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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Schutz dem deutschen Arbeiter

Kontinent noch Arbeits- und Existenzmöglichkeit für viele, das englische Volk
hat dasselbe an seinen großen Kolonien Kanada, Australien, Südafrika. Das
deutsche Volk hat nichts dergleichen, denn unsere Kolonien bieten das nicht und
es wächst doch ebenso stark wie jene. Weil jeder Amerikaner die Zuversicht hat
und haben darf, daß es ihm gelingen muß, reich oder wenigstens wohlhabend
zu werden, daher der Optimismus der Amerikaner, der sie uns überlegen macht
trotz unserer größeren Schulung, und daher auch das Fehlen einer mächtigen
revolutionären Arbeiterbewegung. Wir Deutschen haben es schwerer und müssen
durch größere geistige Anstrengung ersetzen, was uns an natürlichen Vorteilen
fehlt. Wir haben nur den einen allerdings auch wertvollen Vorteil, daß wir
im Herzen von Europa sitzen, dem wundervollen Erdteil, der bis auf unab¬
sehbare Zeit der zentrale Markt und die Hauptstadt der Welt bleiben wird,
und daß wir also mit der Weltwirtschaft wachsen werden. Damit unserem hart
arbeitenden Volk die Gesundheit des Gemüts, die Zufriedenheit erhalten bleibt,
muß es auch für seine besitzlosen Söhne die Möglichkeit sichern, daß sie wenn auch
nach mühevollem Erwerb die wirtschaftliche Selbständigkeit, die Freiheit vor sich
fehen. Das wichtigste Arbeitsinstrument des Menschen ist der Boden. Gebt
dem Menschen nur ein kleines Fetzchen Boden und er wird mit dem Sonnenlicht
zusammen darauf eine wunderbare Ernte hervorzaubern, vielleicht eine Obstzucht oder
Geflügelzucht, vielleicht ein kaufmännisches Geschäft, das immer weitere Kreise zieht,
vielleicht eine Fabrik, die sich beständig vergrößert, vielleicht auch nur eine Kinder¬
stube blondköpfiger Jugend, die es ihrerseits unternehmen wird, die Erde zu erobern.

Nun aber liegen große Felder deutschen Bodens unlösbar fest miteinander
verschnürt, teils durch Besitz der toten Hand, teils durch das Fideikommißrecht
und endlich, was das allgemeinste und darum schlimmste ist, durch unser
Hypothekenrecht. Wenn dies deutsche Land dem Volk geöffnet würde, so würde
das uns ähnlichen Gewinn bringen, wie einst die Eröffnung der großen
Getreideprovinzen und des wilden Westens dem nordamerikanischen Volke. Die
Landstände ist zwar hundertmal kleiner, aber dafür der Boden hundertmal wert¬
voller, weil ganz Deutschland, weltpolitisch angesehen, den Wertcharakter von
städtischem Boden hat. Diese Landöffnung heißt innere Kolonisation. Sie ist
die wichtigste Aufgabe unserer Zukunft. Sie wird aber nicht gelingen, solange
der deutsche Arbeiter auf dem Lande mit der Konkurrenz der ausländischen
Arbeiter ringen muß. Darum Schutz dem deutschen Arbeiter!

Diese Idee hat auch nicht eigentlich antipolnischen Charakter. Im Gegenteil;
wenn das deutsche Volk erst nicht mehr das beängstigende Schauspiel vor Augen
sieht, daß die polnische Flut Scholle um Scholle vom deutschen Lande reißt,
sich dabei stärkt durch Zuzug von jenseits der Grenze und immer tiefer nach
Pommern, Brandenburg, Westfalen sogar hineinzüngelt, wenn es nur noch zu
tun hat mit dem Polentum, soweit das nun einmal in den Reichsgrenzen wohnt,
und das doch schließlich zu ertragen ist, so wird das deutsche Volk auch die
quälende Bedrängungspolitik gegen dieses Polentum aufgeben.


