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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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des dramaturgischen Berufes ist im allgemeinen von Grund aus der Wichtigkeit
eines solchen Amtes unangemessen. Man nimmt den Dramaturgenposten als
solchen nicht wichtig genug. Aus der Hand des Dramaturgen soll alles kommen,
wovon das Theater künstlerisch und materiell leben will. Daran ist die un¬
geheure Wichtigkeit dieses Amtes zu ermessen. Trotzdem wird der Dramaturgen¬
posten von, Theater im allgemeinen höchst stiefmütterlich behandelt. Ganz
abgesehen davon, daß es grundfalsch ist, gerade dieses verantwortungsvollste
Amt jungen, dem Theater zustrebenden Elementen anzuvertrauen, die sich ein¬
arbeiten wollen, liegt ein Niesenfehler darin, daß die dramaturgischen Bureaus
im Verhältnis zu dem laufenden Arbeitspensum mit viel zu schwachen Arbeits¬
kräften versehen sind. Ich bin der erste, den die ins Unglaubliche gesteigerten
Wartefristen und Zumutungen von jeher empört haben, denen heutzutage ein
wohlerzogener und anständiger Mensch von dem Augenblick an ausgesetzt ist,
wo er sein Manuskript in harmloser und, wie ihn dünkt, berechtigter Selbst¬
verständlichkeit einem Theater eingereicht hat. Aber man muß die Sache auch
von der anderen Seite betrachten. Wer dem Theater nicht nahe steht, macht
sich keinen Begriff davon, welche Hochflut von Produktionen alljährlich im
allgemeinen das Lesepensum eines dramaturgischen Bureaus ausmacht. Und
meistens besteht dieses Bureau aus einem einzelnen, selten aus zweien. In
keinem Falle aber hat der Dramaturg die Möglichkeit, seine ganze Zeit und
Kraft dem eingehenden Studium des ihm anvertrauten so wichtigen Materials
zu widmen, sondern er wird im Alltagsbetrieb des Theaters zunächst einmal
aufgesogen durch Korrespondenzen, Besuchsempfänge, Besetzungs-, Umbesetzungs-
angelegenheiten, Spielplanausarbeitungen, Erledigung der laufenden Schau¬
spielerangelegenheiten usw. Zwischendurch und außerdem liest er. So dürfte
es nicht sein, aber es ist so. Dadurch entstehen ungeheure Rückstände im Lese¬
pensum und es stellt sich, da dieser Zustand fast allgemein ist, schließlich ein
Usus an Prüfungsfristen heraus, der ans Märchenhafte grenzt. Da der Autor
lui allgemeinen ein stärkeres Interesse daran hat, in Frieden gelesen, als auf
dem Wege über einen Krach schneller, aber vielleicht mit einer gewissen Gereiztheit
geprüft zu werden, so bleibt eben alles beim alten.

Vielleicht ließe sich durch einen Autorenverband oder ein ähnlich geartetes
Zentrum einmal folgender Versuch zur Abhilfe bewerkstelligen! Alle Vertriebs¬
stellen oder Autoren, die ihre Interessen selbst vertreten, werden aufgefordert,
ihr Erfahrungsmaterial auf diesen, Gebiete zusammenzutragen: Daten der Ein-
senoungs- und Erlcdigungstermine, Ablehnungsbegründungen, Form der Ableh¬
nungen überhaupt, Form des Verkehrs zwischen Theater und Autoren im
allgemeinen usw. -- Die Dramaturgen ihrerseits müßten dieser Bewegung
gegenüber eine Statistik darüber aufstellen, wie an jedem Theater das Lese-
pensum durchschnittlich aussieht und welche Arbeitskräfte dem gegenüberstehen.
Aus dem Vergleich dieser Statistiker könnte sich ergeben, wo die Besserung ein¬
zusetzen hätte. Vielleicht ließen sich durch solche Versuche auch in rätselhafte


