Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Reichsspiegel gestalten wird, je besser das von ihm geförderte Werk sich unter seinem Nachfolger Auswärtige Angelegenheiten Der Marokko-Handel -- Der Fall Cartwright -- Italien und Tripolis -- Aufregung in Konstantinopel -- Stolypins Nachfolger Die auswärtige Politik steht noch immer unter dem Druck der Marokko¬ Reichsspiegel gestalten wird, je besser das von ihm geförderte Werk sich unter seinem Nachfolger Auswärtige Angelegenheiten Der Marokko-Handel — Der Fall Cartwright — Italien und Tripolis — Aufregung in Konstantinopel — Stolypins Nachfolger Die auswärtige Politik steht noch immer unter dem Druck der Marokko¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0643" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319590"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_3029" prev="#ID_3028"> gestalten wird, je besser das von ihm geförderte Werk sich unter seinem Nachfolger<lb/> entwickelt. Ob solches mit einigem Anspruch auf Wahrscheinlichkeit erwartet werden<lb/> darf, läßt sich jedoch noch nicht ohne weiteres annehmen. Einstweilen muß es<lb/> als ein schweres Wagnis empfunden werden, daß ein Mann, der sich in so hohem<lb/> Maße das Vertrauen des Deutschtums zu erwerben verstand, durch einen den<lb/> Deutschen in der Ostmark Unbekannten ersetzt wird, gerade in einem Augenblick,<lb/> in dem alle Anzeichen auf eine Abkehr von den bisher in der Ostmarkenfrage<lb/> befolgten Prinzipien hindeuten. Der bisherige Unterstaatssekretär im Kultus¬<lb/> ministerium, Exzellenz v. Schwartzkopff, wird unter solchen Umständen mit viel¬<lb/> fachem Mißtrauen empfangen werden, und die Posener Deutschen werden es ihm<lb/> so lange entgegenbringen, bis er zeigt, ob er auf dem Boden des bisherigen<lb/> Kurses steht. — Immerhin wird man wohl gerade in diesem Falle gut tun, das<lb/> offene Mißtrauen noch zurückzuhalten. Die Ernennung Schwartzkopffs scheint nach<lb/> verschiedenen Anzeichen doch nicht ohne weiteres als Abkehr vom bisherigen Kurs<lb/> aufgefaßt werden zu dürfen. Schon die Bemerkung der Kreuzzeitung (Ur. 442),<lb/> daß diese Ernennung keinerlei politische Bedeutung habe, will es uns scheinen<lb/> lassen, als sei das Gegenteil der Fall und als käme der neue Oberpräsident mit<lb/> solchen Instruktionen nach Posen, die den Gegnern der Enteignung z. B. nicht<lb/> ganz willkommen sind. Warten wir darum ab. In einigen Tagen wird eine<lb/> eingehende Besprechung der beteiligten preußischen Ressorts über die Polenfrage<lb/> stattfinden, und im Anschluß daran werden wohl amtliche Veröffentlichungen erfolgen,<lb/> die uns den weiteren Weg der Ostmarkenpolitik deutlich aufzeichnen werden. Bei<lb/> dem Einfluß, den die Delbrückschen Auffassungen von einer Polenpolitik in den<lb/> maßgebenden Kreisen Berlins erhalten haben, wird wahrscheinlich nicht alles gut<lb/> geheißen werden, was der Bülowsche Kurs mit sich gebracht hat. Aber es scheint<lb/> doch verfrüht, schon heute von einem Bruch mit den bewährten Mitteln sprechen<lb/> zu wollen. Herr Gramsch ist Präsident der Ansiedlungskommission geblieben, und<lb/> Exzellenz Schwartzkopff gilt als ein genauer Kenner der kulturellen Seite der<lb/><note type="byline"> G. Li.</note> Ostmarkenfrage. </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Auswärtige Angelegenheiten</head><lb/> <note type="argument"> Der Marokko-Handel — Der Fall Cartwright — Italien und Tripolis — Aufregung<lb/> in Konstantinopel — Stolypins Nachfolger</note><lb/> <p xml:id="ID_3030" next="#ID_3031"> Die auswärtige Politik steht noch immer unter dem Druck der Marokko¬<lb/> frage, wenn auch in dieser Beziehung eine allgemeine Beruhigung einzutreten<lb/> beginnt. Selbst in alldeutschen Kreisen gewinnt die Auffassung an Boden, daß es<lb/> sich in Marokko nicht um eine nationale Ehrenfrage, sondern um ein reines<lb/> Handelsgeschäft handle. — Auch der Fall Cartwright hat inzwischen seine<lb/> Erledigung gefunden und zwar für die