Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Till Eulenspiegol für die beste von allen ihn: bekannten Bearbeitungen des Eulenspiegelthemas; "Ja, wie kommt es," fragt sich der unbefangene Mensch, "daß ein Stück, Ja, wie kommt es? -- Das ist die große Frage. Die Antwort ist schwer und kaum zu geben. Als Angehöriger einer Bühne Till Eulenspiegol für die beste von allen ihn: bekannten Bearbeitungen des Eulenspiegelthemas; „Ja, wie kommt es," fragt sich der unbefangene Mensch, „daß ein Stück, Ja, wie kommt es? — Das ist die große Frage. Die Antwort ist schwer und kaum zu geben. Als Angehöriger einer Bühne <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319038"/> <fw type="header" place="top"> Till Eulenspiegol</fw><lb/> <p xml:id="ID_885" prev="#ID_884"> für die beste von allen ihn: bekannten Bearbeitungen des Eulenspiegelthemas;<lb/> Dr. Kräck rühmt daran, daß hier aus dem bunt zerflatternden Eulenspiegelstoff<lb/> ein in sich geschlossenes dramatisches Gebäude aufgerichtet ist, und sügt hinzu,<lb/> das müsse jeder anerkennen, der nur eine Ahnung von Bühnenschriftstellerei<lb/> habe; Harm Waiden schreibt mir, er sei mit mir der Meinung, daß es sich<lb/> hier um eine starke Erfolgsmöglichkeit handle; Karl Clewing hat das Stück als<lb/> ein hervorragend gutes Lustspiel bezeichnet.</p><lb/> <p xml:id="ID_886"> „Ja, wie kommt es," fragt sich der unbefangene Mensch, „daß ein Stück,<lb/> das von Fachleuten, ja von solchen, die so nahe der entscheidenden Stelle sitzen,<lb/> gut beurteilt wird, nicht schon seinen Platz gefunden hat? Wie kommt es<lb/> überhaupt, daß dieses und jenes gute Stück nicht aufgeführt wird?"</p><lb/> <p xml:id="ID_887"> Ja, wie kommt es? — Das ist die große Frage.</p><lb/> <p xml:id="ID_888" next="#ID_889"> Die Antwort ist schwer und kaum zu geben. Als Angehöriger einer Bühne<lb/> muß ich mich auf eine grundsätzliche Erörterung beschränken. Erklärungen gibt<lb/> es eine ganze Reihe; jede fängt an einem anderen Zipfel an, aber alle sind sie<lb/> nicht lang genug, um im Zentrum des Themas zusammenzutreffen und im<lb/> Schnittpunkt eine Antwort zu ergeben. Eine Haupterklärung ist wohl die, daß<lb/> es kaum ein Theater gibt, das in seinen wichtigen Entscheidungen wirklich frei<lb/> wäre. Die einzigen, die es materiell könnten, die Hoftheater, sind zumeist die<lb/> abhängigsten. Angenommen den Fall, ein Theaterleiter stimmt dem günstigen<lb/> Urteil seines Dramaturgen über ein unbekanntes Stück zu und hat den Wunsch,<lb/> es aufzuführen, so tauchen unverzüglich Fragen wie diese auf: Kann ich das<lb/> Stück gut besetzen? Welche Aufführungsverpflichtungen liegen überhaupt schon<lb/> vor? Welche für diese Saison? Läßt sich das neue Stück diesen: Spielplan<lb/> einfügen, ohne mit dem Interesse (durch Thema, Typus, Besetzung usw.) eines<lb/> der vorhandenen Stücke zu kollidieren? Was kostet das Stück an Ausstattung?<lb/> Welche Kosten haben wir bereits für die im Spielplan festgesetzten Stücke ver¬<lb/> anschlagt? — Ergibt es sich dann, daß das Stück auf eine spätere Zeit verschoben<lb/> werden müßte, so ist schon das Interesse abgeschwächt — denn das Theater ist<lb/> seinem Wesen nach auf den Augenblick gestellt, und alle Kräfte sind naturgemäß<lb/> auf das zunächst Vorliegende gesammelt — nächste Saison ist schon einigermaßen<lb/> cura postenor. Freilich, ein gewissenhafter Direktor sorgt vor; aber immerhin:<lb/> „nächste Saison" — die Entscheidung drängt nicht so, Vertagung, Verzettelung,<lb/> Beiseitelegen auf ein höheres Brett — Vergessenheit. Der Autor erkundigt sich,<lb/> erst schriftlich, dann persönlich, zufällig an einem Tage, wo das ganze Theater<lb/> überlastet ist von einer momentanen Wichtigkeit, einer Generalprobe oder ähn¬<lb/> lichem — den Rest kann man sich denken. „Ja, aber," sagt der normale<lb/> Mensch, „es muß doch möglich sein, Ordnung zu halten, auch bei starkem<lb/> Betrieb. Jede Fabrik kann doch das." Gewiß, aber das Theater ist (noch)<lb/> keine Fabrik, ist, wie gesagt, von: Augenblick abhängig, und dieses Augenblicks¬<lb/> leben steckt an; nur sehr kräftige Naturen mit eisernem Ordnungssinn bleiben<lb/> davon unberührt. Und was ungeheuer wichtig ist — die Gesamtauffassung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0089]
Till Eulenspiegol
für die beste von allen ihn: bekannten Bearbeitungen des Eulenspiegelthemas;
Dr. Kräck rühmt daran, daß hier aus dem bunt zerflatternden Eulenspiegelstoff
ein in sich geschlossenes dramatisches Gebäude aufgerichtet ist, und sügt hinzu,
das müsse jeder anerkennen, der nur eine Ahnung von Bühnenschriftstellerei
habe; Harm Waiden schreibt mir, er sei mit mir der Meinung, daß es sich
hier um eine starke Erfolgsmöglichkeit handle; Karl Clewing hat das Stück als
ein hervorragend gutes Lustspiel bezeichnet.
