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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nicht mehr zu erwidern vermochte. Nur der
cilberne Vorwurf, daß Geldgier die Wurzel
seiner Bismarckverehrimg gewesen, sei hier
zurückgewiesen. Jener von Blum bezeugte
Vorfall beweist, daß Busch für Bismarck schon
in ehrlicher Begeisterung erglüht war, als er
noch in gar keinem Verhältnis zu diesem
stand, das etwa pekuniären Vorteil für ihn
versprochen hätte.

Freilich seine kantige, gar nicht liebens¬
würdige Persönlichkeit war nicht geeignet,
ihn: Freunde zu erwerben. Auch soll nicht
geleugnet werden, daß er sich wenig duldsam
gegen Ansichten, die nicht die seinen waren,
zeigte und Leute, die demungeachtet ihn?
gegenüber solche entwickelten, sackgrob be¬
handeln konnte, sessiler, der ihn erst wenige
Fahre vor seinem Tode kennen gelernt, hat
in der Büste, die uns'zu diesen Zeilen Ver¬
anlassung gegeben, sein Wesen wunderbar
treu zu erfassen verstanden. Der kleine,
strenge, wie zur Abwehr trotzig emporgereckte
Greisenkopf -- nicht bloß infolge wiederholter
Schlaganfälle, sondern eine Haltung, die ihm
auch in gesunden Tagen eigen war -- könnte
einem "alten Schweden" des Dreißigjährigen
Krieges angehören und ist für die Wieder¬
gabe in Erz wie geschaffen. Bei der Ab¬
neigung Buschs, seine Person vorzudrängen
-- ein Zug, den ihm selbst die ärgsten Feinde
nicht bestreiten --, sind Bilder von ihn: selten.
Es ist ein besonderer Glücksumstand, daß es
gerade einen: sessiler möglich ward, uns den
merkwürdigen Charakterkopf im Abbild zu
erhalten. Und es wäre mit Freuden zu be¬
grüßen, wenn dasLeiPzigerStädtische Museum
die Gelegenheit nützte, diese interessante
Bronze ihren Schätzen einzuverleiben, einmal
ihres künstlerischen Wertes halber, dann aber
auch Moritz Buschs selbst wegen, dem wir
das ausgezeichnete literarische Porträt des
"größten Deutschen" verdanken, und der somit
Wohl ein Anrecht darauf hat, daß die Stadt,
Wo er es geschaffen, solcherweise sein An¬
Georg Böttiche denken ehrt,

Geschichte

Wir müssen es uns versagen, das bekannte
Werk Theoblild Zicglcrs "Die geistigen und
sozialen Strömungen des neunzehnten Jahr¬
hunderts" (Berlin 1911, Georg Bondi. Unge¬

