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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Die Gffizicr-Ehrengerichte

Verfahren ist den bürgerlichen Gerichten nachgebildet: den Vorsitz führt der
Truppenkommandeur, die Rolle des Untersuchungsrichters liegt in den Händen
des Ehrenrates. Die Verteidigung ist zunächst dem Angeschuldigten überlassen,
der aber auch einen Kameraden mit Anfertigung und Vorlage einer Verteidigungs¬
schrift betrauen kann. Ehrenrichter sind die Kameraden; jeder Offizier ist be¬
rechtigt, eine ehrengerichtliche Untersuchung gegen einen anderen Offizier, auch
gegen sich selbst, zu beantragen. Es bestehen Ehrengerichte für Hauptleute und
Leutnants, sowie für Stabsoffiziere. Die Berufung eines Ehrengerichtes über
einen General wird für jeden Fall besonders angeordnet. Die Ehrengerichte
können sich in der Spruchsitzung für unzuständig erklären, sie können auf Ver¬
vollständigung der Akten, sowie auf Freisprechung erkennen. Der Schuldspruch
kennt nur drei Strafarten: Warnung, Entlassung mit schlichtem Abschied (bei
inaktiven Offizieren Aberkennung der Uniform), Entfernung aus dem Offizier¬
stande (Aberkennung des Offiziertitels). Rechtskraft erhält der Spruch des
Ehrengerichtes erst mit der Bestätigung des Allerhöchsten Kriegsherrn, der das
Erkenntnis umstoßen oder mildern kann.

Der letztgenannte Umstand hat neuerdings, nachdem die rechtliche Natur
der Ehrengerichte angezweifelt worden ist, dahin geführt, in ihren Sprüchen
nur "gutachtliche Äußerungen der Standesgenossen" zu sehen, an die der Kon¬
tingentsherr in keiner Weise gebunden sei. Dein könnte allerdings entgegen¬
gehalten werden, daß die Erkenntnisse der früher gültigen Militärstrafproze߬
ordnung zur Erlangung ihrer Rechtskraft auch an die Bestätigung des Gerichts-
herrn gebunden waren und doch mehr als bloße Gutachten waren. Auch die
äußere Form, die man den Ehrengerichten gegeben, läßt vermuten, daß man
bei ihrer Einführung an mehr als an gutachtliche Äußerungen gedacht hat.
Weitere Nachweise, die diese Ansicht stützen, folgen unten.

Die preußischen Ehrengerichte vom 20. Juli 1843 wurden laut Artikel Ki
der Reichsverfassung in allen Bundeskontingenten, mit Ausnahme von Bayern,
eingeführt, in dessen Armee erst am 15. Februar 1870 neue ehrengerichtliche
Verordnungen erlassen worden waren.

In Preußen selbst wurden am 2. Mai 1874 neue Verordnungen über
Ehrengerichte erlassen, die auf Grund des Artikels 63 der Reichsverfassung in den
übrigen Bundeskontingenten, in Bayern unter dem 31. August desselben Jahres,
eingeführt wurden. Der Inhalt dieser Verordnungen deckt sich nahezu mit dem
der voraufgehenden. Der Ehrenrat, bisher aus den Ältesten der Charge bestehend,
wurde von jetzt ab gewählt. Die Sanitätsoffiziere, auch die der Aktivität, blieben
weiter von den ehrengerichtlichen Verordnungen unberührt. Erst im Jahre 1901
wurden für die aktiven Sanitätsoffiziere besondere ehrengerichtliche Bestimmungen
erlassen. Die Militärbeamten stehen auch heute noch außerhalb der Ehrengerichte.
Vermutlich hat der Umstand, daß der größere Teil von ihnen zu den Offizieren
des Beurlaubtenstandes gehört, die als solche den Ehrengerichten unterworfen
sind, zu dieser Ausnahmestellung geführt. Die Militärbeamten sind in dem-


