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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Eine Erinnerung, eine Mahnung und eine Hoffnung

Hat denn das Kongoland vor dem Susgebiet gar keine Vorzüge?
Ich spreche nicht von dem Unterschied des Flächeninhalts. Die nationalistische
Presse wiegt diesen Vorzug der Kongoentschädigung mit großer Leichtigkeit durch
den Vorwurf auf, daß es sich ja nur um Tschadsümpfe handele. Von geographischer
Kenntnis ist dieser Vorwurf ja nicht allzusehr angekränkelt. Ich bin nicht zu¬
ständig, zweifle aber, ob das Susgebiet lauter Ackerboden und nicht manche
Steinwüste enthält. Niemand streitet, daß es an Erzfunden einen Vorsprung
hat, von demi man freilich noch nicht wissen kann, ob er in den: noch so herzlich
wenig erforschten Kongoland nicht sollte eingeholt werden können. Schließlich
ist doch der Gummireichtum des Kongolandes auch ein Vorteil, und wenn das
Susgebiet als Baumwollland gepriesen wird, so sei doch mit allem schuldigen
Respekt daran erinnert, daß es noch nicht viele Jahre her sind, daß auf Mittel¬
afrika von den Baumwollkonsumenten ganz ansehnliche Hoffnungen gesetzt wurden.
Allerdings, wenn man heute die nationalistische Presse liest, so wundert man
sich, mit welcher despektierlichen Handbewegung jetzt selbst Kamerun beiseite
geschoben wird im Vergleich mit dem herrlichen, dem einzigen, dem unerreich¬
baren Susgebiet. Und doch wurde bis zum Auftauchen der Suffrage unser
Kamerun auch in der nationalistischen Presse stets als aussichtsreichste unserer
Kolonien ausgegeben. Heute ist das anders. Es steckt eben auch in der Politik
viel Eigensinn.

Ein Etwas aber, das der Entschädigung am Kongo einen unschätzbaren
Wert gibt, das ist ihre Fähigkeit, das Bindeglied zu werden für die Konso¬
lidierung unseres afrikanischen Kolonialreiches. Das Susland würde zu dem zer¬
stückelten Herrschaftsbesitz in Afrika noch ein weiteres Stück zusammenhangslos
hinzufügen. Gewiß, für die militärische Behauptung einer etwaigen Suskolonie
macht deren Entfernung vom Hauptstock unseres kolonialen Besitzes nichts aus.
Dieser wird ja nicht auf afrikanischer Erde verteidigt, sondern in Enropa und im
Indischen Ozean. Aber für die Verwaltung, für die wirtschaftliche Ausnutzung,
für die Verkehrserschließung und die agrarische und industrielle Ausbeutung ist
es ein Unterschied, ob unser Kolonialgebiet in einzelnen Stücken über ganz
Afrika zerstreut liegt oder ob es sich zu einer großen Herrschafts- und Verkehrs-
cinheit zusammenfügen läßt. Sicherlich: auch die Abtretungen am Kongo machen
Deutsch-Ost- und Westafrika noch zu keinem zusammenhängenden Kolonialreich,
und zwischen der Mitte des schwarzen Erdteils und dem Südwesten klafft noch
die Angolalücke. Aber die Entwicklungsmöglichkeiten zur Vereinheitlichung sind
mit der Abtretung am Kongo gegeben. Wir können schon dann eine dem
Einfluß der Weltmächte entrückte Bahnverbindung zwischen Ostafrika und dem
vergrößerten Kamerun durch das den Wechselfällen des Krieges entzogene neu¬
trale Belgisch-Kongo führen. Und der Zuknnftsentwicklung sind leine Grenzen
gesetzt. Koloniale Erwerbungen sind, wenn sie nicht durch Friedensschlüsse be¬
dingt werden, Handelsgeschäfte, also ohne Beeinträchtigung des nationalen Ehren-
punktes auch im Frieden möglich. Wer will heute, wo wir sogar von der


