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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Die Offizier-Ehrengerichte

richter nicht mehr in die Wagschale werfen, sein Gewissen steht unter dem Zwang
der Allerhöchsten Willensmeinung.

Warum aber, muß man fragen, versagte man bis vor kurzem dem inaktiven
Offizier jede Teilnahme an den Ehrengerichten und gesteht ihm neuerdings den
Zutritt zu den Spruchgerichten nur in dem Falle zu, wenn diese über einen
inaktiven Offizier zu befinden haben? Der aktive Offizier bzw. der Offizier des
Beurlaubtenstandes darf ehrengerichtlich über den verabschiedeten Offizier urteilen,
nicht umgekehrt. Dem vorwurfsfrei gedienten und erfahrenen Offizier kam eine
bessere Bewertung zu, als sich in dieser Ungleichheit ausspricht. Der Ausschluß
bzw. die Beschränkung der Teilnahme muß Mißtrauen erwecken, das in schroffem
Widerspruch zu dem Vertrauen steht, mit dem man dem verabschiedeten Offizier
das Forttragen der Uniform gestattete. Oder fürchtet man die größere Unab¬
hängigkeit des inaktiven Offiziers und eine allzu freie Auffassung für Ehrbegriffe?
Es ist oft betont worden, daß sich in der Erlaubnis zum Tragen der Uniform
die Fortdauer der Teilnahme an der Standesehre aussprechen soll; in dem oben
bezeichneten Ausschluß bzw. in der Beschränkung der Teilnahme an den Spruch¬
gerichten läßt sich die Fortdauer allerdings schwer erkennen. Bei der großen
Zahl inaktiver Offiziere, die wir im Deutschen Reiche haben, könnte sogar die
Forderung erhoben werden, für diese besondere Ehrengerichte mit gleicher
Organisation und Kompetenz zu bilden, wie sie den bestehenden innewohnt.
Die aus der Aktivität übernommenen Überlieferungen bestehen ja fort. Man
übersehe nur nicht, daß dem Offizier mit dem Ausscheiden aus der Armee die
Allsübung der politischen Rechte zusteht, daß ein neuer Beruf auch neue Pflichten
mit sich bringt. Freie Aussprache und der Ausdruck der politischen Überzeugung
dürfen ebensowenig, wie bei den Offizieren des beurlaubten Standes, unter
ehrengerichtliche Anklage gestellt werden, sie sind das Recht des Staatsbürgers.
Es ist selbstredend, daß der inaktive Offizier mit der Erlaubnis zum Tragen
der Uniform gewisse Pflichten übernimmt und sich dementsprechend in manchen
Dingen eine Reserve aufzuerlegen hat. Man erleichtere aber dem inaktiven
Offizier den Verzicht auf das Recht zum Tragen der Uniform, wenn er später
die Notwendigkeit einsteht, um solchen einzukommen.

Es ist Eingangs der Betrachtung gezeigt worden, daß die Einführung der
Ehrengerichte einer nie geahnten Katastrophe folgte, die einen außergewöhnlichen
Tiefstand des militärischen Geistes, des Begriffs für Ehre und Pflicht verriet.
Das vortreffliche Offizierkorps Friedrichs des Zweiten, das dem großen Könige
zu unerhörten Erfolgen verhalf, kannte kein Ehrengericht. Auch heute bestehen
solche in vielen Heeren noch nicht. Weder das Offizierkorps der britischen
Marille, noch das des Landheeres ist einem Ehrengericht unterworfen. Es ist
unbekannt in den skandinavischen Heeren, im Türkischen und Japanischen. Das
russische Offizierkorps dagegen ist Ehrengerichten unterworfen, trotzdem zeigte es
sich in der Mandschurei dem japanischen weit unterlegen. Es muß bezweifelt
werden, daß Ehrengerichte einen Einfluß auf die Qualität des Offizierkorps


Die Offizier-Ehrengerichte

richter nicht mehr in die Wagschale werfen, sein Gewissen steht unter dem Zwang
der Allerhöchsten Willensmeinung.

