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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Die Gffizier-Ehrengerichte

selben Umfange wie die Zivilbeamten dem Beamtengesetz bzw. dem Disziplinar¬
verfahren unterworfen.

Nach Erlaß von einer Reihe von Zusatzbestimmungen erschien unter dein
15. Juli 1910 der Neuabdruck der Verordnungen über die Ehrengerichte, die
mit dem 1. Oktober des genannten Jahres in Kraft zu treten hatten. Auch
diesmal hatte man sich an die bestehenden Verordnungen angelehnt, wenngleich
eine Reihe von Änderungen eingeführt wurde. Der Verteidigung wurden weitere
Grenzen gezogen; zum Teil griff bei ihr mündliches Verfahren Platz. Offiziere a.D.,
die bisher nur als Angeschuldigte vor dem Ehrengerichte erscheinen konnten,
können an den Spruchsitzungen als Richter teilnehmen, wenn einer der ihrigen
angeschuldigt ist. Rechtskräftig gewordene Urteile der Militär- oder Zivilgerichts¬
barkeit müssen bei den Verhandlungen der Ehrengerichte als beweiskräftige
Tatsachen anerkannt werden. Wiederaufnahme des Verfahrens, das nach den
früheren Verordnungen ausgeschlossen war, kann mittelst Throngesuches bei
Erbringung von neuen Beweismitteln ermöglicht werden. Die anderen Ände¬
rungen sind weniger wesentlicher Natur.

Es hängt zweifellos mit dem in unserem Zeitalter stark zunehmenden
Rechtsbewußtsein zusammen, daß man neuerdings der rechtlichen Natur der
Ehrengerichte nachgeforscht hat. Man ist dabei zu sehr verschiedenen Resultaten
gekommen. Auf der einen Seite hat man ihnen jedes rechtliche Fundament
bestritten, auf der anderen dieses mittelbar oder unmittelbar aus anderen recht¬
lichen Faktoren deduziert. Die ersten Schritte gegen die rechtliche Anerkennung
der Ehrengerichte gingen von verabschiedeten Offizieren aus, die namentlich das
Recht der Aberkennung des Offiziertitels, sowie der Orden und Ehrenzeichen
den Ehrengerichten nicht zugestehen wollten.

Was sind die ehrengerichtlichen Verordnungen? fragte man sich. Die einen
antworteten: Armeeverordnungen, die der Kaiser auf Grund des Z 8 des Reichs¬
militärgesetzes vom 2. Mai 1874 zur Handhabung der Disziplin im Heere im
Verordnungswege erläßt. Gegen diese Auslegung läßt sich zunächst einwenden,
daß die gedachten Verordnungen sich an die Offiziere des preußischen Kontingents
wenden, der Ausdruck der Ausdehnung auf die Gesamtkontingente also fehlt.
Die Bestimmungen über Handhabung der Disziplin im Heere findet ihren
generellen Ausdruck in der Disziplinarstrafordnung vom 31. Oktober 1872, die
im Verordnungswege erlassen wurde. Die Disziplinarstrafordnung ist indessen
nach ganz anderer Richtung orientiert, als die Verordnungen über die Ehren¬
gerichte. Es füllt schwer, in diesen ein reines Disziplinarmittel zu erkennen.
Verabschiedete Offiziere unterstehen zudem nicht mehr der Disziplinargewalt des
Kaisers. Eigentümliche Folgen müßten eintreten, wenn man gegenüber der
Erlaubnis zum Tragen der Uniform von einer freiwilligen Unterwerfung der
verabschiedeten Offiziere unter die Disziplinargewalt des Kaisers reden wollte.

Andere sehen in den Verordnungen über die Ehrengerichte "Armeebefehle
des Königs von Preußen" und berufen sich dabei auf Artikel 63 der Reichs-


Die Gffizier-Ehrengerichte

selben Umfange wie die Zivilbeamten dem Beamtengesetz bzw. dem Disziplinar¬
verfahren unterworfen.

Nach Erlaß von einer Reihe von Zusatzbestimmungen erschien unter dein
15. Juli 1910 der Neuabdruck der Verordnungen über die Ehrengerichte, die
mit dem 1. Oktober des genannten Jahres in Kraft zu treten hatten. Auch
diesmal hatte man sich an die bestehenden Verordnungen angelehnt, wenngleich
eine Reihe von Änderungen eingeführt wurde. Der Verteidigung wurden weitere
Grenzen gezogen; zum Teil griff bei ihr mündliches Verfahren Platz. Offiziere a.D.,
die bisher nur als Angeschuldigte vor dem Ehrengerichte erscheinen konnten,
können an den Spruchsitzungen als Richter teilnehmen, wenn einer der ihrigen
angeschuldigt ist. Rechtskräftig gewordene Urteile der Militär- oder Zivilgerichts¬
barkeit müssen bei den Verhandlungen der Ehrengerichte als beweiskräftige
Tatsachen anerkannt werden. Wiederaufnahme des Verfahrens, das nach den
früheren Verordnungen ausgeschlossen war, kann mittelst Throngesuches bei
Erbringung von neuen Beweismitteln ermöglicht werden. Die anderen Ände¬
rungen sind weniger wesentlicher Natur.

Es hängt zweifellos mit dem in unserem Zeitalter stark zunehmenden
Rechtsbewußtsein zusammen, daß man neuerdings der rechtlichen Natur der
Ehrengerichte nachgeforscht hat. Man ist dabei zu sehr verschiedenen Resultaten
gekommen. Auf der einen Seite hat man ihnen jedes rechtliche Fundament
bestritten, auf der anderen dieses mittelbar oder unmittelbar aus anderen recht¬
lichen Faktoren deduziert. Die ersten Schritte gegen die rechtliche Anerkennung
der Ehrengerichte gingen von verabschiedeten Offizieren aus, die namentlich das
Recht der Aberkennung des Offiziertitels, sowie der Orden und Ehrenzeichen
den Ehrengerichten nicht zugestehen wollten.

Was sind die ehrengerichtlichen Verordnungen? fragte man sich. Die einen
antworteten: Armeeverordnungen, die der Kaiser auf Grund des Z 8 des Reichs¬
militärgesetzes vom 2. Mai 1874 zur Handhabung der Disziplin im Heere im
Verordnungswege erläßt. Gegen diese Auslegung läßt sich zunächst einwenden,
daß die gedachten Verordnungen sich an die Offiziere des preußischen Kontingents
wenden, der Ausdruck der Ausdehnung auf die Gesamtkontingente also fehlt.
Die Bestimmungen über Handhabung der Disziplin im Heere findet ihren
generellen Ausdruck in der Disziplinarstrafordnung vom 31. Oktober 1872, die
im Verordnungswege erlassen wurde. Die Disziplinarstrafordnung ist indessen
nach ganz anderer Richtung orientiert, als die Verordnungen über die Ehren¬
gerichte. Es füllt schwer, in diesen ein reines Disziplinarmittel zu erkennen.
Verabschiedete Offiziere unterstehen zudem nicht mehr der Disziplinargewalt des
Kaisers. Eigentümliche Folgen müßten eintreten, wenn man gegenüber der
Erlaubnis zum Tragen der Uniform von einer freiwilligen Unterwerfung der
verabschiedeten Offiziere unter die Disziplinargewalt des Kaisers reden wollte.

Andere sehen in den Verordnungen über die Ehrengerichte „Armeebefehle
des Königs von Preußen" und berufen sich dabei auf Artikel 63 der Reichs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/15>, abgerufen am 23.07.2024.