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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Schlitz dem deutschen Arbeiter

Opfer verlangt; -- und sie ist doch im besten Sinne des Wortes agrarisch.
Der Agrarschutz würde ein Ende mit Schrecken nehmen an dem Tage, wo die
deutsche Landwirtschaft sich zum größeren Teile oder auch nur zum sehr großen
Teile von ausländischen Arbeitern bedienen läßt. Sie ist dann keine deutsche
Landwirtschaft mehr. Sie kann nicht mehr für sich anführen, daß sie die Kraft¬
quelle und Gesundheitsquelle des deutschen Volkes und die Mutter des deutschen
Heeres sei. Das Wort vom Schutz der nationalen Arbeit wird dann zur Lüge.
Die deutsche Landwirtschaft legt sich mit der Einfuhr der fremden Arbeiter einen
Strick um den Hals, mit dem sie von ihren Feinden erdrosselt werden wird.

Diese Idee hat auch nicht im alltäglichen Sinne des Wortes konservativen
Charakter. Im Gegenteil, parteitechnisch am bequemsten hat es die konservative
Partei, wenn es in Ostelbien nur Rittergutsbesitzer und allenfalls noch Pastoren
gibt. Alle kleineren Eigentümer und noch mehr alle grundbesitzenden Arbeiter
haben auch demokratische und liberale Instinkte und sind darum für die kon¬
servative Partei unsichere Mitglieder. -- Und doch ist diese Idee im innersten
und besten Sinne des Wortes konservativ. Auf dem kleinen Eigentum baut
sich die Familie auf und auf der Familie der Staat. Gegen das traditionslose,
eigentumslose, familienverachtende, radikale, ungläubige, von den oberflächlichsten
Tagesideen genasführte ungebildete und gebildete Proletariat unserer großen
Städte, die ja ins unheimliche wachsen, gibt es kein besseres Gegengewicht als
eine zahlreiche grundbesitzende Landbevölkerung. Je voller das Land von kleinen
Eigentümern, um so fester steht der Staat, je öder das Land, um so mehr nähert
sich das Gleichgewicht dem Umsturz.

Die Idee hat auch nichts gemein mit dem Sozialismus, weder dem roten,
noch dem Staatssozialismus oder Kathedersozialismus. Im Gegenteil; indem
man das kleine Eigentum auf dem Lande erreichbar macht, nimmt man dem
Schwammpilz Sozialismus seinen Nährboden. Der Sozialdemokrat sagt: Los
von Grund und Boden muß der Arbeiter, wenn er zu uns gehören soll, und
darin hat er recht. Aber eben darum sagen wir: Macht dem Arbeiter das
Eigentum am Boden erreichbar, so verschwindet der Sozialismus, das ist das
neidische Schielen nach anderer Leute Eigentum.

Und doch ist diese Idee wiederum in einem höheren Sinne des Wortes
sozial. Denn sie will der Konstitution der deutschen Gesellschaft diejenige Ge¬
sundheit geben, die ihr noch fehlt. Irgendwo muß es in einem Volke eine
sichere Leiter sozialen Anstiegs geben, die auch dem einfachen Fleiß mit wenig
Glück erreichbar ist. Zwar glückt es in unseren Städten und in unserer in¬
dustriellen Kultur vielen Leuten, sie werden wohlhabend, werden sogar reich.
Aber das ist Zufall, Glück, Ausnahme. Auf dem Lande muß es ein sicheres
regelmäßigeres Aufsteigen geben. Diese Eigenschaft hat die Scholle, daß, wenn
sie der kleine Mann nur lange genug mit seinem Schweiße düngt, sie ihn wenn
auch nicht reich so doch wohlhabend und außerdem frei und seine Kinder an
Leib und Seele gesund macht. Das amerikanische Volk hat an seinem großen


Schlitz dem deutschen Arbeiter

Opfer verlangt; — und sie ist doch im besten Sinne des Wortes agrarisch.
Der Agrarschutz würde ein Ende mit Schrecken nehmen an dem Tage, wo die
deutsche Landwirtschaft sich zum größeren Teile oder auch nur zum sehr großen
Teile von ausländischen Arbeitern bedienen läßt. Sie ist dann keine deutsche
Landwirtschaft mehr. Sie kann nicht mehr für sich anführen, daß sie die Kraft¬
quelle und Gesundheitsquelle des deutschen Volkes und die Mutter des deutschen
Heeres sei. Das Wort vom Schutz der nationalen Arbeit wird dann zur Lüge.
Die deutsche Landwirtschaft legt sich mit der Einfuhr der fremden Arbeiter einen
Strick um den Hals, mit dem sie von ihren Feinden erdrosselt werden wird.

Diese Idee hat auch nicht im alltäglichen Sinne des Wortes konservativen
Charakter. Im Gegenteil, parteitechnisch am bequemsten hat es die konservative
Partei, wenn es in Ostelbien nur Rittergutsbesitzer und allenfalls noch Pastoren
gibt. Alle kleineren Eigentümer und noch mehr alle grundbesitzenden Arbeiter
haben auch demokratische und liberale Instinkte und sind darum für die kon¬
servative Partei unsichere Mitglieder. — Und doch ist diese Idee im innersten
und besten Sinne des Wortes konservativ. Auf dem kleinen Eigentum baut
sich die Familie auf und auf der Familie der Staat. Gegen das traditionslose,
eigentumslose, familienverachtende, radikale, ungläubige, von den oberflächlichsten
Tagesideen genasführte ungebildete und gebildete Proletariat unserer großen
Städte, die ja ins unheimliche wachsen, gibt es kein besseres Gegengewicht als
eine zahlreiche grundbesitzende Landbevölkerung. Je voller das Land von kleinen
Eigentümern, um so fester steht der Staat, je öder das Land, um so mehr nähert
sich das Gleichgewicht dem Umsturz.

