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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Die Vffizier-Ehrengerichte

Verfassung, der am Schlüsse sagt, daß behufs Erhaltung der unentbehrlichen
Einheit in der Administration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung aller
Truppenteile des deutschen Heeres die bezüglichen künstig ergehenden An¬
ordnungen für die preußische Armee den Kommandeuren der übrigen
Kontingente durch den Artikel 8 Ur. 1 der R.-V. bezeichneten Ausschuß
für das Landheer und die Festungen zur Nachachtung in geeigneter Weise
mitzuteilen sind. Unter den in Rede stehenden "Anordnungen" sind aber doch
wohl keine Armeebefehle im landläufigen Sinne verstanden -- die An¬
ordnungen sehen hier nur administrative Fragen vor, die naturgemäß
einheitlich sür alle Heereskontingente gehandhabt werden müssen. Ehrengerichts-
verorduungen können kaum nnter die "Anordnungen" des Artikels 63 der
R.-V. gerechnet werden.

Ganz verfehlt erscheint die Auffassung, in den ehrengerichtlichen Verord¬
nungen nur einen Befehl zur gutachtlichen Äußerung der Kameraden zu erkennen.
Das Fehlen der ministeriellen Gegenzeichnung könnte diese Auffassung stützen;
sie könnte ferner aus Passus 60 der Verordnung vom 15. Juli 1910 gefolgert
werden, der besagt, daß sich der oberste Kriegsherr die Entscheidung auf Grund
des vorgelegten Spruches vorbehält.

Die rechtliche Unterlage der Ehrengerichte würde mit dieser Auffassung
aber noch mehr geschwächt werden, und es behielten diejenigen recht, die sich
ihrer Wirkung widersetzen. Der ganze Aufbau der ehrengerichtlichen Verord¬
nungen widerspricht dieser Auslegung, außerdem begegnet ihr die von den Ehren¬
gerichten beanspruchte Zeugnis- und Eidespflicht der Zivilpersonen, sowie die
prätendierte Mithilfepflicht der Gerichte, die für bloße Gutachten nicht in An¬
spruch genommen werden können.

Die erwähnte Zeugnispflicht wird aus einer Kabinettsorder vom Is.Juli 1844
gefolgert, während die Rechtshilfepflicht der Gerichte mit einer Verordnung von:
2. Januar 1349 begründet wird, nach der Gericht und Verwaltung sich gegen¬
seitig unterstützen sollen. Diesen: Anspruch wird entgegengehalten, daß die Ein¬
führungsorder für die Ehrengerichte vom 2. Mai 1874 ausdrücklich betont, daß
alle älteren Bestimmungen aufgehoben sind. Sind unter der Aufhebung auch
die vorerwähnte Kabinettsorder sowie die Verfügung gemeint, oder sind diese
in Kraft geblieben bzw. in die Verfassung mit übernommen worden? Wer die
Frage bejaht, kann sie nur für den Umfang der preußischen Monarchie gelten
lassen, und wir ständen also vor der Tatsache, daß schon innerhalb des preußischen
Heereskontingents die Ermittlung der Tatumstände im ehrengerichtlichen Ver¬
fahren ganz verschiedene Wege einschlagen müßte, da Zeugnis- und Mithilfe¬
pflicht der Gerichte außerhalb des Bundesstaates Preußen nicht mehr gewähr¬
leistet werden können. Für die uichtpreußischen Kontingente würde die genannte
Pflicht überhaupt nicht bestehen. Der Unterschied in dem Ermittlungsverfahren
würde sich zweifellos bei dem Ergebnis ausdrücken. Die Zeugnispflicht in oben
angedeuteten Umfang zugegeben, warum wird aber dann dem Offizier eine


Die Vffizier-Ehrengerichte

Verfassung, der am Schlüsse sagt, daß behufs Erhaltung der unentbehrlichen
Einheit in der Administration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung aller
Truppenteile des deutschen Heeres die bezüglichen künstig ergehenden An¬
ordnungen für die preußische Armee den Kommandeuren der übrigen
Kontingente durch den Artikel 8 Ur. 1 der R.-V. bezeichneten Ausschuß
für das Landheer und die Festungen zur Nachachtung in geeigneter Weise
mitzuteilen sind. Unter den in Rede stehenden „Anordnungen" sind aber doch
wohl keine Armeebefehle im landläufigen Sinne verstanden — die An¬
ordnungen sehen hier nur administrative Fragen vor, die naturgemäß
einheitlich sür alle Heereskontingente gehandhabt werden müssen. Ehrengerichts-
verorduungen können kaum nnter die „Anordnungen" des Artikels 63 der
R.-V. gerechnet werden.

Ganz verfehlt erscheint die Auffassung, in den ehrengerichtlichen Verord¬
nungen nur einen Befehl zur gutachtlichen Äußerung der Kameraden zu erkennen.
Das Fehlen der ministeriellen Gegenzeichnung könnte diese Auffassung stützen;
sie könnte ferner aus Passus 60 der Verordnung vom 15. Juli 1910 gefolgert
werden, der besagt, daß sich der oberste Kriegsherr die Entscheidung auf Grund
des vorgelegten Spruches vorbehält.

Die rechtliche Unterlage der Ehrengerichte würde mit dieser Auffassung
aber noch mehr geschwächt werden, und es behielten diejenigen recht, die sich
ihrer Wirkung widersetzen. Der ganze Aufbau der ehrengerichtlichen Verord¬
nungen widerspricht dieser Auslegung, außerdem begegnet ihr die von den Ehren¬
gerichten beanspruchte Zeugnis- und Eidespflicht der Zivilpersonen, sowie die
prätendierte Mithilfepflicht der Gerichte, die für bloße Gutachten nicht in An¬
spruch genommen werden können.

