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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Nenroiener Schicksals- und Stimmungsdichtung

Aber schließlich müssen sich der lyrische Erguß, besonders der sprachprunkende,
und die mystische Verschleierung immer als Feind des klares Handeln fordernden
Dramas zeigen. Wenn sich die Andeutung des Gespenstischen in ständigen
Variationen wiederholt und dabei ein rüstiges Fortschreiten der klaren Ge¬
schehnisse, eine kräftige Fortentwicklung der Charaktere unterbleibt, wird das
erst überreizte Interesse des Hörers eingeschläfert. Solch eine einschläfernde
Wirkung üben die späteren breiten und dunklen Akte des Dramas, das den
Schicksalsverfolgten allzu langsam und allzu lyrisch bis zu seiner Vermählung
mit Jokaste geleitet.

Und Hofmannsthal kann diesem Verharren im Mystischen und sprach¬
schwelgerisch Lyrischen nicht entgehen, weil es ihm Sache des Prinzips ist. In
seinen "Prosaischen Schriften" sagt er einmal: "Wir sind reicher an Gedanken
als der endlose Meeresstrand an Muscheln. Was uns nottut, ist der Hauch.
Wovon unsere Seele sich nährt, das ist das Gedicht, in welchem, wie im
Sommerabendwind, der über die frisch gemähten Wiesen streicht, zugleich ein
Hauch von Tod und Leben zu uns herschwebt, eine Ahnung des Blühens, ein
Schauder des Verwesens, ein Jetzt, ein Hier und zugleich ein Jenseits, ein
ungeheures Jenseits." Da hat man also wieder die Geringschätzung, wenn nicht
Negierung der Klarheit im Individuum, die Sehnsucht nach der Berührung mit
dem geheimnisvollen Wogen der Ganzheit des Lebens und dazu die Meinung,
daß die letzte Aufgabe des Dichters darin bestehe, die Ahnung solcher Zusammen¬
gehörigkeit mit dem fließenden Ganzen hervorzurufen. Es mag mit dieser
Geringschätzung des einzelnen ^und dieser Verehrung des mystischen Ganzen
zusammenhängen, daß Hofmannsthal der Sprache eine übergroße Bedeutung
beilegt; sie ist ihm nicht nur Gefäß des Gedankens, sondern auch die Trägerin
der Bezauberungen, die dem Menschen jenes eigentümliche Gefühl, dem ganzen
Leben eingefügt zu sein, aufzwingen, sie lebt fast unabhängig vom einzelnen
Dichter eine Art eigenen mystischen Lebens. Nun könnte man einen Augenblick
meinen, ein so auf lyrische Mystik Gestellter habe der Bühne völlig zu entsagen;
aber tatsächlich erwächst aus dem Bemühen, den Menschen nicht nur durch klaren
Gedanken und klares Gefühl zu erheben, ihn vielmehr durch das Ahnenlassen
geheimnisvoller Zusammenhänge zu bezaubern, in eine Art Rausch zu versetzen,
mit Notwendigkeit das Verlangen nach Bühnenwirkung. Gewiß, den stärksten
Zauber sollen das Wort und sein Rhythmus selber ausüben: aber welche Hilfs¬
kräfte strömen dem, der bestrickende Wirkungen erzielen will, aus dein Klang
des gesprochenen Wortes, aus der Gebärde des Sprechenden, aus Form und
Farbe eines plastisch dargestellten Ortes, aus dem Wechsel seltsamer Beleuchtungen,
kurzum aus dem ganzen, vielfältigen Apparat der Bühnenkunst. Es läßt sich
diese auf Verzückung der Sinne und Verwischung des scharfumgrenzten Denkens
ausgehende Theaterkunst, wie sie am stärksten auf deu Reinhardtschen Bühnen
ausgebildet wurde, mit den schwelgerisch schönen Formen katholischer Kirchlichkeit
vergleichen, woraus sich denn zur Genüge erklärt, daß solches Bühnenwesen