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kürzte Volksausgabe. Preis M, 4,80) einer um¬
fassenden Besprechung zu unterziehen, und be¬
gnügen uns in diesen: Rahmen mit einem kur¬
zen Hinweis auf die politischen Ergebnisse des
Verfassers und die Ausblicke, die sie allenfalls
eröffnen. Als eine den Ausgang des neun¬
zehnten Jahrhunderts beherrschende Tatsache
erscheint das Anwachsen der sozialen Be¬
wegung, deren Einfluß sich keine der in
Deutschland bestehenden Parteien, nicht ein¬
mal die Konservativen und das Agmriertum,
völlig haben entziehen können. Mit Recht
erblickt Ziegler in der Durchdringung des
Liberalismus mit sozialreformatorischem Geist
eine Lebensnotwendigkeit für seine Erneuerung
und seine Zukunft, die gefährdet wäre, wollte
man sie nur einseitig auf seine individu¬
alistischen und ntomisierenden Kräfte aufbauen.
Denn diesen sind mit dem Sieg über den
Absolutismus und der Verwirklichung einer
ReiheandererForderungen wichtige zusammen¬
haltende Ziele, wenn auch oft nur die ge¬
meinsamer Gegnerschaft, entschwunden. Das
Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, die
geistige Wurzel des Liberalismus, braucht
bei dieser Aufnahme neuer zeitgemäßer In¬
halte durchaus nicht verkümmert oder aus¬
gegeben zu werden; in: Gegenteil, es wird die
im Fluß befindliche Entwicklung davor be¬
wahren, in starren Zwang auszuarten. Nur
in einer Verbindung beider Richtungen
können die sozialen Aufgaben einer er¬
sprießlichen Lösung entgegengeführt werden.
Der Verfasser sieht zwar ebenfalls jenen
vielbesprochenen Bund von Bassermann bis
Bebel noch in weiter Ferne, Aber es ist
immerhin beachtenswert, daß ein so be¬
sonnener Vertreter der Bismarckischen Gene¬
ration trotz Magdeburg an eine "Mau¬
serung" der Sozialdemokratie glaubt, den:
Revisionismus eine günstige Prognose stellt
und das Emporsteigen der seit Lassalle
verschütteten nationalen Gedanken und eine
mähliche Erziehung zur Politischen Mitarbeit
hoffnungsvoll beurteilt. Er verwirft daher
alle Ausnahmemaßregeln gegen die sozial¬
demokratische Partei, gegen deren Sünden er
im übrigen nicht blind ist. Er will sie rein
mit den Waffen des Geistes bekämpfen und
die Hand, wo sie sich anbietet, verantwortlich
anzuschaffen, nicht zurückstoßen.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nicht mehr zu erwidern vermochte. Nur der
cilberne Vorwurf, daß Geldgier die Wurzel
seiner Bismarckverehrimg gewesen, sei hier
zurückgewiesen. Jener von Blum bezeugte
Vorfall beweist, daß Busch für Bismarck schon
in ehrlicher Begeisterung erglüht war, als er
noch in gar keinem Verhältnis zu diesem
stand, das etwa pekuniären Vorteil für ihn
versprochen hätte.

Freilich seine kantige, gar nicht liebens¬
würdige Persönlichkeit war nicht geeignet,
ihn: Freunde zu erwerben. Auch soll nicht
geleugnet werden, daß er sich wenig duldsam
gegen Ansichten, die nicht die seinen waren,
zeigte und Leute, die demungeachtet ihn?
gegenüber solche entwickelten, sackgrob be¬
handeln konnte, sessiler, der ihn erst wenige
Fahre vor seinem Tode kennen gelernt, hat
in der Büste, die uns'zu diesen Zeilen Ver¬
anlassung gegeben, sein Wesen wunderbar
treu zu erfassen verstanden. Der kleine,
strenge, wie zur Abwehr trotzig emporgereckte
Greisenkopf — nicht bloß infolge wiederholter
Schlaganfälle, sondern eine Haltung, die ihm
auch in gesunden Tagen eigen war — könnte
einem „alten Schweden" des Dreißigjährigen
Krieges angehören und ist für die Wieder¬
gabe in Erz wie geschaffen. Bei der Ab¬
neigung Buschs, seine Person vorzudrängen
— ein Zug, den ihm selbst die ärgsten Feinde
nicht bestreiten —, sind Bilder von ihn: selten.
Es ist ein besonderer Glücksumstand, daß es
gerade einen: sessiler möglich ward, uns den
merkwürdigen Charakterkopf im Abbild zu
erhalten. Und es wäre mit Freuden zu be¬
grüßen, wenn dasLeiPzigerStädtische Museum
die Gelegenheit nützte, diese interessante
Bronze ihren Schätzen einzuverleiben, einmal
ihres künstlerischen Wertes halber, dann aber
auch Moritz Buschs selbst wegen, dem wir
das ausgezeichnete literarische Porträt des
„größten Deutschen" verdanken, und der somit
Wohl ein Anrecht darauf hat, daß die Stadt,
Wo er es geschaffen, solcherweise sein An¬
Georg Böttiche denken ehrt,

Geschichte

Wir müssen es uns versagen, das bekannte
Werk Theoblild Zicglcrs „Die geistigen und
sozialen Strömungen des neunzehnten Jahr¬
hunderts" (Berlin 1911, Georg Bondi. Unge¬

