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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom vor ^870

tischer Seite nachgegeben und sind der römisch-katholischen Kirche treu geblieben;
anderseits haben die Polen den Katholizismus so mit ihrem Denken und Trachten
verschmolzen, daß sie die polnische Sprache als liturgische betrachten und sich
ihrer in der Kirche nahezu ausschließlich bedienen, daß sie das polnische National¬
lied ipso facto als Kirchenlied betrachten und es ohne weiteres beim Gottes¬
dienst in den Kirchen singen, daß sie es für selbstverständlich halten, daß die
Feinde des polnischen Nationalismus auch die Feinde der katholischen Kirche
sind und somit von den Heiligen mit besonderem Eifer bekämpft werden müssen.

Der Papst hatte also nach der "weltlichen" Teilung Polens seine Hand
ebenso in der "Kirchenprovinz Polen" wie vor der Teilung. Paßte ihm, was
die Teilungsmächte taten oder ließen, so war er, soweit es seinem gegen¬
wärtigen und künftigen Interesse entsprach, für oder wenigstens nicht gegen sie;
paßte es ihn: nicht, so kompromittierte er zwar nicht in greifbarer Weise seine
Grundsätze in betreff der Gehorsams- u. s. w. Pflichten der Untertanen gegen
die Obrigkeit, aber merkwürdigerweise folgten dann allemal mehr oder minder
ausgedehnte polnische Revolten oder Intrigen. Das zu beobachten gab Rußland
die beste Gelegenheit. Die russische Negierung entzog den katholischen Kirchen
und Klöstern in Polen viel von ihrem Besitz, um es der orthodoxen Kirche zu
überweisen, und tat noch mancherlei anderes, um die katholische Kirche in Nu߬
land überhaupt und in Polen im besonderen zu ruinieren. Es wurden Bischöfe
und Geistliche ausgewiesen, die Freiheit kirchlichen Unterrichts und kirchlicher Er¬
ziehung aufgehoben, die Administration der Sakramente gestört u. tgi. -- Als
Folgeerscheinung dieser Maßnahmen wurde im Februar 1846 Krakau das Zentrum
revolutionärer Bewegungen von so großer Gefährlichkeit, daß Rußland, Preußen
und Österreich es gemeinsam besetzten und es unter österreichisches Regiment
stellten. Das hat freilich die galizischen Polen nicht gehindert, die Polen in
Preußen und namentlich in Rußland immer wieder mit Haß gegen ihre Re¬
gierungen zu erfüllen und gegen diese zur Gewalttat aufzureizen. Krakau ist
der Herd polnischer Agitation geblieben, vornehmlich darum, weil die den Polen
hier gegebene Autonomie die anderswo unmögliche enge Fühlung mit Rom
und die Dienstwilligkeit für päpstliche Schachzüge unbeschränkt erlaubte. Es ist
bezeichnend, daß ein Mann wie Graf Alex Ignaz Wielopolski-Myszkowski
(1803 bis 1377), der in der Revolution von 1830 von der Größe seines
polnischen Nationalgefühls die entschiedensten Proben abgelegt hatte, von pol¬
nischer Seite die heftigsten Proteste erntete, als er 1846 in einem offenen Brief
an Metternich das Heil der Polen in der vollständigen Verschmelzung des pol¬
nischen und des russischen Elements zugunsten eines Panslavismus erklärte.
Denn nicht auf slavische Interessen an sich, sondern auf slavische Interessen,
insoweit sie römisch-katholische waren, hatten es die polnischen Revolutionäre
abgesehen. Als Papst Leo der Dreizehnte im Interesse seiner weltpolitischen
Kombinationen und des diplomatischen Glanzes seines Pontifikats Rußland das
Zugeständnis machte, daß die religiöse Sache von der polnisch-nationalen getrennt


Polen und Rom vor ^870

tischer Seite nachgegeben und sind der römisch-katholischen Kirche treu geblieben;
anderseits haben die Polen den Katholizismus so mit ihrem Denken und Trachten
verschmolzen, daß sie die polnische Sprache als liturgische betrachten und sich
ihrer in der Kirche nahezu ausschließlich bedienen, daß sie das polnische National¬
lied ipso facto als Kirchenlied betrachten und es ohne weiteres beim Gottes¬
dienst in den Kirchen singen, daß sie es für selbstverständlich halten, daß die
Feinde des polnischen Nationalismus auch die Feinde der katholischen Kirche
sind und somit von den Heiligen mit besonderem Eifer bekämpft werden müssen.

