziele gewesen sind, und einen Blick werfen auf einige Tatsachen und Personen, die den damaligen politischen Ver¬ hältnissen das Gepräge gaben. Zunächst sei erinnert an den Kardinal Antonelli, den damaligen Staatssekretär des Papstes, der es nie geliebt hat, sich wegen geistlicher Dinge zu kompromittieren, um so entschiedener aber in weltlichen und vornehmlich in diplomatischen Dingen gewesen ist. Zu Seiten Antonellis waren an der Kurie mit diplomatischen Geschäften zwei Polen betraut: Monftgnor Ledochowski, der 1861 als päpstlicher Nuntius nach München geschickt wurde und den später Preußen als Erzbischof von Posen-Gnesen, als „Primat Polens" näher kennen lernen sollte, und Monsignor Wladimir Czacki, ein besonderer Günstling Antonellis, später Pariser Nuntius und Kardinal. Ferner gab es in Rom ein Korps polnischer Adliger zum persönlichen Schutze des Papstes. Dem Aufkommen Italiens hatte allerdings Frankreich oder genauer Napoleon der Dritte den wirksamsten Vorschub geleistet. Aber an der Entstehung und Konsolidierung eines geeinten großstaatlichen Italiens war niemand in Frank¬ reich etwas gelegen und konnte niemand etwas gelegen sein. An Frankreich hatte der Papst einen natürlichen Verbündeten: noch am 26. November 1861 verlangte Frankreich in einer diplomatischen Note, daß der König von Italien die Souveränität des Papstes im gesamten ehemaligen Kirchenstaate anerkennen solle; Kardinal Antonelli weigerte sich, mit Italien wegen Roms zu paktieren — „quant ^ paetiser avec Je8 8poliateul8, non8 ne le keron8 jamai8", waren seine Worte zum französischen Botschafter in Rom de Lavallette. So hielt Frankreich seine Soldaten zum Schutze des Papstes in Rom; trotz der damit gegebenen Vereitelung des Bündnisses mit Italien und Österreich war Napoleon der Dritte noch am 3. August 1870 (!) entschlossen, in der römischen Frage den italienischen Wünschen nicht nachzugeben. In Frankreich war überdies bis 1860 Graf Walewski, der natürliche Sohn Napoleons des Ersten und einer Polin (in Walewica, Nußland), Minister des Äußeren. Walewski war als junger Mann für die Befreiung Polens sehr rührig gewesen und hatte namentlich in London einflußreiche Personen für die polnische Sache zu gewinnen gewußt. Später war er Adjutant des polnischen Generalissimus und mit manchen delikaten Missionen von und zu der „polnischen Negierung" betraut. 1849 kam er als bevollmächtigter Minister in Florenz und 1850 in Neapel mit den italienischen Dingen in Fühlung und hatte 1859 als Vorsitzender des Pariser Kongresses das Ob und Wie der „italienischen Frage" maßgebend zu beeinflussen. Cavour schrieb damals in Briefen an Salmour aus Paris über Walewski: „Sage Gramont, daß er sehr Recht hat in betreff Walewskis, denn es ist unmöglich, mit einem falscheren, leichtherzigeren und ungeeigneteren Minister zu tun zu haben, als er ist. . . auch die Preußen, die er getäuscht hat, sind wütend". — „Ich gebe es nicht auf, die italienische Frage behandeln zu lassen ... der Kaiser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/217>, abgerufen am 23.07.2024.