Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Till Lulenspiegel

Zusammenhänge wie, daß heute erfolgreiche Autoren, obwohl längst zur Kenntnis
gebracht, gerade jetzt und nicht früher zu Wort kamen, überraschende Aufklärungs¬
lichter werfen.

Ich las vor etwa acht Jahren an maßgebender Stelle aus Eduard Stuckens
Dramen vor, um für ihn Interesse zu erwecken; vor zwei Jahren wurde er
zum erstenmal gespielt mit starkem Erfolg. Warum erst jetzt? Warum nicht
schon vor acht Jahren?

Auch manches andere könnte Aufklärung finden, z. B. wie es möglich ist,
daß von dramaturgischen Bureaus großstädtischer Theater Briefe wie folgender
verschickt werden können: "Ich habe die mir freundlich überreichte Komödie X. A.
mit großem Interesse gelesen und freue mich, den Humor und die Bühnen¬
wirksamkeit des Werkes konstatieren zu köunen. Nach den bisher gemachten
Erfahrungen dürfte das Stück jedoch gerade wegen seiner speziellen Eigenart
für unsere Bühne leider kaum geeignet sein. Ich glaube aber bestimmt, daß
dem Autor an geeigneter Stelle der verdiente Erfolg zuteil wird und sende
Ihnen anbei das Buch mit bestem Dank zurück."

Eine besonders starke Hemmung bei der Entscheidung der Theaterlcituugen
über neue Autoren bildet meiner Ansicht nach seit einer Reihe von Jahren auch
vor allem die immer mehr überhandnehmende Ausstattuugsverpflichtung. Die
blinde Seusatiouslust der Masse treibt die Ausprüche an die dekorative Leistung
der Bühne von Jahr zu Jahr höher hinauf. Keiner wagt ein Eude zu machen,
weil er mit dem Publikum rechnen muß. Kein großstädtischer Direktor glaubt
einen neuen Autor vorstellen zu dürfen ohne großen Aufwand. Die Furcht vor
dem Risiko verdirbt heilte so manchem unbekannten Autor die Chance.

Dem allen gegenüber werfe ich die Frage auf: Warum wird keine offizielle
Versuchsbühne gegründet? eine Versnchsbühne, die als solche von der verderb¬
lichen dekorativen Sensationsverpflichtung befreit ist? eine Versuchsbühne, unab¬
hängig von allen bestehenden Theatern, neutraler Boden, aber uuter Anteil¬
nahme aller Theaterleitungen, denen die Entwicklung der Kunst wahrhaft am
Herzen liegt? Warum könnte die "Freie Bühne" nicht in neuer Gestalt erwachen?
Wäre es die Zukunft unseres deutscheu Dramas nicht wert, mit einer solchen
Versuchsbühue von Kunst und Rechts wegen offiziell Bresche zu schlagen in diese
chinesische Mauer alljährlicher Sensationsforderungen, mit der die öffentliche
Masse die freie und natürliche Entwicklung deutscher Bühnenknnst mehr und
mehr zu umklammern droht?

Bis zu dem Tage aber, wo es eine solche Bühne geben wird, muß jeder
Kundige das Seine tun und das Gute, was ihm begegnet, ans rechte Licht zu
ziehen suchen.

Das Gute, das ich heute zu bringen habe, ist "Till Eulenspiegel".




Till Lulenspiegel

Zusammenhänge wie, daß heute erfolgreiche Autoren, obwohl längst zur Kenntnis
gebracht, gerade jetzt und nicht früher zu Wort kamen, überraschende Aufklärungs¬
lichter werfen.

Ich las vor etwa acht Jahren an maßgebender Stelle aus Eduard Stuckens
Dramen vor, um für ihn Interesse zu erwecken; vor zwei Jahren wurde er
zum erstenmal gespielt mit starkem Erfolg. Warum erst jetzt? Warum nicht
schon vor acht Jahren?

Auch manches andere könnte Aufklärung finden, z. B. wie es möglich ist,
daß von dramaturgischen Bureaus großstädtischer Theater Briefe wie folgender
verschickt werden können: „Ich habe die mir freundlich überreichte Komödie X. A.
mit großem Interesse gelesen und freue mich, den Humor und die Bühnen¬
wirksamkeit des Werkes konstatieren zu köunen. Nach den bisher gemachten
Erfahrungen dürfte das Stück jedoch gerade wegen seiner speziellen Eigenart
für unsere Bühne leider kaum geeignet sein. Ich glaube aber bestimmt, daß
dem Autor an geeigneter Stelle der verdiente Erfolg zuteil wird und sende
Ihnen anbei das Buch mit bestem Dank zurück."

