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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Till Eulenspiegel

würdige Ausspruch eines unserer angesehensten Dramenlektoren einfällt, das;
Bühnenleute von Stücken nichts verstehen, so stärkt das mein Selbstgefühl ganz
besonders.

Als ich dann das "Hohe Land" las, kam zu dem Respekt vor der Tat¬
sache einer Leistung, den ich den? "Trust" gegenüber mehr sachlich als am Thema
beteiligt empfunden hatte, in mir eine entschiedene Liebe zu dem dichterischen
Menschen, der dahinter stand, ein freudiges Jasagen zu dem menschlichen Was
und dem dichterischen Wie dieses zarten, stillen, in sich gekehrten und mit liebens¬
werter dichterischer Unklugheit recht spröde gewählten Themas. '

Hier liegt nun das dritte Stück vor, der "Eulenspiegel". Ein anderes
Zeitalter, eine andere Stilart, eure andere Form! Und wieder ist nicht nur
im wesentlichen gekonnt, was gewollt ist, nicht nur wieder der Beweis für schon
bewiesene dramatische Fähigkeiten auf neuen: Gebiete erbracht, sondern es ist
hier ein rundes rollendes Ganzes, ein in sich geschlossener künstlerischer Welt¬
körper, rollend auf sicherer Bahn, und diese Bahn führt, nach meinen Begriffen
von dramatischer Wirkung, mitten ins Ziel.

Ein Vorteil ist von vornherein: das Stück ist heiter. Heitere Stücke von
künstlerischer Art sind selten in unseren Tagen. Wir sollten sie alle aufsuchen,
wo sie zu finden find, und uns freuen, wenn eines kommt.

Ich glaube hier an eine ganz starke Erfolgsmöglichkeit im breitesten Sinne,
und ich stehe mit meinem Urteil nicht allein da; ich werde unten die vorhandenen
Urteile sachkundiger anführen. "Till Eulenspiegel" ist zunächst vom Stand¬
punkte des schlichten breiteren Geschmacks aus gesehen ein durch und durch
heiteres Stück; und das ist sehr wichtig. Heitere Stücke, die nur für einen
beschränkten Kreis heiter wirken, sind schlechte Komödien im Sinne des Theaters.
Der "Eulenspiegel" ist voll der Wurzel aus mit Humor durchtränkt, und dieser
Saft durchdringt jede Szene. Leider finde ich, daß die Begriffe über Humor
zurzeit sehr verschieden sind, so daß wohl eigentlich eine Abhandlung über
das Wesen des Humors hierher gehörte; aber ich glaube, die Uneinigkeit über
ein so wurzelhaftes, erdensaftiges Ding wie Humor besteht im Grunde nur auf
dem Papier, in Essays und Studienheften. Im lebendigen Sein draußen, sei
es Kunst oder Natur, sind sich alle über den Humor einig, ohne Worte. Wer
überhaupt einen Funken davon in sich hat, der lacht oder lächelt dem brüder¬
lichen Element zu, wo es ihn: begegnet. Von diesem Element spreche ich. von
der Heiterkeit und Freudigkeit zeugenden Kraft, die alle geradegewachseneii und
unverbogenen Naturen kennen und lieben, die weder mit Wissensgrad noch mit
Bildung oder Weltklugheit etwas zu tun hat, sondern nur mit dem Kern des
Menschen, mit der Bildung des Herzens: diese Art von Humor meine ich. und
die ist hier zunächst vorhanden. Deshalb glaube ich, daß dieses Stück eine
Atmosphäre erzeugen kann, in der sich viele Menschen auf einmal sehr wohl¬
fühlen können, und das ist, denke ich, für den Dramatiker so ziemlich das
Wichtigste. Wiederum möchte ich um Gottes willen auch hier nicht mißverstanden


Till Eulenspiegel

würdige Ausspruch eines unserer angesehensten Dramenlektoren einfällt, das;
Bühnenleute von Stücken nichts verstehen, so stärkt das mein Selbstgefühl ganz
besonders.

Als ich dann das „Hohe Land" las, kam zu dem Respekt vor der Tat¬
sache einer Leistung, den ich den? „Trust" gegenüber mehr sachlich als am Thema
beteiligt empfunden hatte, in mir eine entschiedene Liebe zu dem dichterischen
Menschen, der dahinter stand, ein freudiges Jasagen zu dem menschlichen Was
und dem dichterischen Wie dieses zarten, stillen, in sich gekehrten und mit liebens¬
werter dichterischer Unklugheit recht spröde gewählten Themas. '

Hier liegt nun das dritte Stück vor, der „Eulenspiegel". Ein anderes
Zeitalter, eine andere Stilart, eure andere Form! Und wieder ist nicht nur
im wesentlichen gekonnt, was gewollt ist, nicht nur wieder der Beweis für schon
bewiesene dramatische Fähigkeiten auf neuen: Gebiete erbracht, sondern es ist
hier ein rundes rollendes Ganzes, ein in sich geschlossener künstlerischer Welt¬
körper, rollend auf sicherer Bahn, und diese Bahn führt, nach meinen Begriffen
von dramatischer Wirkung, mitten ins Ziel.

Ein Vorteil ist von vornherein: das Stück ist heiter. Heitere Stücke von
künstlerischer Art sind selten in unseren Tagen. Wir sollten sie alle aufsuchen,
wo sie zu finden find, und uns freuen, wenn eines kommt.