Till Luleiisxiegel

des dramaturgischen Berufes ist im allgemeinen von Grund aus der Wichtigkeit
eines solchen Amtes unangemessen. Man nimmt den Dramaturgenposten als
solchen nicht wichtig genug. Aus der Hand des Dramaturgen soll alles kommen,
wovon das Theater künstlerisch und materiell leben will. Daran ist die un¬
geheure Wichtigkeit dieses Amtes zu ermessen. Trotzdem wird der Dramaturgen¬
posten von, Theater im allgemeinen höchst stiefmütterlich behandelt. Ganz
abgesehen davon, daß es grundfalsch ist, gerade dieses verantwortungsvollste
Amt jungen, dem Theater zustrebenden Elementen anzuvertrauen, die sich ein¬
arbeiten wollen, liegt ein Niesenfehler darin, daß die dramaturgischen Bureaus
im Verhältnis zu dem laufenden Arbeitspensum mit viel zu schwachen Arbeits¬
kräften versehen sind. Ich bin der erste, den die ins Unglaubliche gesteigerten
Wartefristen und Zumutungen von jeher empört haben, denen heutzutage ein
wohlerzogener und anständiger Mensch von dem Augenblick an ausgesetzt ist,
wo er sein Manuskript in harmloser und, wie ihn dünkt, berechtigter Selbst¬
verständlichkeit einem Theater eingereicht hat. Aber man muß die Sache auch
von der anderen Seite betrachten. Wer dem Theater nicht nahe steht, macht
sich keinen Begriff davon, welche Hochflut von Produktionen alljährlich im
allgemeinen das Lesepensum eines dramaturgischen Bureaus ausmacht. Und
meistens besteht dieses Bureau aus einem einzelnen, selten aus zweien. In
keinem Falle aber hat der Dramaturg die Möglichkeit, seine ganze Zeit und
Kraft dem eingehenden Studium des ihm anvertrauten so wichtigen Materials
zu widmen, sondern er wird im Alltagsbetrieb des Theaters zunächst einmal
aufgesogen durch Korrespondenzen, Besuchsempfänge, Besetzungs-, Umbesetzungs-
angelegenheiten, Spielplanausarbeitungen, Erledigung der laufenden Schau¬
spielerangelegenheiten usw. Zwischendurch und außerdem liest er. So dürfte
es nicht sein, aber es ist so. Dadurch entstehen ungeheure Rückstände im Lese¬
pensum und es stellt sich, da dieser Zustand fast allgemein ist, schließlich ein
Usus an Prüfungsfristen heraus, der ans Märchenhafte grenzt. Da der Autor
lui allgemeinen ein stärkeres Interesse daran hat, in Frieden gelesen, als auf
dem Wege über einen Krach schneller, aber vielleicht mit einer gewissen Gereiztheit
geprüft zu werden, so bleibt eben alles beim alten.

Vielleicht ließe sich durch einen Autorenverband oder ein ähnlich geartetes
Zentrum einmal folgender Versuch zur Abhilfe bewerkstelligen! Alle Vertriebs¬
stellen oder Autoren, die ihre Interessen selbst vertreten, werden aufgefordert,
ihr Erfahrungsmaterial auf diesen, Gebiete zusammenzutragen: Daten der Ein-
senoungs- und Erlcdigungstermine, Ablehnungsbegründungen, Form der Ableh¬
nungen überhaupt, Form des Verkehrs zwischen Theater und Autoren im
allgemeinen usw. — Die Dramaturgen ihrerseits müßten dieser Bewegung
gegenüber eine Statistik darüber aufstellen, wie an jedem Theater das Lese-
pensum durchschnittlich aussieht und welche Arbeitskräfte dem gegenüberstehen.
Aus dem Vergleich dieser Statistiker könnte sich ergeben, wo die Besserung ein¬
zusetzen hätte. Vielleicht ließen sich durch solche Versuche auch in rätselhafte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/90>, abgerufen am 01.01.2025.