Eine besonders starke Hemmung bei der Entscheidung der Theaterlcituugen
über neue Autoren bildet meiner Ansicht nach seit einer Reihe von Jahren auch
vor allem die immer mehr überhandnehmende Ausstattuugsverpflichtung. Die
blinde Seusatiouslust der Masse treibt die Ausprüche an die dekorative Leistung
der Bühne von Jahr zu Jahr höher hinauf. Keiner wagt ein Eude zu machen,
weil er mit dem Publikum rechnen muß. Kein großstädtischer Direktor glaubt
einen neuen Autor vorstellen zu dürfen ohne großen Aufwand. Die Furcht vor
dem Risiko verdirbt heilte so manchem unbekannten Autor die Chance.

Dem allen gegenüber werfe ich die Frage auf: Warum wird keine offizielle
Versuchsbühne gegründet? eine Versnchsbühne, die als solche von der verderb¬
lichen dekorativen Sensationsverpflichtung befreit ist? eine Versuchsbühne, unab¬
hängig von allen bestehenden Theatern, neutraler Boden, aber uuter Anteil¬
nahme aller Theaterleitungen, denen die Entwicklung der Kunst wahrhaft am
Herzen liegt? Warum könnte die „Freie Bühne" nicht in neuer Gestalt erwachen?
Wäre es die Zukunft unseres deutscheu Dramas nicht wert, mit einer solchen
Versuchsbühue von Kunst und Rechts wegen offiziell Bresche zu schlagen in diese
chinesische Mauer alljährlicher Sensationsforderungen, mit der die öffentliche
Masse die freie und natürliche Entwicklung deutscher Bühnenknnst mehr und
mehr zu umklammern droht?

Bis zu dem Tage aber, wo es eine solche Bühne geben wird, muß jeder
Kundige das Seine tun und das Gute, was ihm begegnet, ans rechte Licht zu
ziehen suchen.

Das Gute, das ich heute zu bringen habe, ist „Till Eulenspiegel".




