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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen

Während dieser "Sanierung" versuchte die Zentraldarlehnskasse eine Interessen¬
gemeinschaft mit der Reichsgenossenschaftsbank in Darmstadt anzuknüpfen, die
bestimmt war, in eine Fusion überzugehen. Dieser Versuch wirkte, wie in dem
Aufsatz "Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen und die Preußenkasse"
(Heft 30 der Grenzboten) bereits sehr richtig bemerkt wurde, wie eine Kriegs¬
erklärung gegen die Preußenkasse und rief den Kampf hervor, der seitdem auch
die Öffentlichkeit lebhaft beschäftigt hat.

Die Neichsgenossenschaftsbank war 1902 von den Provinz- und Landes¬
banken der Offenbacher Richtung gegründet, die an Stelle der Preußenkasse eine
von ihnen selbst abhängige eigene Zentralbank zu schaffen wünschten. Aber die
Mittel dieser Provinzialbanken reichten nicht aus, um eine Zentralbank von
genügender Stärke zu errichten, zumal sie sich fürchteten, mit dieser Beteiligung
zu große Risiken einzugehen. So blieb die Reichsgenossenschaftsbank ein Torso,
ihr Kapital, das schließlich auf V Millionen Mark gebracht wurde, blieb weit
kleiner, als das Garantiekapital der einzelnen bei ihr beteiligten Provinzbanken.
Die letzteren entschlossen sich also fast alle, an der Preußenkasse festzuhalten,
die ihnen die Wahl ließ, den Bankverkehr nur mit ihr oder nur mit
der Reichsgenossenschaftsbank durchzuführen, da die Übersicht des Geschäfts¬
verkehrs und damit die Sicherheit der gewährten Kredite nur auf diese Weise
gewährleistet waren. Der Reichsgenossenschaftsbank verblieb hauptsächlich der
Geschäftsverkehr mit süddeutschen Landesbanken. Die Pläne des Neuwieder
Generaldirektors nahmen nun jenen Plan einer genossenschaftlichen Zentralbank
für ganz Deutschland wieder auf.

Ein solcher Plan erweckt zunächst Sympathien, wenn man einem gemein¬
nützigen Privatunternehmen grundsätzlich den Vorzug vor einer Staatsanstalt
geben will. Aber die Voraussetzung muß sein, daß das Privatunternehmen
stark genug ist, die Aufgabe der bisherigen Staatsbank zu übernehmen. Es ist
gewiß richtig, daß die einzelnen Genossenschaften an Zahl und Größe seit jener
Zeit sehr gewachsen sind. Aber für den Plan einer Zentralbank bedeutet das
nur, daß diese ebenfalls über sehr große eigene Mittel verfügen muß, um das
Genossenschaftswesen liquide zu erhalten. Hundert Millionen Mark eigenes Kapital
dürften heute kaum für eine solche Zentralbank ausreichen. Man kann die Frage,
ob eine so große Bank von den Genossenschaften geschaffen werden könnte, offen
lassen. Die Fusion der Zentraldarlehnskasse mit der Reichsgenossenschaftsbank
konnte unmöglich der Weg dazu sein. Die Zentraldarlehnskasse, die als stärkerer
Teil den Kern abgeben mußte, war schon für den Geschäftsverkehr ihrer eigenen
Genossenschaften viel zu schwach, die nur den vierten Teil aller in Betracht
kommenden bilden. Bei den Schwierigkeiten, die einer Kapitalerhöhung der Zentral¬
darlehnskasse entgegenstehen, lag eine schwere Gefahr in der Übernahme noch
weitergehender Aufgaben. Damit war die Stellungnahme der Preußenkasse
gegeben, die zugleich die Stellung des Preußischen Finanzministeriums ist, wie
auf der Tagung in Hannover hervortrat.


Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen

Während dieser „Sanierung" versuchte die Zentraldarlehnskasse eine Interessen¬
gemeinschaft mit der Reichsgenossenschaftsbank in Darmstadt anzuknüpfen, die
bestimmt war, in eine Fusion überzugehen. Dieser Versuch wirkte, wie in dem
Aufsatz „Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen und die Preußenkasse"
(Heft 30 der Grenzboten) bereits sehr richtig bemerkt wurde, wie eine Kriegs¬
erklärung gegen die Preußenkasse und rief den Kampf hervor, der seitdem auch
die Öffentlichkeit lebhaft beschäftigt hat.

Die Neichsgenossenschaftsbank war 1902 von den Provinz- und Landes¬
banken der Offenbacher Richtung gegründet, die an Stelle der Preußenkasse eine
von ihnen selbst abhängige eigene Zentralbank zu schaffen wünschten. Aber die
Mittel dieser Provinzialbanken reichten nicht aus, um eine Zentralbank von
genügender Stärke zu errichten, zumal sie sich fürchteten, mit dieser Beteiligung
zu große Risiken einzugehen. So blieb die Reichsgenossenschaftsbank ein Torso,
ihr Kapital, das schließlich auf V Millionen Mark gebracht wurde, blieb weit
kleiner, als das Garantiekapital der einzelnen bei ihr beteiligten Provinzbanken.
Die letzteren entschlossen sich also fast alle, an der Preußenkasse festzuhalten,
die ihnen die Wahl ließ, den Bankverkehr nur mit ihr oder nur mit
der Reichsgenossenschaftsbank durchzuführen, da die Übersicht des Geschäfts¬
verkehrs und damit die Sicherheit der gewährten Kredite nur auf diese Weise
gewährleistet waren. Der Reichsgenossenschaftsbank verblieb hauptsächlich der
Geschäftsverkehr mit süddeutschen Landesbanken. Die Pläne des Neuwieder
Generaldirektors nahmen nun jenen Plan einer genossenschaftlichen Zentralbank
für ganz Deutschland wieder auf.