Die Gffizicr-Ehrengerichte

Verfahren ist den bürgerlichen Gerichten nachgebildet: den Vorsitz führt der
Truppenkommandeur, die Rolle des Untersuchungsrichters liegt in den Händen
des Ehrenrates. Die Verteidigung ist zunächst dem Angeschuldigten überlassen,
der aber auch einen Kameraden mit Anfertigung und Vorlage einer Verteidigungs¬
schrift betrauen kann. Ehrenrichter sind die Kameraden; jeder Offizier ist be¬
rechtigt, eine ehrengerichtliche Untersuchung gegen einen anderen Offizier, auch
gegen sich selbst, zu beantragen. Es bestehen Ehrengerichte für Hauptleute und
Leutnants, sowie für Stabsoffiziere. Die Berufung eines Ehrengerichtes über
einen General wird für jeden Fall besonders angeordnet. Die Ehrengerichte
können sich in der Spruchsitzung für unzuständig erklären, sie können auf Ver¬
vollständigung der Akten, sowie auf Freisprechung erkennen. Der Schuldspruch
kennt nur drei Strafarten: Warnung, Entlassung mit schlichtem Abschied (bei
inaktiven Offizieren Aberkennung der Uniform), Entfernung aus dem Offizier¬
stande (Aberkennung des Offiziertitels). Rechtskraft erhält der Spruch des
Ehrengerichtes erst mit der Bestätigung des Allerhöchsten Kriegsherrn, der das
Erkenntnis umstoßen oder mildern kann.

Der letztgenannte Umstand hat neuerdings, nachdem die rechtliche Natur
der Ehrengerichte angezweifelt worden ist, dahin geführt, in ihren Sprüchen
nur „gutachtliche Äußerungen der Standesgenossen" zu sehen, an die der Kon¬
tingentsherr in keiner Weise gebunden sei. Dein könnte allerdings entgegen¬
gehalten werden, daß die Erkenntnisse der früher gültigen Militärstrafproze߬
ordnung zur Erlangung ihrer Rechtskraft auch an die Bestätigung des Gerichts-
herrn gebunden waren und doch mehr als bloße Gutachten waren. Auch die
äußere Form, die man den Ehrengerichten gegeben, läßt vermuten, daß man
bei ihrer Einführung an mehr als an gutachtliche Äußerungen gedacht hat.
Weitere Nachweise, die diese Ansicht stützen, folgen unten.

Die preußischen Ehrengerichte vom 20. Juli 1843 wurden laut Artikel Ki
der Reichsverfassung in allen Bundeskontingenten, mit Ausnahme von Bayern,
eingeführt, in dessen Armee erst am 15. Februar 1870 neue ehrengerichtliche
Verordnungen erlassen worden waren.

In Preußen selbst wurden am 2. Mai 1874 neue Verordnungen über
Ehrengerichte erlassen, die auf Grund des Artikels 63 der Reichsverfassung in den
übrigen Bundeskontingenten, in Bayern unter dem 31. August desselben Jahres,
eingeführt wurden. Der Inhalt dieser Verordnungen deckt sich nahezu mit dem
der voraufgehenden. Der Ehrenrat, bisher aus den Ältesten der Charge bestehend,
wurde von jetzt ab gewählt. Die Sanitätsoffiziere, auch die der Aktivität, blieben
weiter von den ehrengerichtlichen Verordnungen unberührt. Erst im Jahre 1901
wurden für die aktiven Sanitätsoffiziere besondere ehrengerichtliche Bestimmungen
erlassen. Die Militärbeamten stehen auch heute noch außerhalb der Ehrengerichte.
Vermutlich hat der Umstand, daß der größere Teil von ihnen zu den Offizieren
des Beurlaubtenstandes gehört, die als solche den Ehrengerichten unterworfen
sind, zu dieser Ausnahmestellung geführt. Die Militärbeamten sind in dem-


