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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Die Offizier-Lhrengenchte

besondere Stellung eingeräumt, da er die Wahrheit seiner Aussage im ehren¬
gerichtlichen Verfahren nur auf Pflicht und Gewissen zu versichern braucht,
während der Bürger sie auf seinen Eid nehmen muß. Die erörterten Ansprüche
zeigen aber doch, daß die Ehrengerichte sich stark an die bürgerlichen Gerichte
anlehnen, also doch mehr sein wollen, als nur gutachtende Körperschaften.

Den Gegnern der rechtlichen Geltung der Ehrengerichte wird eine Ent¬
scheidung des Reichsgerichts in Strafsachen vom 31. Januar 1902 entgegen¬
gehalten. Das Reichsgericht hat sich in dieser Entscheidung aber nicht über die
Rechtsgültigkeit der Ehrengerichte ausgesprochen, sondern es setzt diese bei Be¬
gründung seiner Entscheidung nur voraus. Eine in das Jahr 1905 fallende
Bestreitung der Rechtsgültigkeit der Ehrengerichte bzw. ihrer Wirkung führte
bei Durchlaufung des Jnstanzenzuges zu verschiedenen Ergebnissen; das Reichs¬
gericht wurde leider nicht angerufen. Man ivird sich also vorderhand mit den:
Urteil des Kanmiergerichts, als der zuletzt angerufenen Instanz, abzufinden
haben. Das Urteil des 2. Strafsenats vom 25. Februar 1908 erkennt das
Urteil des Ehrengerichts bzw. die Bestätigung dieses durch den König als bindend
und rechtsgültig auch für den verabschiedeten Offizier an, der sich durch die
Erbietung der Uniform beim Abschied ausdrücklich der königlichen Disziplinar¬
gewalt auch für die Zeit seiner Jnaktivität unterworfen hat.

Mit diesen: Urteil können natürlich noch nicht alle Zweifel als behoben
gelten; zeigen doch schon die voraufgehenden richterlichen Entscheidungen ein
merkliches Schwanken. Die letzte Instanz ist noch nicht angerufen worden. Diese
Unsicherheit erscheint den: Ansehen der Ehrengerichte wenig förderlich. Wenn
ihnen die soziale Stellung von Männern der gebildeten Stände in die Hand
gegeben ist, wenn die Wirkung eines ehrengerichtlichen Spruches die Existenz
von Familien treffen kann, so erscheint es geboten, die Ehrengerichte auf legale,
einwandfreie Grundlage zu stellen. Die Zweifel tauchen naturgemäß in den
Reihen der inaktiven Offiziere auf, die sich mit der Zeit freiere Anschauungen
und tieferes Rechtsbewußtsein aneignen. Es wird namentlich geltend gemacht,
daß Anlaß zur Entfernung aus dem Offizierstande (Aberkennung des Osfizier-
titels) und in Verbindung damit Aberkennung der Orden und Ehrenzeichen schon
in verhältnismäßig geringfügigen Tatsachen seitens der Ehrengerichte gefunden
werden kann, während unser Strafgesetz eine derartige Degradierung nur für
Vergehen oder Verbrechen vorsieht, die eine ehrlose Gesinnung dokumentieren.
Der Offizier würde dadurch wesentlich schlechter gestellt werden als jeder andere
Staatsbürger. Die Berechtigung zum Tragen der Uniform kann für diese
Ungleichheit in der Behandlung kaum als Äquivalent anerkannt werden. Gleich¬
heit vor dem Gesetze bedingt auch gleiche Behandlung.

In den Reihen der inaktiven Offiziere wird diese Unzuträglichkeit auch
stark empfunden und vielfach als Hindernis zur Ausübung eines neuen Berufs
oder einer Tätigkeit angesehen. Es läßt sich deshalb mehr und mehr die
Neigung erkennen, nachträglich auf das Recht zum Tragen der Uniform zu


Die Offizier-Lhrengenchte

besondere Stellung eingeräumt, da er die Wahrheit seiner Aussage im ehren¬
gerichtlichen Verfahren nur auf Pflicht und Gewissen zu versichern braucht,
während der Bürger sie auf seinen Eid nehmen muß. Die erörterten Ansprüche
zeigen aber doch, daß die Ehrengerichte sich stark an die bürgerlichen Gerichte
anlehnen, also doch mehr sein wollen, als nur gutachtende Körperschaften.

Den Gegnern der rechtlichen Geltung der Ehrengerichte wird eine Ent¬
scheidung des Reichsgerichts in Strafsachen vom 31. Januar 1902 entgegen¬
gehalten. Das Reichsgericht hat sich in dieser Entscheidung aber nicht über die
Rechtsgültigkeit der Ehrengerichte ausgesprochen, sondern es setzt diese bei Be¬
gründung seiner Entscheidung nur voraus. Eine in das Jahr 1905 fallende
Bestreitung der Rechtsgültigkeit der Ehrengerichte bzw. ihrer Wirkung führte
bei Durchlaufung des Jnstanzenzuges zu verschiedenen Ergebnissen; das Reichs¬
gericht wurde leider nicht angerufen. Man ivird sich also vorderhand mit den:
Urteil des Kanmiergerichts, als der zuletzt angerufenen Instanz, abzufinden
haben. Das Urteil des 2. Strafsenats vom 25. Februar 1908 erkennt das
Urteil des Ehrengerichts bzw. die Bestätigung dieses durch den König als bindend
und rechtsgültig auch für den verabschiedeten Offizier an, der sich durch die
Erbietung der Uniform beim Abschied ausdrücklich der königlichen Disziplinar¬
gewalt auch für die Zeit seiner Jnaktivität unterworfen hat.

