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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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verzichten, und die Fälle sind nicht selten, in denen Offiziere beim Ausscheiden
aus dem aktiven Dienst von der Bitte um Erlaubnis zum Tragen der Uniform
absehen. Anderseits sieht man in den Reihen der inaktiven Offiziere einen
ehrengerichtlichen Spruch nicht mehr mit der Strenge an, die ihm früher begegnete.
Dem ehrengerichtlich verurteilten inaktiven Offizier ist der Kreis seiner Kameraden
nicht ohne weiteres verschlossen, erst die Gründe der Verurteilung entscheiden
über den Ausschluß. Das müßte als bedauerliche Mißachtung anerkannter
Überlieferung aufgefaßt werden, wenn nicht vielfache Erwägungen ihr doch eine
Berechtigung zugestehen würden.

Es lohnt sich, bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß ehrengericht¬
liche Verurteilung eiues Offiziers des Beurlaubtenstandes, selbst bei härterem
Spruche, ihn durchaus nicht immer als Beamten disqualifiziert. Der Beamtenstand
muß sich in seiner Autorität allerdings beträchtlich geschädigt fühlen, wenn seine
Ehre geringer eingeschätzt wird als die des Offizierstandes. Oder soll die Ehre
sür den Beamten noch als ausreichend erachtet werden, wenn sie für den Offizier
nicht mehr hinreicht? Es kann doch nur eine Ehre, eine Ehrenhaftigkeit geben.

Das ehrengerichtliche Verfahren kennt, wenn die Schuldfrage bejaht wird,
nur drei Sprüche: Erteilung einer Warnung, Entlassung mit schlichtem Abschied
(Verlust des Rechtes zum Tragen der Uniform), Entfernung aus dem Offizier¬
stande (Verlust des Offiziertitels). Das sind zu schroffe Abstufungen, um ein
präzises Abwägen zwischen Schuld und Strafe zu ermöglichen. Der Ehren¬
richter wird in den Fällen, die nicht von vornherein nach einer bestimmten
Seite drängen, oft in Gedanken zu würfeln haben, zu welchem Urteil er sich
entschließen soll; der mildere Spruch steht nicht im Einklang mit der Tat, der
schärfere erscheint ihm zu drakonisch. Mit dem Gutachten und der Abstimmung
des Ehrenrath wird dem jungen und unerfahrenen Ehrenrichter der innere
Kampf allerdings etwas erleichtert. Es kann aber Unstimmigkeit im Ehrenrate
selbst herrschen. Und es muß daran festgehalten werden, daß jeder frei nach
eigenem Gewissen urteilt. Die Anlehnung an ein anderes Urteil steht nicht im
Einklang mit der übernommenen Pflicht.

Es sollte deshalb auch vermieden werden, dein Spruchgericht eine Aller¬
höchste Willensmeinung voranzustellen. Der Fall tritt ein, wenn ein Spruch
die Bestätigung des Kontingentsherrn nicht gefunden hat mit dem ausdrück¬
lichen Vermerk, daß das Urteil als zu milde erachtet wird. Ein neues Ehren¬
gericht wird dann mit derselben Sache betraut. Der Grund der Nichtbestätigung
weist dann den Nachrichter auf mindestens den nächstschärferen Spruch hin. Hatte
das voraufgehende Ehrengericht den Spruch gefällt: Verletzung der Standesehre
und Beantragung der Entlassung mit schlichtem Abschied (Verlust des Rechtes,
die Militäruniform zu tragen), dann bleibt dem nachfolgenden Ehrengericht nur
übrig, sich auf "Schuldig der Verletzung der Standesehre unter erschwerenden
Umständen" auszusprechen und die Entfernung aus dem Offizierstande (Verlust
des Offiziertitels) zu beantragen. Sein eigenes Urteil kann dann der Ehren-


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verzichten, und die Fälle sind nicht selten, in denen Offiziere beim Ausscheiden
aus dem aktiven Dienst von der Bitte um Erlaubnis zum Tragen der Uniform
absehen. Anderseits sieht man in den Reihen der inaktiven Offiziere einen
ehrengerichtlichen Spruch nicht mehr mit der Strenge an, die ihm früher begegnete.
Dem ehrengerichtlich verurteilten inaktiven Offizier ist der Kreis seiner Kameraden
nicht ohne weiteres verschlossen, erst die Gründe der Verurteilung entscheiden
über den Ausschluß. Das müßte als bedauerliche Mißachtung anerkannter
Überlieferung aufgefaßt werden, wenn nicht vielfache Erwägungen ihr doch eine
Berechtigung zugestehen würden.

Es lohnt sich, bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß ehrengericht¬
liche Verurteilung eiues Offiziers des Beurlaubtenstandes, selbst bei härterem
Spruche, ihn durchaus nicht immer als Beamten disqualifiziert. Der Beamtenstand
muß sich in seiner Autorität allerdings beträchtlich geschädigt fühlen, wenn seine
Ehre geringer eingeschätzt wird als die des Offizierstandes. Oder soll die Ehre
sür den Beamten noch als ausreichend erachtet werden, wenn sie für den Offizier
nicht mehr hinreicht? Es kann doch nur eine Ehre, eine Ehrenhaftigkeit geben.

Das ehrengerichtliche Verfahren kennt, wenn die Schuldfrage bejaht wird,
nur drei Sprüche: Erteilung einer Warnung, Entlassung mit schlichtem Abschied
(Verlust des Rechtes zum Tragen der Uniform), Entfernung aus dem Offizier¬
stande (Verlust des Offiziertitels). Das sind zu schroffe Abstufungen, um ein
präzises Abwägen zwischen Schuld und Strafe zu ermöglichen. Der Ehren¬
richter wird in den Fällen, die nicht von vornherein nach einer bestimmten
Seite drängen, oft in Gedanken zu würfeln haben, zu welchem Urteil er sich
entschließen soll; der mildere Spruch steht nicht im Einklang mit der Tat, der
schärfere erscheint ihm zu drakonisch. Mit dem Gutachten und der Abstimmung
des Ehrenrath wird dem jungen und unerfahrenen Ehrenrichter der innere
Kampf allerdings etwas erleichtert. Es kann aber Unstimmigkeit im Ehrenrate
selbst herrschen. Und es muß daran festgehalten werden, daß jeder frei nach
eigenem Gewissen urteilt. Die Anlehnung an ein anderes Urteil steht nicht im
Einklang mit der übernommenen Pflicht.

Es sollte deshalb auch vermieden werden, dein Spruchgericht eine Aller¬
höchste Willensmeinung voranzustellen. Der Fall tritt ein, wenn ein Spruch
die Bestätigung des Kontingentsherrn nicht gefunden hat mit dem ausdrück¬
lichen Vermerk, daß das Urteil als zu milde erachtet wird. Ein neues Ehren¬
gericht wird dann mit derselben Sache betraut. Der Grund der Nichtbestätigung
weist dann den Nachrichter auf mindestens den nächstschärferen Spruch hin. Hatte
das voraufgehende Ehrengericht den Spruch gefällt: Verletzung der Standesehre
und Beantragung der Entlassung mit schlichtem Abschied (Verlust des Rechtes,
die Militäruniform zu tragen), dann bleibt dem nachfolgenden Ehrengericht nur
übrig, sich auf „Schuldig der Verletzung der Standesehre unter erschwerenden
Umständen" auszusprechen und die Entfernung aus dem Offizierstande (Verlust
des Offiziertitels) zu beantragen. Sein eigenes Urteil kann dann der Ehren-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/18>, abgerufen am 03.07.2024.