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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Ncuwiener Schicksals- und Stimmungsdichtung

getan, und so mag dieses Stück den schlichterer Geschmack am menschlichsten
berühren. Wiederum enthüllt sich bisweilen gerade da, wo Hofmannsthal am
grausamsten scheint, blitzartig das, was man seine Religion nennen könnte: man
fühlt, daß die so künstlich und so skrupellos gewonnene Stimmung den Weihrauch
bedeutet, der die Sinne in die Ahnung jener Gemeinsamkeit alles Lebens hinanf-
verzücken soll.

Aber was für Hofmannsthal eine Erlösung bedeutet: dies vollkommene
Zusammenfließen des Einzelnen mit dem Ganzen, dürfte manchem als eine
Erniedrigung erscheinen. "Du bist nichts als ein schwindeln, in einen dünnen
Schleier eingehüllt", heißt es von Vittoria im "Abenteurer und der Sängerin",
und solches schwindeln sind alle Gestalten des Dichters -- und immer werden
Menschen leben, die etwas anderes und doch auch etwas besseres sein wollen
als solch ein "schwindeln" und es durch dies bloße Wollen schon wirklich sind,
und die durch manches persönlich geprägte Werk auf irgend einem Gebiet mensch¬
licher Tätigkeit auch den Beweis für ihr individuell umgrenztes, im Kern ein¬
heitliches Leben erbringen. All diesen auf ihr Ich Stolzen, die deshalb noch
längst nicht gegen das fließende Wesen der Natur verblendet zu sein, noch längst
nicht das den Menschen umgebende Geheimnis zu leugnen brauchen, all diesen
kräftigeren Persönlichkeiten vermag die zur Schicksalsdichtung fortgediehene
Stimmungskunst kaum mehr zu bieten als ein großes Mißbehagen, als dessen
letzten Grund man vielleicht den Verdacht angeben könnte, daß diese Welt¬
anschauung den einzelnen in ein mystisches Schicksal ----- bewegtes Ganzes nur
deshalb einfließen lasse, um ihn damit der Verantwortlichkeit und Pflicht gegen
die übrige Menschheit zu entbinden, um ihm den unbeschränkten und verzärtelten
Genuß seines philosophisch ja regierten Ichs zu ermöglichen.

Eine Bereicherung des dichterischen Gebietes konnte diese Stimmungskunst
nur da bedeuten, wo sie nicht in ihrer Ausschließlichkeit geübt, wo das Ich
zwar in seinen Bedrohungen gezeigt, aber doch nicht ganz verneint wurde, wo
man es nicht bloß in ein verschwimmendes All einfließen ließ, sondern auch
mit Pflichten und Verantwortlichkeiten gegen die Mitwelt stellte, wo man den:
Schwindel zum mindesten den Wunsch nach Festigkeit beigab und die Welt nicht
nur im geheimnisvollen Schimmer der Mondnacht, sondern auch im Tageslicht
abschilderte. Und darin scheint mir Arthur Schnitzlers noch nicht genug gewür¬
digtes eigentümliches Verdienst zu bestehen, daß die gern auf ihn angewandte
Bezeichnung eines "Stimmungsdichters" sein Schaffen eben keineswegs völlig
umfaßt, daß er auch dem Festeren, Älteren, Irdischeren nicht aus dem Wege
geht, daß ihm die neue Kunst nur zur Vertiefung des Psychologischen, zur
Nuanzierung der Farbentöne verhilft, aber nicht zu dem schillernden Deckmantel
der Ich-Verneinung, unter dem sich die von aller Verantwortung gelöste In¬
dividualität einen: bequemen Schwelgen hingeben kann. Durch seine öster¬
reichische Willensschwäche und durch sein naturwissenschaftliches (medizinisches)
Studium der neuen Lehre zugeführt, wird er von einer großen Menschenliebe


Ncuwiener Schicksals- und Stimmungsdichtung

getan, und so mag dieses Stück den schlichterer Geschmack am menschlichsten
berühren. Wiederum enthüllt sich bisweilen gerade da, wo Hofmannsthal am
grausamsten scheint, blitzartig das, was man seine Religion nennen könnte: man
fühlt, daß die so künstlich und so skrupellos gewonnene Stimmung den Weihrauch
bedeutet, der die Sinne in die Ahnung jener Gemeinsamkeit alles Lebens hinanf-
verzücken soll.

Aber was für Hofmannsthal eine Erlösung bedeutet: dies vollkommene
Zusammenfließen des Einzelnen mit dem Ganzen, dürfte manchem als eine
Erniedrigung erscheinen. „Du bist nichts als ein schwindeln, in einen dünnen
Schleier eingehüllt", heißt es von Vittoria im „Abenteurer und der Sängerin",
und solches schwindeln sind alle Gestalten des Dichters — und immer werden
Menschen leben, die etwas anderes und doch auch etwas besseres sein wollen
als solch ein „schwindeln" und es durch dies bloße Wollen schon wirklich sind,
und die durch manches persönlich geprägte Werk auf irgend einem Gebiet mensch¬
licher Tätigkeit auch den Beweis für ihr individuell umgrenztes, im Kern ein¬
heitliches Leben erbringen. All diesen auf ihr Ich Stolzen, die deshalb noch
längst nicht gegen das fließende Wesen der Natur verblendet zu sein, noch längst
nicht das den Menschen umgebende Geheimnis zu leugnen brauchen, all diesen
kräftigeren Persönlichkeiten vermag die zur Schicksalsdichtung fortgediehene
Stimmungskunst kaum mehr zu bieten als ein großes Mißbehagen, als dessen
letzten Grund man vielleicht den Verdacht angeben könnte, daß diese Welt¬
anschauung den einzelnen in ein mystisches Schicksal ----- bewegtes Ganzes nur
deshalb einfließen lasse, um ihn damit der Verantwortlichkeit und Pflicht gegen
die übrige Menschheit zu entbinden, um ihm den unbeschränkten und verzärtelten
Genuß seines philosophisch ja regierten Ichs zu ermöglichen.