Ein solcher Plan erweckt zunächst Sympathien, wenn man einem gemein¬
nützigen Privatunternehmen grundsätzlich den Vorzug vor einer Staatsanstalt
geben will. Aber die Voraussetzung muß sein, daß das Privatunternehmen
stark genug ist, die Aufgabe der bisherigen Staatsbank zu übernehmen. Es ist
gewiß richtig, daß die einzelnen Genossenschaften an Zahl und Größe seit jener
Zeit sehr gewachsen sind. Aber für den Plan einer Zentralbank bedeutet das
nur, daß diese ebenfalls über sehr große eigene Mittel verfügen muß, um das
Genossenschaftswesen liquide zu erhalten. Hundert Millionen Mark eigenes Kapital
dürften heute kaum für eine solche Zentralbank ausreichen. Man kann die Frage,
ob eine so große Bank von den Genossenschaften geschaffen werden könnte, offen
lassen. Die Fusion der Zentraldarlehnskasse mit der Reichsgenossenschaftsbank
konnte unmöglich der Weg dazu sein. Die Zentraldarlehnskasse, die als stärkerer
Teil den Kern abgeben mußte, war schon für den Geschäftsverkehr ihrer eigenen
Genossenschaften viel zu schwach, die nur den vierten Teil aller in Betracht
kommenden bilden. Bei den Schwierigkeiten, die einer Kapitalerhöhung der Zentral¬
darlehnskasse entgegenstehen, lag eine schwere Gefahr in der Übernahme noch
weitergehender Aufgaben. Damit war die Stellungnahme der Preußenkasse
gegeben, die zugleich die Stellung des Preußischen Finanzministeriums ist, wie
auf der Tagung in Hannover hervortrat.


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[0622] Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen Während dieser „Sanierung" versuchte die Zentraldarlehnskasse eine Interessen¬ gemeinschaft mit der Reichsgenossenschaftsbank in Darmstadt anzuknüpfen, die bestimmt war, in eine Fusion überzugehen. Dieser Versuch wirkte, wie in dem Aufsatz „Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen und die Preußenkasse" (Heft 30 der Grenzboten) bereits sehr richtig bemerkt wurde, wie eine Kriegs¬ erklärung gegen die Preußenkasse und rief den Kampf hervor, der seitdem auch die Öffentlichkeit lebhaft beschäftigt hat. Die Neichsgenossenschaftsbank war 1902 von den Provinz- und Landes¬ banken der Offenbacher Richtung gegründet, die an Stelle der Preußenkasse eine von ihnen selbst abhängige eigene Zentralbank zu schaffen wünschten. Aber die Mittel dieser Provinzialbanken reichten nicht aus, um eine Zentralbank von genügender Stärke zu errichten, zumal sie sich fürchteten, mit dieser Beteiligung zu große Risiken einzugehen. So blieb die Reichsgenossenschaftsbank ein Torso, ihr Kapital, das schließlich auf V Millionen Mark gebracht wurde, blieb weit kleiner, als das Garantiekapital der einzelnen bei ihr beteiligten Provinzbanken. Die letzteren entschlossen sich also fast alle, an der Preußenkasse festzuhalten, die ihnen die Wahl ließ, den Bankverkehr nur mit ihr oder nur mit der Reichsgenossenschaftsbank durchzuführen, da die Übersicht des Geschäfts¬ verkehrs und damit die Sicherheit der gewährten Kredite nur auf diese Weise gewährleistet waren. Der Reichsgenossenschaftsbank verblieb hauptsächlich der Geschäftsverkehr mit süddeutschen Landesbanken. Die Pläne des Neuwieder Generaldirektors nahmen nun jenen Plan einer genossenschaftlichen Zentralbank für ganz Deutschland wieder auf. Ein solcher Plan erweckt zunächst Sympathien, wenn man einem gemein¬ nützigen Privatunternehmen grundsätzlich den Vorzug vor einer Staatsanstalt geben will. Aber die Voraussetzung muß sein, daß das Privatunternehmen stark genug ist, die Aufgabe der bisherigen Staatsbank zu übernehmen. Es ist gewiß richtig, daß die einzelnen Genossenschaften an Zahl und Größe seit jener Zeit sehr gewachsen sind. Aber für den Plan einer Zentralbank bedeutet das nur, daß diese ebenfalls über sehr große eigene Mittel verfügen muß, um das Genossenschaftswesen liquide zu erhalten. Hundert Millionen Mark eigenes Kapital dürften heute kaum für eine solche Zentralbank ausreichen. Man kann die Frage, ob eine so große Bank von den Genossenschaften geschaffen werden könnte, offen lassen. Die Fusion der Zentraldarlehnskasse mit der Reichsgenossenschaftsbank konnte unmöglich der Weg dazu sein. Die Zentraldarlehnskasse, die als stärkerer Teil den Kern abgeben mußte, war schon für den Geschäftsverkehr ihrer eigenen Genossenschaften viel zu schwach, die nur den vierten Teil aller in Betracht kommenden bilden. Bei den Schwierigkeiten, die einer Kapitalerhöhung der Zentral¬ darlehnskasse entgegenstehen, lag eine schwere Gefahr in der Übernahme noch weitergehender Aufgaben. Damit war die Stellungnahme der Preußenkasse gegeben, die zugleich die Stellung des Preußischen Finanzministeriums ist, wie auf der Tagung in Hannover hervortrat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/622>, abgerufen am 04.01.2025.