Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Till Lulenspiegcl

werden: es gibt eine Art von Vielheit (wer in Berlin lebt, kennt sie wohl recht
gut), die sich mir in der Atmosphäre des sensationellen wohlfühlt; die meine
ich nicht. Sensationen in diesem Sinne gibt es hier nicht.

Aber das Arsenal der äußeren Mittel ist gleichwohl im "Eulenspiegel"
ausgezeichnet versehen: die mittelalterliche deutsche Stadt mit allem, was darin
ist: dem kleinen Hos, dem Universitätskollegium samt Studenten, hohem Rat,
Gerichtshof und Bürgerschaft, der alte Markt mit der rosenüberwucherten Fron,
mit Schenke, Kanzlerhaus, Apotheke und Galgen bieten der Inszenierung reiche
Möglichkeiten zu frisch bewegten, kräftigen Bildern für einen gesunden und
geraden Geschmack. Dies sind die augenfälligen Vorzüge des Stückes, die breite
Grundlage, die grüne kräftige Erde. Aus ihr blüht und rankt und weht nun
eine höhere Art des Humors, ein freier Geist und ein höheres Lachen, das
mit einigen harten Flügelschlägen hinüber zur Tragik streift. Was nur das
Beste und Vornehmste an diesem Stück scheint, das ist das, was man beim
Hören des Titels mit dem ersten Gefühl empfindet: Till Eulenspiegel. Das
heißt, nichts so sehr Festes, Greifbares wie sonst eine bestimmte Person, sondern
etwas Wehendes, Fliegendes, schillerndes, Vorübereilendes, Freies, das nur
im Spiel auf dein Schauplatz vor unseren Augen zu Gaste ist und dann weiter¬
ziehen wird, ein zeitloses, vogelfreies, geistiges Etwas, im Munde der Leute
zufällig Eulenspiegel genannt. Trotzdem zerflattert nichts; keinerlei Unklarheit
herrscht. Dieser geistig leichte, von Bürgerschwere losgelöste Weltwanderer Eulen¬
spiegel ist hier vom Künstler für kurzen Aufenthalt eingefangen in ein fest¬
gesponnenes Netz von greifbaren, klaren, durch das Element starker äußerer
Spannung miteinander verbundenen Vorgängen. Man sieht Eulenspiegel, den
Geist, sein Spiel treiben mit der dumpfen Menschenmaterie; aber plötzlich blitzt
es aus der Masse dieser Menschenmaterie auf von selbständigen, tätigen, ver¬
stehenden Kräften, die sich unversehens mit Eulenspiegel messen, die echten
Kampf erzeugen und das Spiel auf des Messers Schneide hinaustreiben. Und
plötzlich steht man: es steht noch einer hinter Eulenspiegel, der spielt das Ganze,
er spielt auch mit ihm. Dieses Durchscheinen mehrerer Hintergründe durch¬
einander ist für mich das prachtvoll Geistige an dem Stück. Die Art, wie der
Dichter den Stoff behandelt, hat gewissermaßen selbst etwas von Eulenspiegcls
Art, die Dinge anzufassen -- und das erzeugt eine wirkliche Atmosphäre, in
der man für die Dauer des Genusses leben und dennoch frei man selber bleiben
kann. Das Spiel im Spiel ist es, das uns so leicht und frei macht; daraus
entsteht ein Wohlgefühl, wie man es dem Publikum einer Komödie nur irgend
wünschen kann.

Das Landläufige wäre gewesen, den überlegenen Eulenspiegel der geprellten
Masse gegenüberzustellen und möglichst viel witziges und lustiges Kapital daraus
zu schlagen. Das ist hier vermieden; hier sind die Dinge nicht schwarz gegen
weiß gesehen, nicht Karikatur gegen Vorbild gestellt, kein künstliches Bild act Koe
geschaffen, sondern das Auf- und Niederwogen alles Geschehens ist gewahrt,


Till Lulenspiegcl

werden: es gibt eine Art von Vielheit (wer in Berlin lebt, kennt sie wohl recht
gut), die sich mir in der Atmosphäre des sensationellen wohlfühlt; die meine
ich nicht. Sensationen in diesem Sinne gibt es hier nicht.