„Ja, wie kommt es," fragt sich der unbefangene Mensch, „daß ein Stück,
das von Fachleuten, ja von solchen, die so nahe der entscheidenden Stelle sitzen,
gut beurteilt wird, nicht schon seinen Platz gefunden hat? Wie kommt es
überhaupt, daß dieses und jenes gute Stück nicht aufgeführt wird?"
Ja, wie kommt es? — Das ist die große Frage.
Die Antwort ist schwer und kaum zu geben. Als Angehöriger einer Bühne
muß ich mich auf eine grundsätzliche Erörterung beschränken. Erklärungen gibt
es eine ganze Reihe; jede fängt an einem anderen Zipfel an, aber alle sind sie
nicht lang genug, um im Zentrum des Themas zusammenzutreffen und im
Schnittpunkt eine Antwort zu ergeben. Eine Haupterklärung ist wohl die, daß
es kaum ein Theater gibt, das in seinen wichtigen Entscheidungen wirklich frei
wäre. Die einzigen, die es materiell könnten, die Hoftheater, sind zumeist die
abhängigsten. Angenommen den Fall, ein Theaterleiter stimmt dem günstigen
Urteil seines Dramaturgen über ein unbekanntes Stück zu und hat den Wunsch,
es aufzuführen, so tauchen unverzüglich Fragen wie diese auf: Kann ich das
Stück gut besetzen? Welche Aufführungsverpflichtungen liegen überhaupt schon
vor? Welche für diese Saison? Läßt sich das neue Stück diesen: Spielplan
einfügen, ohne mit dem Interesse (durch Thema, Typus, Besetzung usw.) eines
der vorhandenen Stücke zu kollidieren? Was kostet das Stück an Ausstattung?
Welche Kosten haben wir bereits für die im Spielplan festgesetzten Stücke ver¬
anschlagt? — Ergibt es sich dann, daß das Stück auf eine spätere Zeit verschoben
werden müßte, so ist schon das Interesse abgeschwächt — denn das Theater ist
seinem Wesen nach auf den Augenblick gestellt, und alle Kräfte sind naturgemäß
auf das zunächst Vorliegende gesammelt — nächste Saison ist schon einigermaßen
cura postenor. Freilich, ein gewissenhafter Direktor sorgt vor; aber immerhin:
„nächste Saison" — die Entscheidung drängt nicht so, Vertagung, Verzettelung,
Beiseitelegen auf ein höheres Brett — Vergessenheit. Der Autor erkundigt sich,
erst schriftlich, dann persönlich, zufällig an einem Tage, wo das ganze Theater
überlastet ist von einer momentanen Wichtigkeit, einer Generalprobe oder ähn¬
lichem — den Rest kann man sich denken. „Ja, aber," sagt der normale
Mensch, „es muß doch möglich sein, Ordnung zu halten, auch bei starkem
Betrieb. Jede Fabrik kann doch das." Gewiß, aber das Theater ist (noch)
keine Fabrik, ist, wie gesagt, von: Augenblick abhängig, und dieses Augenblicks¬
leben steckt an; nur sehr kräftige Naturen mit eisernem Ordnungssinn bleiben
davon unberührt. Und was ungeheuer wichtig ist — die Gesamtauffassung
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