Schutz dem deutschen Arbeiter

Kontinent noch Arbeits- und Existenzmöglichkeit für viele, das englische Volk
hat dasselbe an seinen großen Kolonien Kanada, Australien, Südafrika. Das
deutsche Volk hat nichts dergleichen, denn unsere Kolonien bieten das nicht und
es wächst doch ebenso stark wie jene. Weil jeder Amerikaner die Zuversicht hat
und haben darf, daß es ihm gelingen muß, reich oder wenigstens wohlhabend
zu werden, daher der Optimismus der Amerikaner, der sie uns überlegen macht
trotz unserer größeren Schulung, und daher auch das Fehlen einer mächtigen
revolutionären Arbeiterbewegung. Wir Deutschen haben es schwerer und müssen
durch größere geistige Anstrengung ersetzen, was uns an natürlichen Vorteilen
fehlt. Wir haben nur den einen allerdings auch wertvollen Vorteil, daß wir
im Herzen von Europa sitzen, dem wundervollen Erdteil, der bis auf unab¬
sehbare Zeit der zentrale Markt und die Hauptstadt der Welt bleiben wird,
und daß wir also mit der Weltwirtschaft wachsen werden. Damit unserem hart
arbeitenden Volk die Gesundheit des Gemüts, die Zufriedenheit erhalten bleibt,
muß es auch für seine besitzlosen Söhne die Möglichkeit sichern, daß sie wenn auch
nach mühevollem Erwerb die wirtschaftliche Selbständigkeit, die Freiheit vor sich
fehen. Das wichtigste Arbeitsinstrument des Menschen ist der Boden. Gebt
dem Menschen nur ein kleines Fetzchen Boden und er wird mit dem Sonnenlicht
zusammen darauf eine wunderbare Ernte hervorzaubern, vielleicht eine Obstzucht oder
Geflügelzucht, vielleicht ein kaufmännisches Geschäft, das immer weitere Kreise zieht,
vielleicht eine Fabrik, die sich beständig vergrößert, vielleicht auch nur eine Kinder¬
stube blondköpfiger Jugend, die es ihrerseits unternehmen wird, die Erde zu erobern.

Nun aber liegen große Felder deutschen Bodens unlösbar fest miteinander
verschnürt, teils durch Besitz der toten Hand, teils durch das Fideikommißrecht
und endlich, was das allgemeinste und darum schlimmste ist, durch unser
Hypothekenrecht. Wenn dies deutsche Land dem Volk geöffnet würde, so würde
das uns ähnlichen Gewinn bringen, wie einst die Eröffnung der großen
Getreideprovinzen und des wilden Westens dem nordamerikanischen Volke. Die
Landstände ist zwar hundertmal kleiner, aber dafür der Boden hundertmal wert¬
voller, weil ganz Deutschland, weltpolitisch angesehen, den Wertcharakter von
städtischem Boden hat. Diese Landöffnung heißt innere Kolonisation. Sie ist
die wichtigste Aufgabe unserer Zukunft. Sie wird aber nicht gelingen, solange
der deutsche Arbeiter auf dem Lande mit der Konkurrenz der ausländischen
Arbeiter ringen muß. Darum Schutz dem deutschen Arbeiter!

Diese Idee hat auch nicht eigentlich antipolnischen Charakter. Im Gegenteil;
wenn das deutsche Volk erst nicht mehr das beängstigende Schauspiel vor Augen
sieht, daß die polnische Flut Scholle um Scholle vom deutschen Lande reißt,
sich dabei stärkt durch Zuzug von jenseits der Grenze und immer tiefer nach
Pommern, Brandenburg, Westfalen sogar hineinzüngelt, wenn es nur noch zu
tun hat mit dem Polentum, soweit das nun einmal in den Reichsgrenzen wohnt,
und das doch schließlich zu ertragen ist, so wird das deutsche Volk auch die
quälende Bedrängungspolitik gegen dieses Polentum aufgeben.