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kürzte Volksausgabe. Preis M, 4,80) einer um¬
fassenden Besprechung zu unterziehen, und be¬
gnügen uns in diesen: Rahmen mit einem kur¬
zen Hinweis auf die politischen Ergebnisse des
Verfassers und die Ausblicke, die sie allenfalls
eröffnen. Als eine den Ausgang des neun¬
zehnten Jahrhunderts beherrschende Tatsache
erscheint das Anwachsen der sozialen Be¬
wegung, deren Einfluß sich keine der in
Deutschland bestehenden Parteien, nicht ein¬
mal die Konservativen und das Agmriertum,
völlig haben entziehen können. Mit Recht
erblickt Ziegler in der Durchdringung des
Liberalismus mit sozialreformatorischem Geist
eine Lebensnotwendigkeit für seine Erneuerung
und seine Zukunft, die gefährdet wäre, wollte
man sie nur einseitig auf seine individu¬
alistischen und ntomisierenden Kräfte aufbauen.
Denn diesen sind mit dem Sieg über den
Absolutismus und der Verwirklichung einer
ReiheandererForderungen wichtige zusammen¬
haltende Ziele, wenn auch oft nur die ge¬
meinsamer Gegnerschaft, entschwunden. Das
Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, die
geistige Wurzel des Liberalismus, braucht
bei dieser Aufnahme neuer zeitgemäßer In¬
halte durchaus nicht verkümmert oder aus¬
gegeben zu werden; in: Gegenteil, es wird die
im Fluß befindliche Entwicklung davor be¬
wahren, in starren Zwang auszuarten. Nur
in einer Verbindung beider Richtungen
können die sozialen Aufgaben einer er¬
sprießlichen Lösung entgegengeführt werden.
Der Verfasser sieht zwar ebenfalls jenen
vielbesprochenen Bund von Bassermann bis
Bebel noch in weiter Ferne, Aber es ist
immerhin beachtenswert, daß ein so be¬
sonnener Vertreter der Bismarckischen Gene¬
ration trotz Magdeburg an eine „Mau¬
serung" der Sozialdemokratie glaubt, den:
Revisionismus eine günstige Prognose stellt
und das Emporsteigen der seit Lassalle
verschütteten nationalen Gedanken und eine
mähliche Erziehung zur Politischen Mitarbeit
hoffnungsvoll beurteilt. Er verwirft daher
alle Ausnahmemaßregeln gegen die sozial¬
demokratische Partei, gegen deren Sünden er
im übrigen nicht blind ist. Er will sie rein
mit den Waffen des Geistes bekämpfen und
die Hand, wo sie sich anbietet, verantwortlich
anzuschaffen, nicht zurückstoßen.