Eine Erinnerung, eine Mahnung und eine Hoffnung

Hat denn das Kongoland vor dem Susgebiet gar keine Vorzüge?
Ich spreche nicht von dem Unterschied des Flächeninhalts. Die nationalistische
Presse wiegt diesen Vorzug der Kongoentschädigung mit großer Leichtigkeit durch
den Vorwurf auf, daß es sich ja nur um Tschadsümpfe handele. Von geographischer
Kenntnis ist dieser Vorwurf ja nicht allzusehr angekränkelt. Ich bin nicht zu¬
ständig, zweifle aber, ob das Susgebiet lauter Ackerboden und nicht manche
Steinwüste enthält. Niemand streitet, daß es an Erzfunden einen Vorsprung
hat, von demi man freilich noch nicht wissen kann, ob er in den: noch so herzlich
wenig erforschten Kongoland nicht sollte eingeholt werden können. Schließlich
ist doch der Gummireichtum des Kongolandes auch ein Vorteil, und wenn das
Susgebiet als Baumwollland gepriesen wird, so sei doch mit allem schuldigen
Respekt daran erinnert, daß es noch nicht viele Jahre her sind, daß auf Mittel¬
afrika von den Baumwollkonsumenten ganz ansehnliche Hoffnungen gesetzt wurden.
Allerdings, wenn man heute die nationalistische Presse liest, so wundert man
sich, mit welcher despektierlichen Handbewegung jetzt selbst Kamerun beiseite
geschoben wird im Vergleich mit dem herrlichen, dem einzigen, dem unerreich¬
baren Susgebiet. Und doch wurde bis zum Auftauchen der Suffrage unser
Kamerun auch in der nationalistischen Presse stets als aussichtsreichste unserer
Kolonien ausgegeben. Heute ist das anders. Es steckt eben auch in der Politik
viel Eigensinn.

Ein Etwas aber, das der Entschädigung am Kongo einen unschätzbaren
Wert gibt, das ist ihre Fähigkeit, das Bindeglied zu werden für die Konso¬
lidierung unseres afrikanischen Kolonialreiches. Das Susland würde zu dem zer¬
stückelten Herrschaftsbesitz in Afrika noch ein weiteres Stück zusammenhangslos
hinzufügen. Gewiß, für die militärische Behauptung einer etwaigen Suskolonie
macht deren Entfernung vom Hauptstock unseres kolonialen Besitzes nichts aus.
Dieser wird ja nicht auf afrikanischer Erde verteidigt, sondern in Enropa und im
Indischen Ozean. Aber für die Verwaltung, für die wirtschaftliche Ausnutzung,
für die Verkehrserschließung und die agrarische und industrielle Ausbeutung ist
es ein Unterschied, ob unser Kolonialgebiet in einzelnen Stücken über ganz
Afrika zerstreut liegt oder ob es sich zu einer großen Herrschafts- und Verkehrs-
cinheit zusammenfügen läßt. Sicherlich: auch die Abtretungen am Kongo machen
Deutsch-Ost- und Westafrika noch zu keinem zusammenhängenden Kolonialreich,
und zwischen der Mitte des schwarzen Erdteils und dem Südwesten klafft noch
die Angolalücke. Aber die Entwicklungsmöglichkeiten zur Vereinheitlichung sind
mit der Abtretung am Kongo gegeben. Wir können schon dann eine dem
Einfluß der Weltmächte entrückte Bahnverbindung zwischen Ostafrika und dem
vergrößerten Kamerun durch das den Wechselfällen des Krieges entzogene neu¬
trale Belgisch-Kongo führen. Und der Zuknnftsentwicklung sind leine Grenzen
gesetzt. Koloniale Erwerbungen sind, wenn sie nicht durch Friedensschlüsse be¬
dingt werden, Handelsgeschäfte, also ohne Beeinträchtigung des nationalen Ehren-
punktes auch im Frieden möglich. Wer will heute, wo wir sogar von der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/170>, abgerufen am 01.07.2024.