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[0130] Schutz dem deutschen Arbeiter Kontinent noch Arbeits- und Existenzmöglichkeit für viele, das englische Volk hat dasselbe an seinen großen Kolonien Kanada, Australien, Südafrika. Das deutsche Volk hat nichts dergleichen, denn unsere Kolonien bieten das nicht und es wächst doch ebenso stark wie jene. Weil jeder Amerikaner die Zuversicht hat und haben darf, daß es ihm gelingen muß, reich oder wenigstens wohlhabend zu werden, daher der Optimismus der Amerikaner, der sie uns überlegen macht trotz unserer größeren Schulung, und daher auch das Fehlen einer mächtigen revolutionären Arbeiterbewegung. Wir Deutschen haben es schwerer und müssen durch größere geistige Anstrengung ersetzen, was uns an natürlichen Vorteilen fehlt. Wir haben nur den einen allerdings auch wertvollen Vorteil, daß wir im Herzen von Europa sitzen, dem wundervollen Erdteil, der bis auf unab¬ sehbare Zeit der zentrale Markt und die Hauptstadt der Welt bleiben wird, und daß wir also mit der Weltwirtschaft wachsen werden. Damit unserem hart arbeitenden Volk die Gesundheit des Gemüts, die Zufriedenheit erhalten bleibt, muß es auch für seine besitzlosen Söhne die Möglichkeit sichern, daß sie wenn auch nach mühevollem Erwerb die wirtschaftliche Selbständigkeit, die Freiheit vor sich fehen. Das wichtigste Arbeitsinstrument des Menschen ist der Boden. Gebt dem Menschen nur ein kleines Fetzchen Boden und er wird mit dem Sonnenlicht zusammen darauf eine wunderbare Ernte hervorzaubern, vielleicht eine Obstzucht oder Geflügelzucht, vielleicht ein kaufmännisches Geschäft, das immer weitere Kreise zieht, vielleicht eine Fabrik, die sich beständig vergrößert, vielleicht auch nur eine Kinder¬ stube blondköpfiger Jugend, die es ihrerseits unternehmen wird, die Erde zu erobern. Nun aber liegen große Felder deutschen Bodens unlösbar fest miteinander verschnürt, teils durch Besitz der toten Hand, teils durch das Fideikommißrecht und endlich, was das allgemeinste und darum schlimmste ist, durch unser Hypothekenrecht. Wenn dies deutsche Land dem Volk geöffnet würde, so würde das uns ähnlichen Gewinn bringen, wie einst die Eröffnung der großen Getreideprovinzen und des wilden Westens dem nordamerikanischen Volke. Die Landstände ist zwar hundertmal kleiner, aber dafür der Boden hundertmal wert¬ voller, weil ganz Deutschland, weltpolitisch angesehen, den Wertcharakter von städtischem Boden hat. Diese Landöffnung heißt innere Kolonisation. Sie ist die wichtigste Aufgabe unserer Zukunft. Sie wird aber nicht gelingen, solange der deutsche Arbeiter auf dem Lande mit der Konkurrenz der ausländischen Arbeiter ringen muß. Darum Schutz dem deutschen Arbeiter! Diese Idee hat auch nicht eigentlich antipolnischen Charakter. Im Gegenteil; wenn das deutsche Volk erst nicht mehr das beängstigende Schauspiel vor Augen sieht, daß die polnische Flut Scholle um Scholle vom deutschen Lande reißt, sich dabei stärkt durch Zuzug von jenseits der Grenze und immer tiefer nach Pommern, Brandenburg, Westfalen sogar hineinzüngelt, wenn es nur noch zu tun hat mit dem Polentum, soweit das nun einmal in den Reichsgrenzen wohnt, und das doch schließlich zu ertragen ist, so wird das deutsche Volk auch die quälende Bedrängungspolitik gegen dieses Polentum aufgeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/130>, abgerufen am 23.07.2024.