Aber das Arsenal der äußeren Mittel ist gleichwohl im „Eulenspiegel"
ausgezeichnet versehen: die mittelalterliche deutsche Stadt mit allem, was darin
ist: dem kleinen Hos, dem Universitätskollegium samt Studenten, hohem Rat,
Gerichtshof und Bürgerschaft, der alte Markt mit der rosenüberwucherten Fron,
mit Schenke, Kanzlerhaus, Apotheke und Galgen bieten der Inszenierung reiche
Möglichkeiten zu frisch bewegten, kräftigen Bildern für einen gesunden und
geraden Geschmack. Dies sind die augenfälligen Vorzüge des Stückes, die breite
Grundlage, die grüne kräftige Erde. Aus ihr blüht und rankt und weht nun
eine höhere Art des Humors, ein freier Geist und ein höheres Lachen, das
mit einigen harten Flügelschlägen hinüber zur Tragik streift. Was nur das
Beste und Vornehmste an diesem Stück scheint, das ist das, was man beim
Hören des Titels mit dem ersten Gefühl empfindet: Till Eulenspiegel. Das
heißt, nichts so sehr Festes, Greifbares wie sonst eine bestimmte Person, sondern
etwas Wehendes, Fliegendes, schillerndes, Vorübereilendes, Freies, das nur
im Spiel auf dein Schauplatz vor unseren Augen zu Gaste ist und dann weiter¬
ziehen wird, ein zeitloses, vogelfreies, geistiges Etwas, im Munde der Leute
zufällig Eulenspiegel genannt. Trotzdem zerflattert nichts; keinerlei Unklarheit
herrscht. Dieser geistig leichte, von Bürgerschwere losgelöste Weltwanderer Eulen¬
spiegel ist hier vom Künstler für kurzen Aufenthalt eingefangen in ein fest¬
gesponnenes Netz von greifbaren, klaren, durch das Element starker äußerer
Spannung miteinander verbundenen Vorgängen. Man sieht Eulenspiegel, den
Geist, sein Spiel treiben mit der dumpfen Menschenmaterie; aber plötzlich blitzt
es aus der Masse dieser Menschenmaterie auf von selbständigen, tätigen, ver¬
stehenden Kräften, die sich unversehens mit Eulenspiegel messen, die echten
Kampf erzeugen und das Spiel auf des Messers Schneide hinaustreiben. Und
plötzlich steht man: es steht noch einer hinter Eulenspiegel, der spielt das Ganze,
er spielt auch mit ihm. Dieses Durchscheinen mehrerer Hintergründe durch¬
einander ist für mich das prachtvoll Geistige an dem Stück. Die Art, wie der
Dichter den Stoff behandelt, hat gewissermaßen selbst etwas von Eulenspiegcls
Art, die Dinge anzufassen — und das erzeugt eine wirkliche Atmosphäre, in
der man für die Dauer des Genusses leben und dennoch frei man selber bleiben
kann. Das Spiel im Spiel ist es, das uns so leicht und frei macht; daraus
entsteht ein Wohlgefühl, wie man es dem Publikum einer Komödie nur irgend
wünschen kann.

Das Landläufige wäre gewesen, den überlegenen Eulenspiegel der geprellten
Masse gegenüberzustellen und möglichst viel witziges und lustiges Kapital daraus
zu schlagen. Das ist hier vermieden; hier sind die Dinge nicht schwarz gegen
weiß gesehen, nicht Karikatur gegen Vorbild gestellt, kein künstliches Bild act Koe
geschaffen, sondern das Auf- und Niederwogen alles Geschehens ist gewahrt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319036"/>
          <fw type="header" place="top"> Till Lulenspiegcl</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_877" prev="#ID_876"> werden: es gibt eine Art von Vielheit (wer in Berlin lebt, kennt sie wohl recht<lb/>
gut), die sich mir in der Atmosphäre des sensationellen wohlfühlt; die meine<lb/>
ich nicht.  Sensationen in diesem Sinne gibt es hier nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_878"> Aber das Arsenal der äußeren Mittel ist gleichwohl im &#x201E;Eulenspiegel"<lb/>
ausgezeichnet versehen: die mittelalterliche deutsche Stadt mit allem, was darin<lb/>
ist: dem kleinen Hos, dem Universitätskollegium samt Studenten, hohem Rat,<lb/>
Gerichtshof und Bürgerschaft, der alte Markt mit der rosenüberwucherten Fron,<lb/>
mit Schenke, Kanzlerhaus, Apotheke und Galgen bieten der Inszenierung reiche<lb/>
Möglichkeiten zu frisch bewegten, kräftigen Bildern für einen gesunden und<lb/>
geraden Geschmack. Dies sind die augenfälligen Vorzüge des Stückes, die breite<lb/>
Grundlage, die grüne kräftige Erde. Aus ihr blüht und rankt und weht nun<lb/>
eine höhere Art des Humors, ein freier Geist und ein höheres Lachen, das<lb/>
mit einigen harten Flügelschlägen hinüber zur Tragik streift. Was nur das<lb/>
Beste und Vornehmste an diesem Stück scheint, das ist das, was man beim<lb/>
Hören des Titels mit dem ersten Gefühl empfindet: Till Eulenspiegel. Das<lb/>
heißt, nichts so sehr Festes, Greifbares wie sonst eine bestimmte Person, sondern<lb/>
etwas Wehendes, Fliegendes, schillerndes, Vorübereilendes, Freies, das nur<lb/>
im Spiel auf dein Schauplatz vor unseren Augen zu Gaste ist und dann weiter¬<lb/>
ziehen wird, ein zeitloses, vogelfreies, geistiges Etwas, im Munde der Leute<lb/>
zufällig Eulenspiegel genannt. Trotzdem zerflattert nichts; keinerlei Unklarheit<lb/>
herrscht. Dieser geistig leichte, von Bürgerschwere losgelöste Weltwanderer Eulen¬<lb/>
spiegel ist hier vom Künstler für kurzen Aufenthalt eingefangen in ein fest¬<lb/>
gesponnenes Netz von greifbaren, klaren, durch das Element starker äußerer<lb/>
Spannung miteinander verbundenen Vorgängen. Man sieht Eulenspiegel, den<lb/>
Geist, sein Spiel treiben mit der dumpfen Menschenmaterie; aber plötzlich blitzt<lb/>
es aus der Masse dieser Menschenmaterie auf von selbständigen, tätigen, ver¬<lb/>
stehenden Kräften, die sich unversehens mit Eulenspiegel messen, die echten<lb/>
Kampf erzeugen und das Spiel auf des Messers Schneide hinaustreiben. Und<lb/>
plötzlich steht man: es steht noch einer hinter Eulenspiegel, der spielt das Ganze,<lb/>
er spielt auch mit ihm. Dieses Durchscheinen mehrerer Hintergründe durch¬<lb/>
einander ist für mich das prachtvoll Geistige an dem Stück. Die Art, wie der<lb/>
Dichter den Stoff behandelt, hat gewissermaßen selbst etwas von Eulenspiegcls<lb/>
Art, die Dinge anzufassen &#x2014; und das erzeugt eine wirkliche Atmosphäre, in<lb/>
der man für die Dauer des Genusses leben und dennoch frei man selber bleiben<lb/>
kann. Das Spiel im Spiel ist es, das uns so leicht und frei macht; daraus<lb/>
entsteht ein Wohlgefühl, wie man es dem Publikum einer Komödie nur irgend<lb/>
wünschen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Das Landläufige wäre gewesen, den überlegenen Eulenspiegel der geprellten<lb/>
