Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen genügende Sicherheit für die Depositen bieten würde; sind doch die entsprechenden Die Neigung mancher der namentlich in den Körperschaften überwiegenden Der neue Generaldirektor stellte das Prinzip auf, daß die Zentraldarlehns- Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen genügende Sicherheit für die Depositen bieten würde; sind doch die entsprechenden Die Neigung mancher der namentlich in den Körperschaften überwiegenden Der neue Generaldirektor stellte das Prinzip auf, daß die Zentraldarlehns- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0621" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319568"/> <fw type="header" place="top"> Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2896" prev="#ID_2895"> genügende Sicherheit für die Depositen bieten würde; sind doch die entsprechenden<lb/> Provinzbanken der Offenbacher Richtung einzeln an Garantiekapital größer<lb/> geworden, als die Zentraldarlehnskasse, obwohl deren Depositen fünf- bis zehnmal<lb/> so groß sind. Diese naturgemäße Entwicklung ist nun dadurch unterbunden<lb/> worden, daß innerhalb der Neuwieder Organisation die zentralistische Strömung<lb/> auf der Generalversammlung im Jahre 1910 die Oberhand bekam und in dem<lb/> damals gewählten neuen Generaldirektor einen energischen Vorkämpfer gewann.</p><lb/> <p xml:id="ID_2897"> Die Neigung mancher der namentlich in den Körperschaften überwiegenden<lb/> Geistlichen, geschäftliche Fragen des Genossenschaftswesens dogmatisch nach den<lb/> wirklichen oder angeblichen Grundsätzen des 1888 verstorbenen Naiffeisen zu<lb/> beurteilen, spielte hierbei verhängnisvoll mit. So wurde auch die Frage der<lb/> Organisation, ob der Bankverkehr der Darlehnskassen in einer Zentralstelle<lb/> fortzuführen oder an selbständige provinzielle Genossenschaftsbanken abzugeben<lb/> sei, zu einer Prinzipienfrage gestempelt. Zu diesen Widerständen gesellte sich<lb/> die Schwerkraft der bestehenden Organisationen mit ihren Beamten und lang¬<lb/> gewohnten Einrichtungen, die jeder durchgreifenden Neuerung entgegenwirkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2898"> Der neue Generaldirektor stellte das Prinzip auf, daß die Zentraldarlehns-<lb/> kasse das Hauptstück des Raiffeisenschen Systems und deshalb unantastbar sei.<lb/> Er war bestrebt, die Dezentralisation auf die Provinzen nicht fortzuführen,<lb/> sondern die Zentmldarlehnskasse zur Zentralbank für das gesamte deutsche<lb/> ländliche Genossenschaftswesen zu erheben. Die Durchführung dieses Planes<lb/> begann er mit der sogenannten Sanierungsaktion. Jede einzelne Darlehnskasse<lb/> sollte der Zentraldarlehnskasse 750 Mark zur Verfügung stellen, um außerordent¬<lb/> liche Abschreibungen und Beihülfen an Genossenschaften, die durch die Zentrali-<lb/> sation des Handels mit Tabak, Hopfen und Wein geschädigt waren, daraus zu<lb/> bestreiten. Es gelang, der Zentraldarlehnskasse auf diesem Wege etwa 2^ Millionen<lb/> Mark zuzuführen und dabei die Genossenschaften an der Erhaltung der Zentrali-<lb/> sation wirksam zu interessieren, denn es wurde ihnen die Rückerstattung jenes<lb/> Betrages in Aussicht gestellt, wenn sie im Geschäftsverkehr mit der Zentrale<lb/> verblieben. Die provinzielle Organisation des Geldverkehrs ist damit von der<lb/> Zustimmung der Zentrale selbst abhängig gemacht. Freilich brachte diese Form<lb/> der Sanierung eine solche Unklarheit der beiderseitigen Verpflichtung mit sich,<lb/> daß ihr finanzieller Wert zweifelhaft und die Bilanz deswegen angefochten ist.<lb/> Die Zentraldarlehnskasse glaubt die Rückforderung der Genossenschaften gegen<lb/> sie nicht als Schuld bilanzieren zu müssen, während ihre Aktionärgenossenschaften<lb/> sie als Aktivum bilanzieren. Das Gericht wird nun entscheiden, ob die Zentml¬<lb/> darlehnskasse ihre Bilanz ändern muß — womit die Sanierung fehlgeschlagen<lb/> wäre — oder die viertausend Aktionär-Darlehnskassen. Auf alle Fälle hat die<lb/> Sanierung den Nachteil, der Zentraldarlehnskasse nur vorübergehend stärkere<lb/> eigene Mittel zuzuführen, deren sie so nötig bedarf. Die Schwierigkeit, das<lb/> Aktienkapital zu erhöhen, ist verstärkt, da man die Genossenschaften nicht noch¬<lb/> mals in kurzer Zeit in Anspruch nehmen kann, ohne ihr Mißtrauen hervorzurufen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0621]
Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen
genügende Sicherheit für die Depositen bieten würde; sind doch die entsprechenden
Provinzbanken der Offenbacher Richtung einzeln an Garantiekapital größer
geworden, als die Zentraldarlehnskasse, obwohl deren Depositen fünf- bis zehnmal
so groß sind. Diese naturgemäße Entwicklung ist nun dadurch unterbunden
worden, daß innerhalb der Neuwieder Organisation die zentralistische Strömung
auf der Generalversammlung im Jahre 1910 die Oberhand bekam und in dem
damals gewählten neuen Generaldirektor einen energischen Vorkämpfer gewann.
Die Neigung mancher der namentlich in den Körperschaften überwiegenden
Geistlichen, geschäftliche Fragen des Genossenschaftswesens dogmatisch nach den
wirklichen oder angeblichen Grundsätzen des 1888 verstorbenen Naiffeisen zu
beurteilen, spielte hierbei verhängnisvoll mit. So wurde auch die Frage der
Organisation, ob der Bankverkehr der Darlehnskassen in einer Zentralstelle
fortzuführen oder an selbständige provinzielle Genossenschaftsbanken abzugeben
sei, zu einer Prinzipienfrage gestempelt. Zu diesen Widerständen gesellte sich
die Schwerkraft der bestehenden Organisationen mit ihren Beamten und lang¬
gewohnten Einrichtungen, die jeder durchgreifenden Neuerung entgegenwirkt.
Der neue Generaldirektor stellte das Prinzip auf, daß die Zentraldarlehns-
kasse das Hauptstück des Raiffeisenschen Systems und deshalb unantastbar sei.
Er war bestrebt, die Dezentralisation auf die Provinzen nicht fortzuführen,
sondern die Zentmldarlehnskasse zur Zentralbank für das gesamte deutsche
ländliche Genossenschaftswesen zu erheben. Die Durchführung dieses Planes
begann er mit der sogenannten Sanierungsaktion. