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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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staatlicher Imperialismus und Individualismus

gebens hat man ihr das Wort Bismarcks entgegengehalten, Deutschland könne
und werde die Niederlande nicht einverleiben, selbst wenn die Holländer auf
Knien darum bäten; vergebens wird auch an das gesunde Denken der Eng¬
länder appelliert, das ihnen sagen müßte, daß ein neutrales, freilich wirklich
neutrales und zur Wahrung seiner Neutralität befähigtes Holland im Kriegs¬
falle für Deutschland von ungleich höherem Werte ist, als es etwa ein ein¬
verleibtes Holland sein könnte. Ein einverleibtes Holland würde die gefährdeten
Seegrenzen (übrigens auch die gefährdete Landgrenze) Deutschlands beträchtlich
verlängern; ein neutrales Holland dagegen hält von einem Teile der deutschen
Landgrenze die Kriegsgefahr ab und verschafft Deutschland den ganz gewaltigen
Vorteil, dasz eine Blockierung seiner eigenen Häfen ihn: doch die Ein- und
Ausfuhr zur See nicht abzuschneiden vermöchte.

Gerade dieser bedeutende Vorteil, den das Vorhandensein der neutralen
Niederlande Deutschland im Falle des Seekrieges gewähren würde, veranlaßt
jene Kreise, die nach dem bekannten Rezept: "Haltet den Dieb!" immer über
die Bedrohung der Niederlande durch Deutschland sprechen, zu der Erwägung,
daß England seinerseits im Kriege gegen Deutschland die Neutralität der Nieder¬
lande nicht achten dürfe, sondern auch ihre Häfen blockieren müsse. Wenn also
den Niederlanden im Falle der Verwicklung Deutschlands in einen Seekrieg
Gefahr droht, so ist es doch wohl klar, wer das positive Interesse an der
Erhaltung der Neutralität Hollands hat und wessen Interesse auf die Nicht¬
achtung dieser Neutralität gerichtet ist!

Überdies ist der Fall eines europäischen Seekrieges durchaus nicht der einzige,
der die Niederlande in große politische Verlegenheit bringen kann. Der andere
Fall freilich wird von der englischen Presse aus sehr erklärlichen Gründen nicht
besprochen: nämlich aus Rücksicht auf den Verbündeten im fernen Osten. Dieser
Verbündete Englands im fernen Osten hat als sein politisches Endziel oft genug
das Streben nach der Vorherrschaft im Stillen Ozean zu erkennen gegeben --
man nehme nur den neuesten Jahrgang des ähnlich unserem "Nautilus" vom
englischen Flottenverein herausgegebenen Jahrbuches vor, in dem ein Japaner von
hohem Ruf in nicht mißzuverstehender Weise sich über diese japanischen Ansprüche
geäußert hat, die restlos nicht erfüllt werden können ohne den Besitz der das
Südchinesische Meer einrahmenden Inseln, zu denen eben auch ein wesentlicher
Teil des holländischen Kolonialbesitzes gehört. Von Formosa führt der Expan¬
sionsdrang der unternehmungslustigen Japaner über die Philippinen nach
niederländisch-Indien.

Sehr unverblümt hat sich ein Japaner hierüber auch vor kurzem in einem
führenden russischen Organ ausgesprochen. Nach dem Hinweis darauf, daß die
japanischen Handelsumsätze mit niederländisch-Indien von 125000 Fr. im
Jahre 1899 auf über 5 Millionen im Jahre 1908 in der Ausfuhr und von
4 Millionen gar auf 60 Millionen in der Einfuhr gestiegen sind, läßt sich die
in der Nowoje Wreinja wiedergegebene japanische Stimme also vernehmen:


staatlicher Imperialismus und Individualismus

gebens hat man ihr das Wort Bismarcks entgegengehalten, Deutschland könne
und werde die Niederlande nicht einverleiben, selbst wenn die Holländer auf
Knien darum bäten; vergebens wird auch an das gesunde Denken der Eng¬
länder appelliert, das ihnen sagen müßte, daß ein neutrales, freilich wirklich
neutrales und zur Wahrung seiner Neutralität befähigtes Holland im Kriegs¬
falle für Deutschland von ungleich höherem Werte ist, als es etwa ein ein¬
verleibtes Holland sein könnte. Ein einverleibtes Holland würde die gefährdeten
Seegrenzen (übrigens auch die gefährdete Landgrenze) Deutschlands beträchtlich
verlängern; ein neutrales Holland dagegen hält von einem Teile der deutschen
Landgrenze die Kriegsgefahr ab und verschafft Deutschland den ganz gewaltigen
Vorteil, dasz eine Blockierung seiner eigenen Häfen ihn: doch die Ein- und
Ausfuhr zur See nicht abzuschneiden vermöchte.

Gerade dieser bedeutende Vorteil, den das Vorhandensein der neutralen
Niederlande Deutschland im Falle des Seekrieges gewähren würde, veranlaßt
jene Kreise, die nach dem bekannten Rezept: „Haltet den Dieb!" immer über
die Bedrohung der Niederlande durch Deutschland sprechen, zu der Erwägung,
daß England seinerseits im Kriege gegen Deutschland die Neutralität der Nieder¬
lande nicht achten dürfe, sondern auch ihre Häfen blockieren müsse. Wenn also
den Niederlanden im Falle der Verwicklung Deutschlands in einen Seekrieg
Gefahr droht, so ist es doch wohl klar, wer das positive Interesse an der
Erhaltung der Neutralität Hollands hat und wessen Interesse auf die Nicht¬
achtung dieser Neutralität gerichtet ist!

Überdies ist der Fall eines europäischen Seekrieges durchaus nicht der einzige,
der die Niederlande in große politische Verlegenheit bringen kann. Der andere
Fall freilich wird von der englischen Presse aus sehr erklärlichen Gründen nicht
besprochen: nämlich aus Rücksicht auf den Verbündeten im fernen Osten. Dieser
Verbündete Englands im fernen Osten hat als sein politisches Endziel oft genug
das Streben nach der Vorherrschaft im Stillen Ozean zu erkennen gegeben —
man nehme nur den neuesten Jahrgang des ähnlich unserem „Nautilus" vom
englischen Flottenverein herausgegebenen Jahrbuches vor, in dem ein Japaner von
hohem Ruf in nicht mißzuverstehender Weise sich über diese japanischen Ansprüche
geäußert hat, die restlos nicht erfüllt werden können ohne den Besitz der das
Südchinesische Meer einrahmenden Inseln, zu denen eben auch ein wesentlicher
Teil des holländischen Kolonialbesitzes gehört. Von Formosa führt der Expan¬
sionsdrang der unternehmungslustigen Japaner über die Philippinen nach
niederländisch-Indien.

Sehr unverblümt hat sich ein Japaner hierüber auch vor kurzem in einem
führenden russischen Organ ausgesprochen. Nach dem Hinweis darauf, daß die
japanischen Handelsumsätze mit niederländisch-Indien von 125000 Fr. im
Jahre 1899 auf über 5 Millionen im Jahre 1908 in der Ausfuhr und von
4 Millionen gar auf 60 Millionen in der Einfuhr gestiegen sind, läßt sich die
in der Nowoje Wreinja wiedergegebene japanische Stimme also vernehmen:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/79>, abgerufen am 01.01.2025.