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319040"/>
          <fw type="header" place="top"> Till Lulenspiegel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_891" prev="#ID_890"> Zusammenhänge wie, daß heute erfolgreiche Autoren, obwohl längst zur Kenntnis<lb/>
gebracht, gerade jetzt und nicht früher zu Wort kamen, überraschende Aufklärungs¬<lb/>
lichter werfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_892"> Ich las vor etwa acht Jahren an maßgebender Stelle aus Eduard Stuckens<lb/>
Dramen vor, um für ihn Interesse zu erwecken; vor zwei Jahren wurde er<lb/>
zum erstenmal gespielt mit starkem Erfolg. Warum erst jetzt? Warum nicht<lb/>
schon vor acht Jahren?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_893"> Auch manches andere könnte Aufklärung finden, z. B. wie es möglich ist,<lb/>
daß von dramaturgischen Bureaus großstädtischer Theater Briefe wie folgender<lb/>
verschickt werden können: &#x201E;Ich habe die mir freundlich überreichte Komödie X. A.<lb/>
mit großem Interesse gelesen und freue mich, den Humor und die Bühnen¬<lb/>
wirksamkeit des Werkes konstatieren zu köunen. Nach den bisher gemachten<lb/>
Erfahrungen dürfte das Stück jedoch gerade wegen seiner speziellen Eigenart<lb/>
für unsere Bühne leider kaum geeignet sein. Ich glaube aber bestimmt, daß<lb/>
dem Autor an geeigneter Stelle der verdiente Erfolg zuteil wird und sende<lb/>
Ihnen anbei das Buch mit bestem Dank zurück."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_894"> Eine besonders starke Hemmung bei der Entscheidung der Theaterlcituugen<lb/>
über neue Autoren bildet meiner Ansicht nach seit einer Reihe von Jahren auch<lb/>
vor allem die immer mehr überhandnehmende Ausstattuugsverpflichtung. Die<lb/>
blinde Seusatiouslust der Masse treibt die Ausprüche an die dekorative Leistung<lb/>
der Bühne von Jahr zu Jahr höher hinauf. Keiner wagt ein Eude zu machen,<lb/>
weil er mit dem Publikum rechnen muß. Kein großstädtischer Direktor glaubt<lb/>
einen neuen Autor vorstellen zu dürfen ohne großen Aufwand. Die Furcht vor<lb/>
dem Risiko verdirbt heilte so manchem unbekannten Autor die Chance.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_895"> Dem allen gegenüber werfe ich die Frage auf: Warum wird keine offizielle<lb/>
Versuchsbühne gegründet? eine Versnchsbühne, die als solche von der verderb¬<lb/>
lichen dekorativen Sensationsverpflichtung befreit ist? eine Versuchsbühne, unab¬<lb/>
hängig von allen bestehenden Theatern, neutraler Boden, aber uuter Anteil¬<lb/>
nahme aller Theaterleitungen, denen die Entwicklung der Kunst wahrhaft am<lb/>
Herzen liegt? Warum könnte die &#x201E;Freie Bühne" nicht in neuer Gestalt erwachen?<lb/>
Wäre es die Zukunft unseres deutscheu Dramas nicht wert, mit einer solchen<lb/>
Versuchsbühue von Kunst und Rechts wegen offiziell Bresche zu schlagen in diese<lb/>
chinesische Mauer alljährlicher Sensationsforderungen, mit der die öffentliche<lb/>
Masse die freie und natürliche Entwicklung deutscher Bühnenknnst mehr und<lb/>
mehr zu umklammern droht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_896"> Bis zu dem Tage aber, wo es eine solche Bühne geben wird, muß jeder<lb/>
Kundige das Seine tun und das Gute, was ihm begegnet, ans rechte Licht zu<lb/>
ziehen suchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_897"> Das Gute, das ich heute zu bringen habe, ist &#x201E;Till Eulenspiegel".</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0091] Till Lulenspiegel Zusammenhänge wie, daß heute erfolgreiche Autoren, obwohl längst zur Kenntnis gebracht, gerade jetzt und nicht früher zu Wort kamen, überraschende Aufklärungs¬ lichter werfen. Ich las vor etwa acht Jahren an maßgebender Stelle aus Eduard Stuckens Dramen vor, um für ihn Interesse zu erwecken; vor zwei Jahren wurde er zum erstenmal gespielt mit starkem Erfolg. Warum erst jetzt? Warum nicht schon vor acht Jahren? Auch manches andere könnte Aufklärung finden, z. B. wie es möglich ist, daß von dramaturgischen Bureaus großstädtischer Theater Briefe wie folgender verschickt werden können: „Ich habe die mir freundlich überreichte Komödie X. A. mit großem Interesse gelesen und freue mich, den Humor und die Bühnen¬ wirksamkeit des Werkes konstatieren zu köunen. Nach den bisher gemachten Erfahrungen dürfte das Stück jedoch gerade wegen seiner speziellen Eigenart für unsere Bühne leider kaum geeignet sein. Ich glaube aber bestimmt, daß dem Autor an geeigneter Stelle der verdiente Erfolg zuteil wird und sende Ihnen anbei das Buch mit bestem Dank zurück." Eine besonders starke Hemmung bei der Entscheidung der Theaterlcituugen über neue Autoren bildet meiner Ansicht nach seit einer Reihe von Jahren auch vor allem die immer mehr überhandnehmende Ausstattuugsverpflichtung. Die blinde Seusatiouslust der Masse treibt die Ausprüche an die dekorative Leistung der Bühne von Jahr zu Jahr höher hinauf. Keiner wagt ein Eude zu machen, weil er mit dem Publikum rechnen muß. Kein großstädtischer Direktor glaubt einen neuen Autor vorstellen zu dürfen ohne großen Aufwand. Die Furcht vor dem Risiko verdirbt heilte so manchem unbekannten Autor die Chance. Dem allen gegenüber werfe ich die Frage auf: Warum wird keine offizielle Versuchsbühne gegründet? eine Versnchsbühne, die als solche von der verderb¬ lichen dekorativen Sensationsverpflichtung befreit ist? eine Versuchsbühne, unab¬ hängig von allen bestehenden Theatern, neutraler Boden, aber uuter Anteil¬ nahme aller Theaterleitungen, denen die Entwicklung der Kunst wahrhaft am Herzen liegt? Warum könnte die „Freie Bühne" nicht in neuer Gestalt erwachen? Wäre es die Zukunft unseres deutscheu Dramas nicht wert, mit einer solchen Versuchsbühue von Kunst und Rechts wegen offiziell Bresche zu schlagen in diese chinesische Mauer alljährlicher Sensationsforderungen, mit der die öffentliche Masse die freie und natürliche Entwicklung deutscher Bühnenknnst mehr und mehr zu umklammern droht? Bis zu dem Tage aber, wo es eine solche Bühne geben wird, muß jeder Kundige das Seine tun und das Gute, was ihm begegnet, ans rechte Licht zu ziehen suchen. Das Gute, das ich heute zu bringen habe, ist „Till Eulenspiegel".

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/91
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/91>, abgerufen am 29.12.2024.