Mit diesen: Urteil können natürlich noch nicht alle Zweifel als behoben
gelten; zeigen doch schon die voraufgehenden richterlichen Entscheidungen ein
merkliches Schwanken. Die letzte Instanz ist noch nicht angerufen worden. Diese
Unsicherheit erscheint den: Ansehen der Ehrengerichte wenig förderlich. Wenn
ihnen die soziale Stellung von Männern der gebildeten Stände in die Hand
gegeben ist, wenn die Wirkung eines ehrengerichtlichen Spruches die Existenz
von Familien treffen kann, so erscheint es geboten, die Ehrengerichte auf legale,
einwandfreie Grundlage zu stellen. Die Zweifel tauchen naturgemäß in den
Reihen der inaktiven Offiziere auf, die sich mit der Zeit freiere Anschauungen
und tieferes Rechtsbewußtsein aneignen. Es wird namentlich geltend gemacht,
daß Anlaß zur Entfernung aus dem Offizierstande (Aberkennung des Osfizier-
titels) und in Verbindung damit Aberkennung der Orden und Ehrenzeichen schon
in verhältnismäßig geringfügigen Tatsachen seitens der Ehrengerichte gefunden
werden kann, während unser Strafgesetz eine derartige Degradierung nur für
Vergehen oder Verbrechen vorsieht, die eine ehrlose Gesinnung dokumentieren.
Der Offizier würde dadurch wesentlich schlechter gestellt werden als jeder andere
Staatsbürger. Die Berechtigung zum Tragen der Uniform kann für diese
Ungleichheit in der Behandlung kaum als Äquivalent anerkannt werden. Gleich¬
heit vor dem Gesetze bedingt auch gleiche Behandlung.

In den Reihen der inaktiven Offiziere wird diese Unzuträglichkeit auch
stark empfunden und vielfach als Hindernis zur Ausübung eines neuen Berufs
oder einer Tätigkeit angesehen. Es läßt sich deshalb mehr und mehr die
Neigung erkennen, nachträglich auf das Recht zum Tragen der Uniform zu


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[0017] Die Offizier-Lhrengenchte besondere Stellung eingeräumt, da er die Wahrheit seiner Aussage im ehren¬ gerichtlichen Verfahren nur auf Pflicht und Gewissen zu versichern braucht, während der Bürger sie auf seinen Eid nehmen muß. Die erörterten Ansprüche zeigen aber doch, daß die Ehrengerichte sich stark an die bürgerlichen Gerichte anlehnen, also doch mehr sein wollen, als nur gutachtende Körperschaften. Den Gegnern der rechtlichen Geltung der Ehrengerichte wird eine Ent¬ scheidung des Reichsgerichts in Strafsachen vom 31. Januar 1902 entgegen¬ gehalten. Das Reichsgericht hat sich in dieser Entscheidung aber nicht über die Rechtsgültigkeit der Ehrengerichte ausgesprochen, sondern es setzt diese bei Be¬ gründung seiner Entscheidung nur voraus. Eine in das Jahr 1905 fallende Bestreitung der Rechtsgültigkeit der Ehrengerichte bzw. ihrer Wirkung führte bei Durchlaufung des Jnstanzenzuges zu verschiedenen Ergebnissen; das Reichs¬ gericht wurde leider nicht angerufen. Man ivird sich also vorderhand mit den: Urteil des Kanmiergerichts, als der zuletzt angerufenen Instanz, abzufinden haben. Das Urteil des 2. Strafsenats vom 25. Februar 1908 erkennt das Urteil des Ehrengerichts bzw. die Bestätigung dieses durch den König als bindend und rechtsgültig auch für den verabschiedeten Offizier an, der sich durch die Erbietung der Uniform beim Abschied ausdrücklich der königlichen Disziplinar¬ gewalt auch für die Zeit seiner Jnaktivität unterworfen hat. Mit diesen: Urteil können natürlich noch nicht alle Zweifel als behoben gelten; zeigen doch schon die voraufgehenden richterlichen Entscheidungen ein merkliches Schwanken. Die letzte Instanz ist noch nicht angerufen worden. Diese Unsicherheit erscheint den: Ansehen der Ehrengerichte wenig förderlich. Wenn ihnen die soziale Stellung von Männern der gebildeten Stände in die Hand gegeben ist, wenn die Wirkung eines ehrengerichtlichen Spruches die Existenz von Familien treffen kann, so erscheint es geboten, die Ehrengerichte auf legale, einwandfreie Grundlage zu stellen. Die Zweifel tauchen naturgemäß in den Reihen der inaktiven Offiziere auf, die sich mit der Zeit freiere Anschauungen und tieferes Rechtsbewußtsein aneignen. Es wird namentlich geltend gemacht, daß Anlaß zur Entfernung aus dem Offizierstande (Aberkennung des Osfizier- titels) und in Verbindung damit Aberkennung der Orden und Ehrenzeichen schon in verhältnismäßig geringfügigen Tatsachen seitens der Ehrengerichte gefunden werden kann, während unser Strafgesetz eine derartige Degradierung nur für Vergehen oder Verbrechen vorsieht, die eine ehrlose Gesinnung dokumentieren. Der Offizier würde dadurch wesentlich schlechter gestellt werden als jeder andere Staatsbürger. Die Berechtigung zum Tragen der Uniform kann für diese Ungleichheit in der Behandlung kaum als Äquivalent anerkannt werden. Gleich¬ heit vor dem Gesetze bedingt auch gleiche Behandlung. In den Reihen der inaktiven Offiziere wird diese Unzuträglichkeit auch stark empfunden und vielfach als Hindernis zur Ausübung eines neuen Berufs oder einer Tätigkeit angesehen. Es läßt sich deshalb mehr und mehr die Neigung erkennen, nachträglich auf das Recht zum Tragen der Uniform zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/17>, abgerufen am 23.07.2024.