Eine Bereicherung des dichterischen Gebietes konnte diese Stimmungskunst
nur da bedeuten, wo sie nicht in ihrer Ausschließlichkeit geübt, wo das Ich
zwar in seinen Bedrohungen gezeigt, aber doch nicht ganz verneint wurde, wo
man es nicht bloß in ein verschwimmendes All einfließen ließ, sondern auch
mit Pflichten und Verantwortlichkeiten gegen die Mitwelt stellte, wo man den:
Schwindel zum mindesten den Wunsch nach Festigkeit beigab und die Welt nicht
nur im geheimnisvollen Schimmer der Mondnacht, sondern auch im Tageslicht
abschilderte. Und darin scheint mir Arthur Schnitzlers noch nicht genug gewür¬
digtes eigentümliches Verdienst zu bestehen, daß die gern auf ihn angewandte
Bezeichnung eines „Stimmungsdichters" sein Schaffen eben keineswegs völlig
umfaßt, daß er auch dem Festeren, Älteren, Irdischeren nicht aus dem Wege
geht, daß ihm die neue Kunst nur zur Vertiefung des Psychologischen, zur
Nuanzierung der Farbentöne verhilft, aber nicht zu dem schillernden Deckmantel
der Ich-Verneinung, unter dem sich die von aller Verantwortung gelöste In¬
dividualität einen: bequemen Schwelgen hingeben kann. Durch seine öster¬
reichische Willensschwäche und durch sein naturwissenschaftliches (medizinisches)
Studium der neuen Lehre zugeführt, wird er von einer großen Menschenliebe


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[0180] Ncuwiener Schicksals- und Stimmungsdichtung getan, und so mag dieses Stück den schlichterer Geschmack am menschlichsten berühren. Wiederum enthüllt sich bisweilen gerade da, wo Hofmannsthal am grausamsten scheint, blitzartig das, was man seine Religion nennen könnte: man fühlt, daß die so künstlich und so skrupellos gewonnene Stimmung den Weihrauch bedeutet, der die Sinne in die Ahnung jener Gemeinsamkeit alles Lebens hinanf- verzücken soll. Aber was für Hofmannsthal eine Erlösung bedeutet: dies vollkommene Zusammenfließen des Einzelnen mit dem Ganzen, dürfte manchem als eine Erniedrigung erscheinen. „Du bist nichts als ein schwindeln, in einen dünnen Schleier eingehüllt", heißt es von Vittoria im „Abenteurer und der Sängerin", und solches schwindeln sind alle Gestalten des Dichters — und immer werden Menschen leben, die etwas anderes und doch auch etwas besseres sein wollen als solch ein „schwindeln" und es durch dies bloße Wollen schon wirklich sind, und die durch manches persönlich geprägte Werk auf irgend einem Gebiet mensch¬ licher Tätigkeit auch den Beweis für ihr individuell umgrenztes, im Kern ein¬ heitliches Leben erbringen. All diesen auf ihr Ich Stolzen, die deshalb noch längst nicht gegen das fließende Wesen der Natur verblendet zu sein, noch längst nicht das den Menschen umgebende Geheimnis zu leugnen brauchen, all diesen kräftigeren Persönlichkeiten vermag die zur Schicksalsdichtung fortgediehene Stimmungskunst kaum mehr zu bieten als ein großes Mißbehagen, als dessen letzten Grund man vielleicht den Verdacht angeben könnte, daß diese Welt¬ anschauung den einzelnen in ein mystisches Schicksal ----- bewegtes Ganzes nur deshalb einfließen lasse, um ihn damit der Verantwortlichkeit und Pflicht gegen die übrige Menschheit zu entbinden, um ihm den unbeschränkten und verzärtelten Genuß seines philosophisch ja regierten Ichs zu ermöglichen. Eine Bereicherung des dichterischen Gebietes konnte diese Stimmungskunst nur da bedeuten, wo sie nicht in ihrer Ausschließlichkeit geübt, wo das Ich zwar in seinen Bedrohungen gezeigt, aber doch nicht ganz verneint wurde, wo man es nicht bloß in ein verschwimmendes All einfließen ließ, sondern auch mit Pflichten und Verantwortlichkeiten gegen die Mitwelt stellte, wo man den: Schwindel zum mindesten den Wunsch nach Festigkeit beigab und die Welt nicht nur im geheimnisvollen Schimmer der Mondnacht, sondern auch im Tageslicht abschilderte. Und darin scheint mir Arthur Schnitzlers noch nicht genug gewür¬ digtes eigentümliches Verdienst zu bestehen, daß die gern auf ihn angewandte Bezeichnung eines „Stimmungsdichters" sein Schaffen eben keineswegs völlig umfaßt, daß er auch dem Festeren, Älteren, Irdischeren nicht aus dem Wege geht, daß ihm die neue Kunst nur zur Vertiefung des Psychologischen, zur Nuanzierung der Farbentöne verhilft, aber nicht zu dem schillernden Deckmantel der Ich-Verneinung, unter dem sich die von aller Verantwortung gelöste In¬ dividualität einen: bequemen Schwelgen hingeben kann. Durch seine öster¬ reichische Willensschwäche und durch sein naturwissenschaftliches (medizinisches) Studium der neuen Lehre zugeführt, wird er von einer großen Menschenliebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/180>, abgerufen am 23.07.2024.