Die Idee hat auch nichts gemein mit dem Sozialismus, weder dem roten,
noch dem Staatssozialismus oder Kathedersozialismus. Im Gegenteil; indem
man das kleine Eigentum auf dem Lande erreichbar macht, nimmt man dem
Schwammpilz Sozialismus seinen Nährboden. Der Sozialdemokrat sagt: Los
von Grund und Boden muß der Arbeiter, wenn er zu uns gehören soll, und
darin hat er recht. Aber eben darum sagen wir: Macht dem Arbeiter das
Eigentum am Boden erreichbar, so verschwindet der Sozialismus, das ist das
neidische Schielen nach anderer Leute Eigentum.

Und doch ist diese Idee wiederum in einem höheren Sinne des Wortes
sozial. Denn sie will der Konstitution der deutschen Gesellschaft diejenige Ge¬
sundheit geben, die ihr noch fehlt. Irgendwo muß es in einem Volke eine
sichere Leiter sozialen Anstiegs geben, die auch dem einfachen Fleiß mit wenig
Glück erreichbar ist. Zwar glückt es in unseren Städten und in unserer in¬
dustriellen Kultur vielen Leuten, sie werden wohlhabend, werden sogar reich.
Aber das ist Zufall, Glück, Ausnahme. Auf dem Lande muß es ein sicheres
regelmäßigeres Aufsteigen geben. Diese Eigenschaft hat die Scholle, daß, wenn
sie der kleine Mann nur lange genug mit seinem Schweiße düngt, sie ihn wenn
auch nicht reich so doch wohlhabend und außerdem frei und seine Kinder an
Leib und Seele gesund macht. Das amerikanische Volk hat an seinem großen


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[0129] Schlitz dem deutschen Arbeiter Opfer verlangt; — und sie ist doch im besten Sinne des Wortes agrarisch. Der Agrarschutz würde ein Ende mit Schrecken nehmen an dem Tage, wo die deutsche Landwirtschaft sich zum größeren Teile oder auch nur zum sehr großen Teile von ausländischen Arbeitern bedienen läßt. Sie ist dann keine deutsche Landwirtschaft mehr. Sie kann nicht mehr für sich anführen, daß sie die Kraft¬ quelle und Gesundheitsquelle des deutschen Volkes und die Mutter des deutschen Heeres sei. Das Wort vom Schutz der nationalen Arbeit wird dann zur Lüge. Die deutsche Landwirtschaft legt sich mit der Einfuhr der fremden Arbeiter einen Strick um den Hals, mit dem sie von ihren Feinden erdrosselt werden wird. Diese Idee hat auch nicht im alltäglichen Sinne des Wortes konservativen Charakter. Im Gegenteil, parteitechnisch am bequemsten hat es die konservative Partei, wenn es in Ostelbien nur Rittergutsbesitzer und allenfalls noch Pastoren gibt. Alle kleineren Eigentümer und noch mehr alle grundbesitzenden Arbeiter haben auch demokratische und liberale Instinkte und sind darum für die kon¬ servative Partei unsichere Mitglieder. — Und doch ist diese Idee im innersten und besten Sinne des Wortes konservativ. Auf dem kleinen Eigentum baut sich die Familie auf und auf der Familie der Staat. Gegen das traditionslose, eigentumslose, familienverachtende, radikale, ungläubige, von den oberflächlichsten Tagesideen genasführte ungebildete und gebildete Proletariat unserer großen Städte, die ja ins unheimliche wachsen, gibt es kein besseres Gegengewicht als eine zahlreiche grundbesitzende Landbevölkerung. Je voller das Land von kleinen Eigentümern, um so fester steht der Staat, je öder das Land, um so mehr nähert sich das Gleichgewicht dem Umsturz. Die Idee hat auch nichts gemein mit dem Sozialismus, weder dem roten, noch dem Staatssozialismus oder Kathedersozialismus. Im Gegenteil; indem man das kleine Eigentum auf dem Lande erreichbar macht, nimmt man dem Schwammpilz Sozialismus seinen Nährboden. Der Sozialdemokrat sagt: Los von Grund und Boden muß der Arbeiter, wenn er zu uns gehören soll, und darin hat er recht. Aber eben darum sagen wir: Macht dem Arbeiter das Eigentum am Boden erreichbar, so verschwindet der Sozialismus, das ist das neidische Schielen nach anderer Leute Eigentum. Und doch ist diese Idee wiederum in einem höheren Sinne des Wortes sozial. Denn sie will der Konstitution der deutschen Gesellschaft diejenige Ge¬ sundheit geben, die ihr noch fehlt. Irgendwo muß es in einem Volke eine sichere Leiter sozialen Anstiegs geben, die auch dem einfachen Fleiß mit wenig Glück erreichbar ist. Zwar glückt es in unseren Städten und in unserer in¬ dustriellen Kultur vielen Leuten, sie werden wohlhabend, werden sogar reich. Aber das ist Zufall, Glück, Ausnahme. Auf dem Lande muß es ein sicheres regelmäßigeres Aufsteigen geben. Diese Eigenschaft hat die Scholle, daß, wenn sie der kleine Mann nur lange genug mit seinem Schweiße düngt, sie ihn wenn auch nicht reich so doch wohlhabend und außerdem frei und seine Kinder an Leib und Seele gesund macht. Das amerikanische Volk hat an seinem großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/129>, abgerufen am 23.07.2024.