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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom vor ^3?o

eine Bedrohung der kirchlichen Interessen zugunsten der weltlichen zunächst in
Italien und indirekt dann auch in der übrigen Welt. Die Lösung der italienischen
Frage bedingte eine Schmälerung der Macht Österreichs und Frankreichs an sich
wie auch als Schützer des Papsttums und hatte damit eine Mehrung der
Macht der nicht römisch-katholischen Staaten Europas zur Folge. Mit den
Mitteln geistlicher und diplomatischer Kunst allein vermochte der päpstliche Stuhl
unter den gegebenen Verhältnissen, in denen die materielle Kraft für den
Sieg national- oder machtstaatlicher Bestrebungen ausschlaggebend war, nicht viel
auszurichten. Er mußte sich bemühen, gleichfalls mit beachtlicher materieller
Kraft für seine Ziele manövrieren zu können. In diesen: Sinne waren ihn: die
Bestrebungen und Mittel der Polen willkommen, und er konnte für eine Neu¬
bildung eines großpolnischen Staates nur wohlwollendes Interesse haben, -- so
sehr er auch den Schein zu wahren hatte, daß er die Revolution grundsätzlich
und in jedem Falle verurteile. (Die Revolution verurteilen, heißt nach vatikanischer
Logik nicht auch das Ergebnis der Revolution verurteilen; von dieser Logik gibt
es nur eine Ausnahme, wie Kardinal Rampolla erklärt hat, und die betrifft
die weltliche Macht des Papstes.)

Der Vatikan hatte dabei nicht nötig, nach irgendeiner Seite hin seine Karten
völlig aufzudecken. An: wenigsten sollten die Polen selbst in der Lage sein, ihn
zu kompromittieren. Denn der Vatikan hatte, indem er mit ihnen Fühlung
nahm, stets religiöse Beweggründe und geschichtliche Anknüpfungspunkte. Man
vergegenwärtige sich, daß der Papst sogar auf die Vergebung der polnischen
Krone Rechtstitel für sich in Anspruch genommen hat.

In der Verfassung des reorganisierten Polens von 1791 wurde die römisch¬
katholische Religion ausdrücklich als Staatsreligion erklärt, es wurde für andere
religiöse Kulte nur die Duldung ausgesprochen, und es wurde festgesetzt, daß
der König römisch-katholisch sein müsse. War die Liebesmühe dieser Verfassungs¬
bestimmungen vergeblich, weil Staat und Königtum Polen alsbald vollends in
die Brüche gingen, so blieb dem Vatikan doch immerhin ein Stück Papier, das
ihm Rechte zusicherte, für die es keine Verjährung gibt. In der Tat hat der
Vatikan, wiewohl er in polnischen Dingen nun mit drei weltlichen Größen zu
tun bekam, bis zum heutigen Tage nicht aufgehört, von Polen zu sprechen, als
sei es die alte, einheitliche politische Wesenheit, die Polen von den Preußen,
Österreichern und Russen zu unterscheiden, obwohl das unter den: Gesichtspunkte
der diplomatischen Formen, auf die der Vatikan sonst so großes Gewicht legt,
nicht einwandfrei ist. Der Vatikan hat des weiteren bis zum heutigen Tag,
trotzdem oder vielmehr weil von jenen drei weltlichen Größen die eine der
Exponent protestantischer und die andere der Exponent orientalisch-orthodoxer
Religionsauffassung war und ist, das Seine getan, um polnische und römisch¬
katholische Interessen, wo es irgend anging, zu identifizieren. Der Erfolg dieses
vatikanischen Verhaltens springt noch heute in die Augen: einerseits haben die
Polen weder Lockungen noch Zwangsversuchen von orthodoxer oder protcstau-


Polen und Rom vor ^3?o

eine Bedrohung der kirchlichen Interessen zugunsten der weltlichen zunächst in
Italien und indirekt dann auch in der übrigen Welt. Die Lösung der italienischen
Frage bedingte eine Schmälerung der Macht Österreichs und Frankreichs an sich
wie auch als Schützer des Papsttums und hatte damit eine Mehrung der
Macht der nicht römisch-katholischen Staaten Europas zur Folge. Mit den
Mitteln geistlicher und diplomatischer Kunst allein vermochte der päpstliche Stuhl
unter den gegebenen Verhältnissen, in denen die materielle Kraft für den
Sieg national- oder machtstaatlicher Bestrebungen ausschlaggebend war, nicht viel
auszurichten. Er mußte sich bemühen, gleichfalls mit beachtlicher materieller
Kraft für seine Ziele manövrieren zu können. In diesen: Sinne waren ihn: die
Bestrebungen und Mittel der Polen willkommen, und er konnte für eine Neu¬
bildung eines großpolnischen Staates nur wohlwollendes Interesse haben, — so
sehr er auch den Schein zu wahren hatte, daß er die Revolution grundsätzlich
und in jedem Falle verurteile. (Die Revolution verurteilen, heißt nach vatikanischer
Logik nicht auch das Ergebnis der Revolution verurteilen; von dieser Logik gibt
es nur eine Ausnahme, wie Kardinal Rampolla erklärt hat, und die betrifft
die weltliche Macht des Papstes.)

Der Vatikan hatte dabei nicht nötig, nach irgendeiner Seite hin seine Karten
völlig aufzudecken. An: wenigsten sollten die Polen selbst in der Lage sein, ihn
zu kompromittieren. Denn der Vatikan hatte, indem er mit ihnen Fühlung
nahm, stets religiöse Beweggründe und geschichtliche Anknüpfungspunkte. Man
vergegenwärtige sich, daß der Papst sogar auf die Vergebung der polnischen
Krone Rechtstitel für sich in Anspruch genommen hat.