Die erwähnte Zeugnispflicht wird aus einer Kabinettsorder vom Is.Juli 1844
gefolgert, während die Rechtshilfepflicht der Gerichte mit einer Verordnung von:
2. Januar 1349 begründet wird, nach der Gericht und Verwaltung sich gegen¬
seitig unterstützen sollen. Diesen: Anspruch wird entgegengehalten, daß die Ein¬
führungsorder für die Ehrengerichte vom 2. Mai 1874 ausdrücklich betont, daß
alle älteren Bestimmungen aufgehoben sind. Sind unter der Aufhebung auch
die vorerwähnte Kabinettsorder sowie die Verfügung gemeint, oder sind diese
in Kraft geblieben bzw. in die Verfassung mit übernommen worden? Wer die
Frage bejaht, kann sie nur für den Umfang der preußischen Monarchie gelten
lassen, und wir ständen also vor der Tatsache, daß schon innerhalb des preußischen
Heereskontingents die Ermittlung der Tatumstände im ehrengerichtlichen Ver¬
fahren ganz verschiedene Wege einschlagen müßte, da Zeugnis- und Mithilfe¬
pflicht der Gerichte außerhalb des Bundesstaates Preußen nicht mehr gewähr¬
leistet werden können. Für die uichtpreußischen Kontingente würde die genannte
Pflicht überhaupt nicht bestehen. Der Unterschied in dem Ermittlungsverfahren
würde sich zweifellos bei dem Ergebnis ausdrücken. Die Zeugnispflicht in oben
angedeuteten Umfang zugegeben, warum wird aber dann dem Offizier eine


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[0016] Die Vffizier-Ehrengerichte Verfassung, der am Schlüsse sagt, daß behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung aller Truppenteile des deutschen Heeres die bezüglichen künstig ergehenden An¬ ordnungen für die preußische Armee den Kommandeuren der übrigen Kontingente durch den Artikel 8 Ur. 1 der R.-V. bezeichneten Ausschuß für das Landheer und die Festungen zur Nachachtung in geeigneter Weise mitzuteilen sind. Unter den in Rede stehenden „Anordnungen" sind aber doch wohl keine Armeebefehle im landläufigen Sinne verstanden — die An¬ ordnungen sehen hier nur administrative Fragen vor, die naturgemäß einheitlich sür alle Heereskontingente gehandhabt werden müssen. Ehrengerichts- verorduungen können kaum nnter die „Anordnungen" des Artikels 63 der R.-V. gerechnet werden. Ganz verfehlt erscheint die Auffassung, in den ehrengerichtlichen Verord¬ nungen nur einen Befehl zur gutachtlichen Äußerung der Kameraden zu erkennen. Das Fehlen der ministeriellen Gegenzeichnung könnte diese Auffassung stützen; sie könnte ferner aus Passus 60 der Verordnung vom 15. Juli 1910 gefolgert werden, der besagt, daß sich der oberste Kriegsherr die Entscheidung auf Grund des vorgelegten Spruches vorbehält. Die rechtliche Unterlage der Ehrengerichte würde mit dieser Auffassung aber noch mehr geschwächt werden, und es behielten diejenigen recht, die sich ihrer Wirkung widersetzen. Der ganze Aufbau der ehrengerichtlichen Verord¬ nungen widerspricht dieser Auslegung, außerdem begegnet ihr die von den Ehren¬ gerichten beanspruchte Zeugnis- und Eidespflicht der Zivilpersonen, sowie die prätendierte Mithilfepflicht der Gerichte, die für bloße Gutachten nicht in An¬ spruch genommen werden können. Die erwähnte Zeugnispflicht wird aus einer Kabinettsorder vom Is.Juli 1844 gefolgert, während die Rechtshilfepflicht der Gerichte mit einer Verordnung von: 2. Januar 1349 begründet wird, nach der Gericht und Verwaltung sich gegen¬ seitig unterstützen sollen. Diesen: Anspruch wird entgegengehalten, daß die Ein¬ führungsorder für die Ehrengerichte vom 2. Mai 1874 ausdrücklich betont, daß alle älteren Bestimmungen aufgehoben sind. Sind unter der Aufhebung auch die vorerwähnte Kabinettsorder sowie die Verfügung gemeint, oder sind diese in Kraft geblieben bzw. in die Verfassung mit übernommen worden? Wer die Frage bejaht, kann sie nur für den Umfang der preußischen Monarchie gelten lassen, und wir ständen also vor der Tatsache, daß schon innerhalb des preußischen Heereskontingents die Ermittlung der Tatumstände im ehrengerichtlichen Ver¬ fahren ganz verschiedene Wege einschlagen müßte, da Zeugnis- und Mithilfe¬ pflicht der Gerichte außerhalb des Bundesstaates Preußen nicht mehr gewähr¬ leistet werden können. Für die uichtpreußischen Kontingente würde die genannte Pflicht überhaupt nicht bestehen. Der Unterschied in dem Ermittlungsverfahren würde sich zweifellos bei dem Ergebnis ausdrücken. Die Zeugnispflicht in oben angedeuteten Umfang zugegeben, warum wird aber dann dem Offizier eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/16>, abgerufen am 03.07.2024.