Der Papst hatte also nach der „weltlichen" Teilung Polens seine Hand
ebenso in der „Kirchenprovinz Polen" wie vor der Teilung. Paßte ihm, was
die Teilungsmächte taten oder ließen, so war er, soweit es seinem gegen¬
wärtigen und künftigen Interesse entsprach, für oder wenigstens nicht gegen sie;
paßte es ihn: nicht, so kompromittierte er zwar nicht in greifbarer Weise seine
Grundsätze in betreff der Gehorsams- u. s. w. Pflichten der Untertanen gegen
die Obrigkeit, aber merkwürdigerweise folgten dann allemal mehr oder minder
ausgedehnte polnische Revolten oder Intrigen. Das zu beobachten gab Rußland
die beste Gelegenheit. Die russische Negierung entzog den katholischen Kirchen
und Klöstern in Polen viel von ihrem Besitz, um es der orthodoxen Kirche zu
überweisen, und tat noch mancherlei anderes, um die katholische Kirche in Nu߬
land überhaupt und in Polen im besonderen zu ruinieren. Es wurden Bischöfe
und Geistliche ausgewiesen, die Freiheit kirchlichen Unterrichts und kirchlicher Er¬
ziehung aufgehoben, die Administration der Sakramente gestört u. tgi. — Als
Folgeerscheinung dieser Maßnahmen wurde im Februar 1846 Krakau das Zentrum
revolutionärer Bewegungen von so großer Gefährlichkeit, daß Rußland, Preußen
und Österreich es gemeinsam besetzten und es unter österreichisches Regiment
stellten. Das hat freilich die galizischen Polen nicht gehindert, die Polen in
Preußen und namentlich in Rußland immer wieder mit Haß gegen ihre Re¬
gierungen zu erfüllen und gegen diese zur Gewalttat aufzureizen. Krakau ist
der Herd polnischer Agitation geblieben, vornehmlich darum, weil die den Polen
hier gegebene Autonomie die anderswo unmögliche enge Fühlung mit Rom
und die Dienstwilligkeit für päpstliche Schachzüge unbeschränkt erlaubte. Es ist
bezeichnend, daß ein Mann wie Graf Alex Ignaz Wielopolski-Myszkowski
(1803 bis 1377), der in der Revolution von 1830 von der Größe seines
polnischen Nationalgefühls die entschiedensten Proben abgelegt hatte, von pol¬
nischer Seite die heftigsten Proteste erntete, als er 1846 in einem offenen Brief
an Metternich das Heil der Polen in der vollständigen Verschmelzung des pol¬
nischen und des russischen Elements zugunsten eines Panslavismus erklärte.
Denn nicht auf slavische Interessen an sich, sondern auf slavische Interessen,
insoweit sie römisch-katholische waren, hatten es die polnischen Revolutionäre
abgesehen. Als Papst Leo der Dreizehnte im Interesse seiner weltpolitischen
Kombinationen und des diplomatischen Glanzes seines Pontifikats Rußland das
Zugeständnis machte, daß die religiöse Sache von der polnisch-nationalen getrennt


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[0215] Polen und Rom vor ^870 tischer Seite nachgegeben und sind der römisch-katholischen Kirche treu geblieben; anderseits haben die Polen den Katholizismus so mit ihrem Denken und Trachten verschmolzen, daß sie die polnische Sprache als liturgische betrachten und sich ihrer in der Kirche nahezu ausschließlich bedienen, daß sie das polnische National¬ lied ipso facto als Kirchenlied betrachten und es ohne weiteres beim Gottes¬ dienst in den Kirchen singen, daß sie es für selbstverständlich halten, daß die Feinde des polnischen Nationalismus auch die Feinde der katholischen Kirche sind und somit von den Heiligen mit besonderem Eifer bekämpft werden müssen. Der Papst hatte also nach der „weltlichen" Teilung Polens seine Hand ebenso in der „Kirchenprovinz Polen" wie vor der Teilung. Paßte ihm, was die Teilungsmächte taten oder ließen, so war er, soweit es seinem gegen¬ wärtigen und künftigen Interesse entsprach, für oder wenigstens nicht gegen sie; paßte es ihn: nicht, so kompromittierte er zwar nicht in greifbarer Weise seine Grundsätze in betreff der Gehorsams- u. s. w. Pflichten der Untertanen gegen die Obrigkeit, aber merkwürdigerweise folgten dann allemal mehr oder minder ausgedehnte polnische Revolten oder Intrigen. Das zu beobachten gab Rußland die beste Gelegenheit. Die russische Negierung entzog den katholischen Kirchen und Klöstern in Polen viel von ihrem Besitz, um es der orthodoxen Kirche zu überweisen, und tat noch mancherlei anderes, um die katholische Kirche in Nu߬ land überhaupt und in Polen im besonderen zu ruinieren. Es wurden Bischöfe und Geistliche ausgewiesen, die Freiheit kirchlichen Unterrichts und kirchlicher Er¬ ziehung aufgehoben, die Administration der Sakramente gestört u. tgi. — Als Folgeerscheinung dieser Maßnahmen wurde im Februar 1846 Krakau das Zentrum revolutionärer Bewegungen von so großer Gefährlichkeit, daß Rußland, Preußen und Österreich es gemeinsam besetzten und es unter österreichisches Regiment stellten. Das hat freilich die galizischen Polen nicht gehindert, die Polen in Preußen und namentlich in Rußland immer wieder mit Haß gegen ihre Re¬ gierungen zu erfüllen und gegen diese zur Gewalttat aufzureizen. Krakau ist der Herd polnischer Agitation geblieben, vornehmlich darum, weil die den Polen hier gegebene Autonomie die anderswo unmögliche enge Fühlung mit Rom und die Dienstwilligkeit für päpstliche Schachzüge unbeschränkt erlaubte. Es ist bezeichnend, daß ein Mann wie Graf Alex Ignaz Wielopolski-Myszkowski (1803 bis 1377), der in der Revolution von 1830 von der Größe seines polnischen Nationalgefühls die entschiedensten Proben abgelegt hatte, von pol¬ nischer Seite die heftigsten Proteste erntete, als er 1846 in einem offenen Brief an Metternich das Heil der Polen in der vollständigen Verschmelzung des pol¬ nischen und des russischen Elements zugunsten eines Panslavismus erklärte. Denn nicht auf slavische Interessen an sich, sondern auf slavische Interessen, insoweit sie römisch-katholische waren, hatten es die polnischen Revolutionäre abgesehen. Als Papst Leo der Dreizehnte im Interesse seiner weltpolitischen Kombinationen und des diplomatischen Glanzes seines Pontifikats Rußland das Zugeständnis machte, daß die religiöse Sache von der polnisch-nationalen getrennt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/215>, abgerufen am 23.07.2024.