deutsche Diplomatie nicht ohne einen<lb/> humoristischen Beigeschmack. Wie erinnerlich, verzögerte sich die Antwort auf die<lb/> deutsche Anfrage in London einige Tage, weil die leitenden englischen Persönlichkeiten<lb/> sich auf ihre Landsitze zurückgezogen hatten. Herrn Cartwrights böses Gewissen sah<lb/> darin ein schlechtes Symptom für seine Sache und schwächte durch seinen Privat¬<lb/> sekretär, der im Nebenamt auch britischer Konsul in München ist, die Angaben der<lb/> Neuen Freien Presse ab, mit anderen Worten: er gab die Tatsache der Unterredung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0643]
Reichsspiegel
gestalten wird, je besser das von ihm geförderte Werk sich unter seinem Nachfolger
entwickelt. Ob solches mit einigem Anspruch auf Wahrscheinlichkeit erwartet werden
darf, läßt sich jedoch noch nicht ohne weiteres annehmen. Einstweilen muß es
als ein schweres Wagnis empfunden werden, daß ein Mann, der sich in so hohem
Maße das Vertrauen des Deutschtums zu erwerben verstand, durch einen den
Deutschen in der Ostmark Unbekannten ersetzt wird, gerade in einem Augenblick,
in dem alle Anzeichen auf eine Abkehr von den bisher in der Ostmarkenfrage
befolgten Prinzipien hindeuten. Der bisherige Unterstaatssekretär im Kultus¬
ministerium, Exzellenz v. Schwartzkopff, wird unter solchen Umständen mit viel¬
fachem Mißtrauen empfangen werden, und die Posener Deutschen werden es ihm
so lange entgegenbringen, bis er zeigt, ob er auf dem Boden des bisherigen
Kurses steht. — Immerhin wird man wohl gerade in diesem Falle gut tun, das
offene Mißtrauen noch zurückzuhalten. Die Ernennung Schwartzkopffs scheint nach
verschiedenen Anzeichen doch nicht ohne weiteres als Abkehr vom bisherigen Kurs
aufgefaßt werden zu dürfen. Schon die Bemerkung der Kreuzzeitung (Ur. 442),
daß diese Ernennung keinerlei politische Bedeutung habe, will es uns scheinen
lassen, als sei das Gegenteil der Fall und als käme der neue Oberpräsident mit
solchen Instruktionen nach Posen, die den Gegnern der Enteignung z. B. nicht
ganz willkommen sind. Warten wir darum ab. In einigen Tagen wird eine
eingehende Besprechung der beteiligten preußischen Ressorts über die Polenfrage
stattfinden, und im Anschluß daran werden wohl amtliche Veröffentlichungen erfolgen,
die uns den weiteren Weg der Ostmarkenpolitik deutlich aufzeichnen werden. Bei
dem Einfluß, den die Delbrückschen Auffassungen von einer Polenpolitik in den
maßgebenden Kreisen Berlins erhalten haben, wird wahrscheinlich nicht alles gut
geheißen werden, was der Bülowsche Kurs mit sich gebracht hat. Aber es scheint
doch verfrüht, schon heute von einem Bruch mit den bewährten Mitteln sprechen
zu wollen. Herr Gramsch ist Präsident der Ansiedlungskommission geblieben, und
Exzellenz Schwartzkopff gilt als ein genauer Kenner der kulturellen Seite der
G. Li. Ostmarkenfrage.
Auswärtige Angelegenheiten
Der Marokko-Handel — Der Fall Cartwright — Italien und Tripolis — Aufregung
in Konstantinopel — Stolypins Nachfolger
Die auswärtige Politik steht noch immer unter dem Druck der Marokko¬
frage, wenn auch in dieser Beziehung eine allgemeine Beruhigung einzutreten
beginnt. Selbst in alldeutschen Kreisen gewinnt die Auffassung an Boden, daß es
sich in Marokko nicht um eine nationale Ehrenfrage, sondern um ein reines
Handelsgeschäft handle. — Auch der Fall Cartwright hat inzwischen seine
Erledigung gefunden und zwar für die deutsche Diplomatie nicht ohne einen
humoristischen Beigeschmack. Wie erinnerlich, verzögerte sich die Antwort auf die
deutsche Anfrage in London einige Tage, weil die leitenden englischen Persönlichkeiten
sich auf ihre Landsitze zurückgezogen hatten. Herrn Cartwrights böses Gewissen sah
darin ein schlechtes Symptom für seine Sache und schwächte durch seinen Privat¬
sekretär, der im Nebenamt auch britischer Konsul in München ist, die Angaben der
Neuen Freien Presse ab, mit anderen Worten: er gab die Tatsache der Unterredung
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