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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Herbert Lulenberg als Dramatiker

Der alte Herr, dem bei diesem Ansinnen ein Stich durchs Herz gegangen
war, lächelte nachsichtig und brachte seine Muschel schleunigst in Sicherheit. Er
wußte jetzt, daß er, wenn er Mergens Verständnis für die Wunder der Schöpfung
wecken und ausbilden wollte, ein weites Feld vor sich hatte, und daß es seine
Aufgabe sein würde, diesem Kinde mehr ein Vater als ein Gatte zu sein.

(Fortsetzung folgt)




Herbert (Lulenberg als Dramatiker
von Dr. Arthur rvestpha

AZNSle literarische Generation von heutzutage erscheint, aus größerer
Entfernung gesehen, durchweg etwas schmächtig im Format. Die
Gesichter, die sie dem Beschauer zukehrt, zeigen immer wieder jene
von ungesunder Stubenluft zeugende Blässe, die man im besseren
! Kolportageroman als "interessant" zu bezeichnen pflegt. Sie fesseln
durch die intellektuellen Werte, die sich in ihnen ausprägen, und durch die ganz
sympathische psychische Delikatesse, mit der sie den Schleier von unausgesprochenen
und nur halb erfühlten Dingen dieses Lebens zu ziehen trachten. Aber sie lassen
den, der ihnen gutwillig in ihre Labyrinthe gefolgt ist, fast jedesmal auf halbem
Wege im Stich. Sie enttäuschen, weil sie nicht robust genug sind, die theoretisch
errechneten Lebensenergien auch praktisch und tatensreudig zu erhärten. Und sie
geben ihren Jüngern am letzten Ende nichts als jene große, beklommene Rat¬
losigkeit mit auf den Weg. die zu allen Zeiten wie ein Fluch über den Dilettanten
und verirrten Problematikern dieser wunderlichen Welt gelegen hat.

Am bösesten treten die Ergebnisse dieser Ratlosigkeit naturgemäß im Drama
zutage. Die dramatische Kunstform verlangt lebhafter als jede andere nach einem
Willen, der die Tat gebiert, und nach starken und festen Baumeisterhänden. Das
Destruktive hat auf dem Theater nichts zu schaffen. Der Sinn der Tragödie und
des Dramas überhaupt ist Kampf -- heute vielleicht mehr denn je. Und das
Kämpferische der dramatischen Form läßt sich nicht künstlich züchten, läßt sich nicht
durch den heute beliebten kampflosen und knechtischen Fatalismus ersetzen.

VestiM terrene. So sollte man meinen. Die häßlichen Verwesungsprozesse,
die sich in jedem Winter auf unseren großstädtischen Bühnen abspielen, reden eine
Sprache, die deutlich genug ist. Aber wie der Nachtfalter um die Lampe, so jagt
der Ehrgeiz unserer Schriftsteller immer wieder um das suggestive Zauberreich
des Theaters.

Verdrossen blickt das Auge über das dramatische Trümmerfeld der letzten
Jahre. Enttäuschung steht neben Enttäuschung, Katastrophe neben Katastrophe.
Halbheit, klägliche Halbheit auf der ganzen Linie ist das deprimierende Merkmal.


Herbert Lulenberg als Dramatiker

Der alte Herr, dem bei diesem Ansinnen ein Stich durchs Herz gegangen
war, lächelte nachsichtig und brachte seine Muschel schleunigst in Sicherheit. Er
wußte jetzt, daß er, wenn er Mergens Verständnis für die Wunder der Schöpfung
wecken und ausbilden wollte, ein weites Feld vor sich hatte, und daß es seine
Aufgabe sein würde, diesem Kinde mehr ein Vater als ein Gatte zu sein.

(Fortsetzung folgt)




Herbert (Lulenberg als Dramatiker
von Dr. Arthur rvestpha

AZNSle literarische Generation von heutzutage erscheint, aus größerer
Entfernung gesehen, durchweg etwas schmächtig im Format. Die
Gesichter, die sie dem Beschauer zukehrt, zeigen immer wieder jene
von ungesunder Stubenluft zeugende Blässe, die man im besseren
! Kolportageroman als „interessant" zu bezeichnen pflegt. Sie fesseln
durch die intellektuellen Werte, die sich in ihnen ausprägen, und durch die ganz
sympathische psychische Delikatesse, mit der sie den Schleier von unausgesprochenen
und nur halb erfühlten Dingen dieses Lebens zu ziehen trachten. Aber sie lassen
den, der ihnen gutwillig in ihre Labyrinthe gefolgt ist, fast jedesmal auf halbem
Wege im Stich. Sie enttäuschen, weil sie nicht robust genug sind, die theoretisch
errechneten Lebensenergien auch praktisch und tatensreudig zu erhärten. Und sie
geben ihren Jüngern am letzten Ende nichts als jene große, beklommene Rat¬
losigkeit mit auf den Weg. die zu allen Zeiten wie ein Fluch über den Dilettanten
und verirrten Problematikern dieser wunderlichen Welt gelegen hat.