Nenroiener Schicksals- und Stimmungsdichtung

Aber schließlich müssen sich der lyrische Erguß, besonders der sprachprunkende,
und die mystische Verschleierung immer als Feind des klares Handeln fordernden
Dramas zeigen. Wenn sich die Andeutung des Gespenstischen in ständigen
Variationen wiederholt und dabei ein rüstiges Fortschreiten der klaren Ge¬
schehnisse, eine kräftige Fortentwicklung der Charaktere unterbleibt, wird das
erst überreizte Interesse des Hörers eingeschläfert. Solch eine einschläfernde
Wirkung üben die späteren breiten und dunklen Akte des Dramas, das den
Schicksalsverfolgten allzu langsam und allzu lyrisch bis zu seiner Vermählung
mit Jokaste geleitet.

Und Hofmannsthal kann diesem Verharren im Mystischen und sprach¬
schwelgerisch Lyrischen nicht entgehen, weil es ihm Sache des Prinzips ist. In
seinen „Prosaischen Schriften" sagt er einmal: „Wir sind reicher an Gedanken
als der endlose Meeresstrand an Muscheln. Was uns nottut, ist der Hauch.
Wovon unsere Seele sich nährt, das ist das Gedicht, in welchem, wie im
Sommerabendwind, der über die frisch gemähten Wiesen streicht, zugleich ein
Hauch von Tod und Leben zu uns herschwebt, eine Ahnung des Blühens, ein
Schauder des Verwesens, ein Jetzt, ein Hier und zugleich ein Jenseits, ein
ungeheures Jenseits." Da hat man also wieder die Geringschätzung, wenn nicht
Negierung der Klarheit im Individuum, die Sehnsucht nach der Berührung mit
dem geheimnisvollen Wogen der Ganzheit des Lebens und dazu die Meinung,
daß die letzte Aufgabe des Dichters darin bestehe, die Ahnung solcher Zusammen¬
gehörigkeit mit dem fließenden Ganzen hervorzurufen. Es mag mit dieser
Geringschätzung des einzelnen ^und dieser Verehrung des mystischen Ganzen
zusammenhängen, daß Hofmannsthal der Sprache eine übergroße Bedeutung
beilegt; sie ist ihm nicht nur Gefäß des Gedankens, sondern auch die Trägerin
der Bezauberungen, die dem Menschen jenes eigentümliche Gefühl, dem ganzen
Leben eingefügt zu sein, aufzwingen, sie lebt fast unabhängig vom einzelnen
Dichter eine Art eigenen mystischen Lebens. Nun könnte man einen Augenblick
meinen, ein so auf lyrische Mystik Gestellter habe der Bühne völlig zu entsagen;
aber tatsächlich erwächst aus dem Bemühen, den Menschen nicht nur durch klaren
Gedanken und klares Gefühl zu erheben, ihn vielmehr durch das Ahnenlassen
geheimnisvoller Zusammenhänge zu bezaubern, in eine Art Rausch zu versetzen,
mit Notwendigkeit das Verlangen nach Bühnenwirkung. Gewiß, den stärksten
Zauber sollen das Wort und sein Rhythmus selber ausüben: aber welche Hilfs¬
kräfte strömen dem, der bestrickende Wirkungen erzielen will, aus dein Klang
des gesprochenen Wortes, aus der Gebärde des Sprechenden, aus Form und
Farbe eines plastisch dargestellten Ortes, aus dem Wechsel seltsamer Beleuchtungen,
kurzum aus dem ganzen, vielfältigen Apparat der Bühnenkunst. Es läßt sich
diese auf Verzückung der Sinne und Verwischung des scharfumgrenzten Denkens
ausgehende Theaterkunst, wie sie am stärksten auf deu Reinhardtschen Bühnen
ausgebildet wurde, mit den schwelgerisch schönen Formen katholischer Kirchlichkeit
vergleichen, woraus sich denn zur Genüge erklärt, daß solches Bühnenwesen