In der Verfassung des reorganisierten Polens von 1791 wurde die römisch¬
katholische Religion ausdrücklich als Staatsreligion erklärt, es wurde für andere
religiöse Kulte nur die Duldung ausgesprochen, und es wurde festgesetzt, daß
der König römisch-katholisch sein müsse. War die Liebesmühe dieser Verfassungs¬
bestimmungen vergeblich, weil Staat und Königtum Polen alsbald vollends in
die Brüche gingen, so blieb dem Vatikan doch immerhin ein Stück Papier, das
ihm Rechte zusicherte, für die es keine Verjährung gibt. In der Tat hat der
Vatikan, wiewohl er in polnischen Dingen nun mit drei weltlichen Größen zu
tun bekam, bis zum heutigen Tage nicht aufgehört, von Polen zu sprechen, als
sei es die alte, einheitliche politische Wesenheit, die Polen von den Preußen,
Österreichern und Russen zu unterscheiden, obwohl das unter den: Gesichtspunkte
der diplomatischen Formen, auf die der Vatikan sonst so großes Gewicht legt,
nicht einwandfrei ist. Der Vatikan hat des weiteren bis zum heutigen Tag,
trotzdem oder vielmehr weil von jenen drei weltlichen Größen die eine der
Exponent protestantischer und die andere der Exponent orientalisch-orthodoxer
Religionsauffassung war und ist, das Seine getan, um polnische und römisch¬
katholische Interessen, wo es irgend anging, zu identifizieren. Der Erfolg dieses
vatikanischen Verhaltens springt noch heute in die Augen: einerseits haben die
Polen weder Lockungen noch Zwangsversuchen von orthodoxer oder protcstau-


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[0214] Polen und Rom vor ^3?o eine Bedrohung der kirchlichen Interessen zugunsten der weltlichen zunächst in Italien und indirekt dann auch in der übrigen Welt. Die Lösung der italienischen Frage bedingte eine Schmälerung der Macht Österreichs und Frankreichs an sich wie auch als Schützer des Papsttums und hatte damit eine Mehrung der Macht der nicht römisch-katholischen Staaten Europas zur Folge. Mit den Mitteln geistlicher und diplomatischer Kunst allein vermochte der päpstliche Stuhl unter den gegebenen Verhältnissen, in denen die materielle Kraft für den Sieg national- oder machtstaatlicher Bestrebungen ausschlaggebend war, nicht viel auszurichten. Er mußte sich bemühen, gleichfalls mit beachtlicher materieller Kraft für seine Ziele manövrieren zu können. In diesen: Sinne waren ihn: die Bestrebungen und Mittel der Polen willkommen, und er konnte für eine Neu¬ bildung eines großpolnischen Staates nur wohlwollendes Interesse haben, — so sehr er auch den Schein zu wahren hatte, daß er die Revolution grundsätzlich und in jedem Falle verurteile. (Die Revolution verurteilen, heißt nach vatikanischer Logik nicht auch das Ergebnis der Revolution verurteilen; von dieser Logik gibt es nur eine Ausnahme, wie Kardinal Rampolla erklärt hat, und die betrifft die weltliche Macht des Papstes.) Der Vatikan hatte dabei nicht nötig, nach irgendeiner Seite hin seine Karten völlig aufzudecken. An: wenigsten sollten die Polen selbst in der Lage sein, ihn zu kompromittieren. Denn der Vatikan hatte, indem er mit ihnen Fühlung nahm, stets religiöse Beweggründe und geschichtliche Anknüpfungspunkte. Man vergegenwärtige sich, daß der Papst sogar auf die Vergebung der polnischen Krone Rechtstitel für sich in Anspruch genommen hat. In der Verfassung des reorganisierten Polens von 1791 wurde die römisch¬ katholische Religion ausdrücklich als Staatsreligion erklärt, es wurde für andere religiöse Kulte nur die Duldung ausgesprochen, und es wurde festgesetzt, daß der König römisch-katholisch sein müsse. War die Liebesmühe dieser Verfassungs¬ bestimmungen vergeblich, weil Staat und Königtum Polen alsbald vollends in die Brüche gingen, so blieb dem Vatikan doch immerhin ein Stück Papier, das ihm Rechte zusicherte, für die es keine Verjährung gibt. In der Tat hat der Vatikan, wiewohl er in polnischen Dingen nun mit drei weltlichen Größen zu tun bekam, bis zum heutigen Tage nicht aufgehört, von Polen zu sprechen, als sei es die alte, einheitliche politische Wesenheit, die Polen von den Preußen, Österreichern und Russen zu unterscheiden, obwohl das unter den: Gesichtspunkte der diplomatischen Formen, auf die der Vatikan sonst so großes Gewicht legt, nicht einwandfrei ist. Der Vatikan hat des weiteren bis zum heutigen Tag, trotzdem oder vielmehr weil von jenen drei weltlichen Größen die eine der Exponent protestantischer und die andere der Exponent orientalisch-orthodoxer Religionsauffassung war und ist, das Seine getan, um polnische und römisch¬ katholische Interessen, wo es irgend anging, zu identifizieren. Der Erfolg dieses vatikanischen Verhaltens springt noch heute in die Augen: einerseits haben die Polen weder Lockungen noch Zwangsversuchen von orthodoxer oder protcstau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/214>, abgerufen am 23.07.2024.