Masse gegenüberzustellen und möglichst viel witziges und lustiges Kapital daraus<lb/>
zu schlagen. Das ist hier vermieden; hier sind die Dinge nicht schwarz gegen<lb/>
weiß gesehen, nicht Karikatur gegen Vorbild gestellt, kein künstliches Bild act Koe<lb/>
geschaffen, sondern das Auf- und Niederwogen alles Geschehens ist gewahrt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Till Lulenspiegcl werden: es gibt eine Art von Vielheit (wer in Berlin lebt, kennt sie wohl recht gut), die sich mir in der Atmosphäre des sensationellen wohlfühlt; die meine ich nicht. Sensationen in diesem Sinne gibt es hier nicht. Aber das Arsenal der äußeren Mittel ist gleichwohl im „Eulenspiegel" ausgezeichnet versehen: die mittelalterliche deutsche Stadt mit allem, was darin ist: dem kleinen Hos, dem Universitätskollegium samt Studenten, hohem Rat, Gerichtshof und Bürgerschaft, der alte Markt mit der rosenüberwucherten Fron, mit Schenke, Kanzlerhaus, Apotheke und Galgen bieten der Inszenierung reiche Möglichkeiten zu frisch bewegten, kräftigen Bildern für einen gesunden und geraden Geschmack. Dies sind die augenfälligen Vorzüge des Stückes, die breite Grundlage, die grüne kräftige Erde. Aus ihr blüht und rankt und weht nun eine höhere Art des Humors, ein freier Geist und ein höheres Lachen, das mit einigen harten Flügelschlägen hinüber zur Tragik streift. Was nur das Beste und Vornehmste an diesem Stück scheint, das ist das, was man beim Hören des Titels mit dem ersten Gefühl empfindet: Till Eulenspiegel. Das heißt, nichts so sehr Festes, Greifbares wie sonst eine bestimmte Person, sondern etwas Wehendes, Fliegendes, schillerndes, Vorübereilendes, Freies, das nur im Spiel auf dein Schauplatz vor unseren Augen zu Gaste ist und dann weiter¬ ziehen wird, ein zeitloses, vogelfreies, geistiges Etwas, im Munde der Leute zufällig Eulenspiegel genannt. Trotzdem zerflattert nichts; keinerlei Unklarheit herrscht. Dieser geistig leichte, von Bürgerschwere losgelöste Weltwanderer Eulen¬ spiegel ist hier vom Künstler für kurzen Aufenthalt eingefangen in ein fest¬ gesponnenes Netz von greifbaren, klaren, durch das Element starker äußerer Spannung miteinander verbundenen Vorgängen. Man sieht Eulenspiegel, den Geist, sein Spiel treiben mit der dumpfen Menschenmaterie; aber plötzlich blitzt es aus der Masse dieser Menschenmaterie auf von selbständigen, tätigen, ver¬ stehenden Kräften, die sich unversehens mit Eulenspiegel messen, die echten Kampf erzeugen und das Spiel auf des Messers Schneide hinaustreiben. Und plötzlich steht man: es steht noch einer hinter Eulenspiegel, der spielt das Ganze, er spielt auch mit ihm. Dieses Durchscheinen mehrerer Hintergründe durch¬ einander ist für mich das prachtvoll Geistige an dem Stück. Die Art, wie der Dichter den Stoff behandelt, hat gewissermaßen selbst etwas von Eulenspiegcls Art, die Dinge anzufassen — und das erzeugt eine wirkliche Atmosphäre, in der man für die Dauer des Genusses leben und dennoch frei man selber bleiben kann. Das Spiel im Spiel ist es, das uns so leicht und frei macht; daraus entsteht ein Wohlgefühl, wie man es dem Publikum einer Komödie nur irgend wünschen kann. Das Landläufige wäre gewesen, den überlegenen Eulenspiegel der geprellten Masse gegenüberzustellen und möglichst viel witziges und lustiges Kapital daraus zu schlagen. Das ist hier vermieden; hier sind die Dinge nicht schwarz gegen weiß gesehen, nicht Karikatur gegen Vorbild gestellt, kein künstliches Bild act Koe geschaffen, sondern das Auf- und Niederwogen alles Geschehens ist gewahrt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/87>, abgerufen am 01.01.2025.