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[0098] Maßgebliches und Unmaßgebliches nicht mehr zu erwidern vermochte. Nur der cilberne Vorwurf, daß Geldgier die Wurzel seiner Bismarckverehrimg gewesen, sei hier zurückgewiesen. Jener von Blum bezeugte Vorfall beweist, daß Busch für Bismarck schon in ehrlicher Begeisterung erglüht war, als er noch in gar keinem Verhältnis zu diesem stand, das etwa pekuniären Vorteil für ihn versprochen hätte. Freilich seine kantige, gar nicht liebens¬ würdige Persönlichkeit war nicht geeignet, ihn: Freunde zu erwerben. Auch soll nicht geleugnet werden, daß er sich wenig duldsam gegen Ansichten, die nicht die seinen waren, zeigte und Leute, die demungeachtet ihn? gegenüber solche entwickelten, sackgrob be¬ handeln konnte, sessiler, der ihn erst wenige Fahre vor seinem Tode kennen gelernt, hat in der Büste, die uns'zu diesen Zeilen Ver¬ anlassung gegeben, sein Wesen wunderbar treu zu erfassen verstanden. Der kleine, strenge, wie zur Abwehr trotzig emporgereckte Greisenkopf — nicht bloß infolge wiederholter Schlaganfälle, sondern eine Haltung, die ihm auch in gesunden Tagen eigen war — könnte einem „alten Schweden" des Dreißigjährigen Krieges angehören und ist für die Wieder¬ gabe in Erz wie geschaffen. Bei der Ab¬ neigung Buschs, seine Person vorzudrängen — ein Zug, den ihm selbst die ärgsten Feinde nicht bestreiten —, sind Bilder von ihn: selten. Es ist ein besonderer Glücksumstand, daß es gerade einen: sessiler möglich ward, uns den merkwürdigen Charakterkopf im Abbild zu erhalten. Und es wäre mit Freuden zu be¬ grüßen, wenn dasLeiPzigerStädtische Museum die Gelegenheit nützte, diese interessante Bronze ihren Schätzen einzuverleiben, einmal ihres künstlerischen Wertes halber, dann aber auch Moritz Buschs selbst wegen, dem wir das ausgezeichnete literarische Porträt des „größten Deutschen" verdanken, und der somit Wohl ein Anrecht darauf hat, daß die Stadt, Wo er es geschaffen, solcherweise sein An¬ Georg Böttiche denken ehrt, Geschichte Wir müssen es uns versagen, das bekannte Werk Theoblild Zicglcrs „Die geistigen und sozialen Strömungen des neunzehnten Jahr¬ hunderts" (Berlin 1911, Georg Bondi. Unge¬ kürzte Volksausgabe. Preis M, 4,80) einer um¬ fassenden Besprechung zu unterziehen, und be¬ gnügen uns in diesen: Rahmen mit einem kur¬ zen Hinweis auf die politischen Ergebnisse des Verfassers und die Ausblicke, die sie allenfalls eröffnen. Als eine den Ausgang des neun¬ zehnten Jahrhunderts beherrschende Tatsache erscheint das Anwachsen der sozialen Be¬ wegung, deren Einfluß sich keine der in Deutschland bestehenden Parteien, nicht ein¬ mal die Konservativen und das Agmriertum, völlig haben entziehen können. Mit Recht erblickt Ziegler in der Durchdringung des Liberalismus mit sozialreformatorischem Geist eine Lebensnotwendigkeit für seine Erneuerung und seine Zukunft, die gefährdet wäre, wollte man sie nur einseitig auf seine individu¬ alistischen und ntomisierenden Kräfte aufbauen. Denn diesen sind mit dem Sieg über den Absolutismus und der Verwirklichung einer ReiheandererForderungen wichtige zusammen¬ haltende Ziele, wenn auch oft nur die ge¬ meinsamer Gegnerschaft, entschwunden. Das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, die geistige Wurzel des Liberalismus, braucht bei dieser Aufnahme neuer zeitgemäßer In¬ halte durchaus nicht verkümmert oder aus¬ gegeben zu werden; in: Gegenteil, es wird die im Fluß befindliche Entwicklung davor be¬ wahren, in starren Zwang auszuarten. Nur in einer Verbindung beider Richtungen können die sozialen Aufgaben einer er¬ sprießlichen Lösung entgegengeführt werden. Der Verfasser sieht zwar ebenfalls jenen vielbesprochenen Bund von Bassermann bis Bebel noch in weiter Ferne, Aber es ist immerhin beachtenswert, daß ein so be¬ sonnener Vertreter der Bismarckischen Gene¬ ration trotz Magdeburg an eine „Mau¬ serung" der Sozialdemokratie glaubt, den: Revisionismus eine günstige Prognose stellt und das Emporsteigen der seit Lassalle verschütteten nationalen Gedanken und eine mähliche Erziehung zur Politischen Mitarbeit hoffnungsvoll beurteilt. Er verwirft daher alle Ausnahmemaßregeln gegen die sozial¬ demokratische Partei, gegen deren Sünden er im übrigen nicht blind ist. Er will sie rein mit den Waffen des Geistes bekämpfen und die Hand, wo sie sich anbietet, verantwortlich anzuschaffen, nicht zurückstoßen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/98>, abgerufen am 29.12.2024.