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[0014] Die Gffizicr-Ehrengerichte Verfahren ist den bürgerlichen Gerichten nachgebildet: den Vorsitz führt der Truppenkommandeur, die Rolle des Untersuchungsrichters liegt in den Händen des Ehrenrates. Die Verteidigung ist zunächst dem Angeschuldigten überlassen, der aber auch einen Kameraden mit Anfertigung und Vorlage einer Verteidigungs¬ schrift betrauen kann. Ehrenrichter sind die Kameraden; jeder Offizier ist be¬ rechtigt, eine ehrengerichtliche Untersuchung gegen einen anderen Offizier, auch gegen sich selbst, zu beantragen. Es bestehen Ehrengerichte für Hauptleute und Leutnants, sowie für Stabsoffiziere. Die Berufung eines Ehrengerichtes über einen General wird für jeden Fall besonders angeordnet. Die Ehrengerichte können sich in der Spruchsitzung für unzuständig erklären, sie können auf Ver¬ vollständigung der Akten, sowie auf Freisprechung erkennen. Der Schuldspruch kennt nur drei Strafarten: Warnung, Entlassung mit schlichtem Abschied (bei inaktiven Offizieren Aberkennung der Uniform), Entfernung aus dem Offizier¬ stande (Aberkennung des Offiziertitels). Rechtskraft erhält der Spruch des Ehrengerichtes erst mit der Bestätigung des Allerhöchsten Kriegsherrn, der das Erkenntnis umstoßen oder mildern kann. Der letztgenannte Umstand hat neuerdings, nachdem die rechtliche Natur der Ehrengerichte angezweifelt worden ist, dahin geführt, in ihren Sprüchen nur „gutachtliche Äußerungen der Standesgenossen" zu sehen, an die der Kon¬ tingentsherr in keiner Weise gebunden sei. Dein könnte allerdings entgegen¬ gehalten werden, daß die Erkenntnisse der früher gültigen Militärstrafproze߬ ordnung zur Erlangung ihrer Rechtskraft auch an die Bestätigung des Gerichts- herrn gebunden waren und doch mehr als bloße Gutachten waren. Auch die äußere Form, die man den Ehrengerichten gegeben, läßt vermuten, daß man bei ihrer Einführung an mehr als an gutachtliche Äußerungen gedacht hat. Weitere Nachweise, die diese Ansicht stützen, folgen unten. Die preußischen Ehrengerichte vom 20. Juli 1843 wurden laut Artikel Ki der Reichsverfassung in allen Bundeskontingenten, mit Ausnahme von Bayern, eingeführt, in dessen Armee erst am 15. Februar 1870 neue ehrengerichtliche Verordnungen erlassen worden waren. In Preußen selbst wurden am 2. Mai 1874 neue Verordnungen über Ehrengerichte erlassen, die auf Grund des Artikels 63 der Reichsverfassung in den übrigen Bundeskontingenten, in Bayern unter dem 31. August desselben Jahres, eingeführt wurden. Der Inhalt dieser Verordnungen deckt sich nahezu mit dem der voraufgehenden. Der Ehrenrat, bisher aus den Ältesten der Charge bestehend, wurde von jetzt ab gewählt. Die Sanitätsoffiziere, auch die der Aktivität, blieben weiter von den ehrengerichtlichen Verordnungen unberührt. Erst im Jahre 1901 wurden für die aktiven Sanitätsoffiziere besondere ehrengerichtliche Bestimmungen erlassen. Die Militärbeamten stehen auch heute noch außerhalb der Ehrengerichte. Vermutlich hat der Umstand, daß der größere Teil von ihnen zu den Offizieren des Beurlaubtenstandes gehört, die als solche den Ehrengerichten unterworfen sind, zu dieser Ausnahmestellung geführt. Die Militärbeamten sind in dem-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/14>, abgerufen am 03.07.2024.