Warum aber, muß man fragen, versagte man bis vor kurzem dem inaktiven
Offizier jede Teilnahme an den Ehrengerichten und gesteht ihm neuerdings den
Zutritt zu den Spruchgerichten nur in dem Falle zu, wenn diese über einen
inaktiven Offizier zu befinden haben? Der aktive Offizier bzw. der Offizier des
Beurlaubtenstandes darf ehrengerichtlich über den verabschiedeten Offizier urteilen,
nicht umgekehrt. Dem vorwurfsfrei gedienten und erfahrenen Offizier kam eine
bessere Bewertung zu, als sich in dieser Ungleichheit ausspricht. Der Ausschluß
bzw. die Beschränkung der Teilnahme muß Mißtrauen erwecken, das in schroffem
Widerspruch zu dem Vertrauen steht, mit dem man dem verabschiedeten Offizier
das Forttragen der Uniform gestattete. Oder fürchtet man die größere Unab¬
hängigkeit des inaktiven Offiziers und eine allzu freie Auffassung für Ehrbegriffe?
Es ist oft betont worden, daß sich in der Erlaubnis zum Tragen der Uniform
die Fortdauer der Teilnahme an der Standesehre aussprechen soll; in dem oben
bezeichneten Ausschluß bzw. in der Beschränkung der Teilnahme an den Spruch¬
gerichten läßt sich die Fortdauer allerdings schwer erkennen. Bei der großen
Zahl inaktiver Offiziere, die wir im Deutschen Reiche haben, könnte sogar die
Forderung erhoben werden, für diese besondere Ehrengerichte mit gleicher
Organisation und Kompetenz zu bilden, wie sie den bestehenden innewohnt.
Die aus der Aktivität übernommenen Überlieferungen bestehen ja fort. Man
übersehe nur nicht, daß dem Offizier mit dem Ausscheiden aus der Armee die
Allsübung der politischen Rechte zusteht, daß ein neuer Beruf auch neue Pflichten
mit sich bringt. Freie Aussprache und der Ausdruck der politischen Überzeugung
dürfen ebensowenig, wie bei den Offizieren des beurlaubten Standes, unter
ehrengerichtliche Anklage gestellt werden, sie sind das Recht des Staatsbürgers.
Es ist selbstredend, daß der inaktive Offizier mit der Erlaubnis zum Tragen
der Uniform gewisse Pflichten übernimmt und sich dementsprechend in manchen
Dingen eine Reserve aufzuerlegen hat. Man erleichtere aber dem inaktiven
Offizier den Verzicht auf das Recht zum Tragen der Uniform, wenn er später
die Notwendigkeit einsteht, um solchen einzukommen.

Es ist Eingangs der Betrachtung gezeigt worden, daß die Einführung der
Ehrengerichte einer nie geahnten Katastrophe folgte, die einen außergewöhnlichen
Tiefstand des militärischen Geistes, des Begriffs für Ehre und Pflicht verriet.
Das vortreffliche Offizierkorps Friedrichs des Zweiten, das dem großen Könige
zu unerhörten Erfolgen verhalf, kannte kein Ehrengericht. Auch heute bestehen
solche in vielen Heeren noch nicht. Weder das Offizierkorps der britischen
Marille, noch das des Landheeres ist einem Ehrengericht unterworfen. Es ist
unbekannt in den skandinavischen Heeren, im Türkischen und Japanischen. Das
russische Offizierkorps dagegen ist Ehrengerichten unterworfen, trotzdem zeigte es
sich in der Mandschurei dem japanischen weit unterlegen. Es muß bezweifelt
werden, daß Ehrengerichte einen Einfluß auf die Qualität des Offizierkorps


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/19>, abgerufen am 03.07.2024.