Ich glaube hier an eine ganz starke Erfolgsmöglichkeit im breitesten Sinne,
und ich stehe mit meinem Urteil nicht allein da; ich werde unten die vorhandenen
Urteile sachkundiger anführen. „Till Eulenspiegel" ist zunächst vom Stand¬
punkte des schlichten breiteren Geschmacks aus gesehen ein durch und durch
heiteres Stück; und das ist sehr wichtig. Heitere Stücke, die nur für einen
beschränkten Kreis heiter wirken, sind schlechte Komödien im Sinne des Theaters.
Der „Eulenspiegel" ist voll der Wurzel aus mit Humor durchtränkt, und dieser
Saft durchdringt jede Szene. Leider finde ich, daß die Begriffe über Humor
zurzeit sehr verschieden sind, so daß wohl eigentlich eine Abhandlung über
das Wesen des Humors hierher gehörte; aber ich glaube, die Uneinigkeit über
ein so wurzelhaftes, erdensaftiges Ding wie Humor besteht im Grunde nur auf
dem Papier, in Essays und Studienheften. Im lebendigen Sein draußen, sei
es Kunst oder Natur, sind sich alle über den Humor einig, ohne Worte. Wer
überhaupt einen Funken davon in sich hat, der lacht oder lächelt dem brüder¬
lichen Element zu, wo es ihn: begegnet. Von diesem Element spreche ich. von
der Heiterkeit und Freudigkeit zeugenden Kraft, die alle geradegewachseneii und
unverbogenen Naturen kennen und lieben, die weder mit Wissensgrad noch mit
Bildung oder Weltklugheit etwas zu tun hat, sondern nur mit dem Kern des
Menschen, mit der Bildung des Herzens: diese Art von Humor meine ich. und
die ist hier zunächst vorhanden. Deshalb glaube ich, daß dieses Stück eine
Atmosphäre erzeugen kann, in der sich viele Menschen auf einmal sehr wohl¬
fühlen können, und das ist, denke ich, für den Dramatiker so ziemlich das
Wichtigste. Wiederum möchte ich um Gottes willen auch hier nicht mißverstanden


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[0086] Till Eulenspiegel würdige Ausspruch eines unserer angesehensten Dramenlektoren einfällt, das; Bühnenleute von Stücken nichts verstehen, so stärkt das mein Selbstgefühl ganz besonders. Als ich dann das „Hohe Land" las, kam zu dem Respekt vor der Tat¬ sache einer Leistung, den ich den? „Trust" gegenüber mehr sachlich als am Thema beteiligt empfunden hatte, in mir eine entschiedene Liebe zu dem dichterischen Menschen, der dahinter stand, ein freudiges Jasagen zu dem menschlichen Was und dem dichterischen Wie dieses zarten, stillen, in sich gekehrten und mit liebens¬ werter dichterischer Unklugheit recht spröde gewählten Themas. ' Hier liegt nun das dritte Stück vor, der „Eulenspiegel". Ein anderes Zeitalter, eine andere Stilart, eure andere Form! Und wieder ist nicht nur im wesentlichen gekonnt, was gewollt ist, nicht nur wieder der Beweis für schon bewiesene dramatische Fähigkeiten auf neuen: Gebiete erbracht, sondern es ist hier ein rundes rollendes Ganzes, ein in sich geschlossener künstlerischer Welt¬ körper, rollend auf sicherer Bahn, und diese Bahn führt, nach meinen Begriffen von dramatischer Wirkung, mitten ins Ziel. Ein Vorteil ist von vornherein: das Stück ist heiter. Heitere Stücke von künstlerischer Art sind selten in unseren Tagen. Wir sollten sie alle aufsuchen, wo sie zu finden find, und uns freuen, wenn eines kommt. Ich glaube hier an eine ganz starke Erfolgsmöglichkeit im breitesten Sinne, und ich stehe mit meinem Urteil nicht allein da; ich werde unten die vorhandenen Urteile sachkundiger anführen. „Till Eulenspiegel" ist zunächst vom Stand¬ punkte des schlichten breiteren Geschmacks aus gesehen ein durch und durch heiteres Stück; und das ist sehr wichtig. Heitere Stücke, die nur für einen beschränkten Kreis heiter wirken, sind schlechte Komödien im Sinne des Theaters. Der „Eulenspiegel" ist voll der Wurzel aus mit Humor durchtränkt, und dieser Saft durchdringt jede Szene. Leider finde ich, daß die Begriffe über Humor zurzeit sehr verschieden sind, so daß wohl eigentlich eine Abhandlung über das Wesen des Humors hierher gehörte; aber ich glaube, die Uneinigkeit über ein so wurzelhaftes, erdensaftiges Ding wie Humor besteht im Grunde nur auf dem Papier, in Essays und Studienheften. Im lebendigen Sein draußen, sei es Kunst oder Natur, sind sich alle über den Humor einig, ohne Worte. Wer überhaupt einen Funken davon in sich hat, der lacht oder lächelt dem brüder¬ lichen Element zu, wo es ihn: begegnet. Von diesem Element spreche ich. von der Heiterkeit und Freudigkeit zeugenden Kraft, die alle geradegewachseneii und unverbogenen Naturen kennen und lieben, die weder mit Wissensgrad noch mit Bildung oder Weltklugheit etwas zu tun hat, sondern nur mit dem Kern des Menschen, mit der Bildung des Herzens: diese Art von Humor meine ich. und die ist hier zunächst vorhanden. Deshalb glaube ich, daß dieses Stück eine Atmosphäre erzeugen kann, in der sich viele Menschen auf einmal sehr wohl¬ fühlen können, und das ist, denke ich, für den Dramatiker so ziemlich das Wichtigste. Wiederum möchte ich um Gottes willen auch hier nicht mißverstanden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/86>, abgerufen am 29.12.2024.