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[0177] Nenroiener Schicksals- und Stimmungsdichtung Aber schließlich müssen sich der lyrische Erguß, besonders der sprachprunkende, und die mystische Verschleierung immer als Feind des klares Handeln fordernden Dramas zeigen. Wenn sich die Andeutung des Gespenstischen in ständigen Variationen wiederholt und dabei ein rüstiges Fortschreiten der klaren Ge¬ schehnisse, eine kräftige Fortentwicklung der Charaktere unterbleibt, wird das erst überreizte Interesse des Hörers eingeschläfert. Solch eine einschläfernde Wirkung üben die späteren breiten und dunklen Akte des Dramas, das den Schicksalsverfolgten allzu langsam und allzu lyrisch bis zu seiner Vermählung mit Jokaste geleitet. Und Hofmannsthal kann diesem Verharren im Mystischen und sprach¬ schwelgerisch Lyrischen nicht entgehen, weil es ihm Sache des Prinzips ist. In seinen „Prosaischen Schriften" sagt er einmal: „Wir sind reicher an Gedanken als der endlose Meeresstrand an Muscheln. Was uns nottut, ist der Hauch. Wovon unsere Seele sich nährt, das ist das Gedicht, in welchem, wie im Sommerabendwind, der über die frisch gemähten Wiesen streicht, zugleich ein Hauch von Tod und Leben zu uns herschwebt, eine Ahnung des Blühens, ein Schauder des Verwesens, ein Jetzt, ein Hier und zugleich ein Jenseits, ein ungeheures Jenseits." Da hat man also wieder die Geringschätzung, wenn nicht Negierung der Klarheit im Individuum, die Sehnsucht nach der Berührung mit dem geheimnisvollen Wogen der Ganzheit des Lebens und dazu die Meinung, daß die letzte Aufgabe des Dichters darin bestehe, die Ahnung solcher Zusammen¬ gehörigkeit mit dem fließenden Ganzen hervorzurufen. Es mag mit dieser Geringschätzung des einzelnen ^und dieser Verehrung des mystischen Ganzen zusammenhängen, daß Hofmannsthal der Sprache eine übergroße Bedeutung beilegt; sie ist ihm nicht nur Gefäß des Gedankens, sondern auch die Trägerin der Bezauberungen, die dem Menschen jenes eigentümliche Gefühl, dem ganzen Leben eingefügt zu sein, aufzwingen, sie lebt fast unabhängig vom einzelnen Dichter eine Art eigenen mystischen Lebens. Nun könnte man einen Augenblick meinen, ein so auf lyrische Mystik Gestellter habe der Bühne völlig zu entsagen; aber tatsächlich erwächst aus dem Bemühen, den Menschen nicht nur durch klaren Gedanken und klares Gefühl zu erheben, ihn vielmehr durch das Ahnenlassen geheimnisvoller Zusammenhänge zu bezaubern, in eine Art Rausch zu versetzen, mit Notwendigkeit das Verlangen nach Bühnenwirkung. Gewiß, den stärksten Zauber sollen das Wort und sein Rhythmus selber ausüben: aber welche Hilfs¬ kräfte strömen dem, der bestrickende Wirkungen erzielen will, aus dein Klang des gesprochenen Wortes, aus der Gebärde des Sprechenden, aus Form und Farbe eines plastisch dargestellten Ortes, aus dem Wechsel seltsamer Beleuchtungen, kurzum aus dem ganzen, vielfältigen Apparat der Bühnenkunst. Es läßt sich diese auf Verzückung der Sinne und Verwischung des scharfumgrenzten Denkens ausgehende Theaterkunst, wie sie am stärksten auf deu Reinhardtschen Bühnen ausgebildet wurde, mit den schwelgerisch schönen Formen katholischer Kirchlichkeit vergleichen, woraus sich denn zur Genüge erklärt, daß solches Bühnenwesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/177>, abgerufen am 23.07.2024.