Am bösesten treten die Ergebnisse dieser Ratlosigkeit naturgemäß im Drama
zutage. Die dramatische Kunstform verlangt lebhafter als jede andere nach einem
Willen, der die Tat gebiert, und nach starken und festen Baumeisterhänden. Das
Destruktive hat auf dem Theater nichts zu schaffen. Der Sinn der Tragödie und
des Dramas überhaupt ist Kampf — heute vielleicht mehr denn je. Und das
Kämpferische der dramatischen Form läßt sich nicht künstlich züchten, läßt sich nicht
durch den heute beliebten kampflosen und knechtischen Fatalismus ersetzen.

VestiM terrene. So sollte man meinen. Die häßlichen Verwesungsprozesse,
die sich in jedem Winter auf unseren großstädtischen Bühnen abspielen, reden eine
Sprache, die deutlich genug ist. Aber wie der Nachtfalter um die Lampe, so jagt
der Ehrgeiz unserer Schriftsteller immer wieder um das suggestive Zauberreich
des Theaters.

Verdrossen blickt das Auge über das dramatische Trümmerfeld der letzten
Jahre. Enttäuschung steht neben Enttäuschung, Katastrophe neben Katastrophe.
Halbheit, klägliche Halbheit auf der ganzen Linie ist das deprimierende Merkmal.


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[0140] Herbert Lulenberg als Dramatiker Der alte Herr, dem bei diesem Ansinnen ein Stich durchs Herz gegangen war, lächelte nachsichtig und brachte seine Muschel schleunigst in Sicherheit. Er wußte jetzt, daß er, wenn er Mergens Verständnis für die Wunder der Schöpfung wecken und ausbilden wollte, ein weites Feld vor sich hatte, und daß es seine Aufgabe sein würde, diesem Kinde mehr ein Vater als ein Gatte zu sein. (Fortsetzung folgt) Herbert (Lulenberg als Dramatiker von Dr. Arthur rvestpha AZNSle literarische Generation von heutzutage erscheint, aus größerer Entfernung gesehen, durchweg etwas schmächtig im Format. Die Gesichter, die sie dem Beschauer zukehrt, zeigen immer wieder jene von ungesunder Stubenluft zeugende Blässe, die man im besseren ! Kolportageroman als „interessant" zu bezeichnen pflegt. Sie fesseln durch die intellektuellen Werte, die sich in ihnen ausprägen, und durch die ganz sympathische psychische Delikatesse, mit der sie den Schleier von unausgesprochenen und nur halb erfühlten Dingen dieses Lebens zu ziehen trachten. Aber sie lassen den, der ihnen gutwillig in ihre Labyrinthe gefolgt ist, fast jedesmal auf halbem Wege im Stich. Sie enttäuschen, weil sie nicht robust genug sind, die theoretisch errechneten Lebensenergien auch praktisch und tatensreudig zu erhärten. Und sie geben ihren Jüngern am letzten Ende nichts als jene große, beklommene Rat¬ losigkeit mit auf den Weg. die zu allen Zeiten wie ein Fluch über den Dilettanten und verirrten Problematikern dieser wunderlichen Welt gelegen hat. Am bösesten treten die Ergebnisse dieser Ratlosigkeit naturgemäß im Drama zutage. Die dramatische Kunstform verlangt lebhafter als jede andere nach einem Willen, der die Tat gebiert, und nach starken und festen Baumeisterhänden. Das Destruktive hat auf dem Theater nichts zu schaffen. Der Sinn der Tragödie und des Dramas überhaupt ist Kampf — heute vielleicht mehr denn je. Und das Kämpferische der dramatischen Form läßt sich nicht künstlich züchten, läßt sich nicht durch den heute beliebten kampflosen und knechtischen Fatalismus ersetzen. VestiM terrene. So sollte man meinen. Die häßlichen Verwesungsprozesse, die sich in jedem Winter auf unseren großstädtischen Bühnen abspielen, reden eine Sprache, die deutlich genug ist. Aber wie der Nachtfalter um die Lampe, so jagt der Ehrgeiz unserer Schriftsteller immer wieder um das suggestive Zauberreich des Theaters. Verdrossen blickt das Auge über das dramatische Trümmerfeld der letzten Jahre. Enttäuschung steht neben Enttäuschung, Katastrophe neben Katastrophe. Halbheit, klägliche Halbheit auf der ganzen Linie ist das deprimierende Merkmal.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/140>, abgerufen am 23.07.2024.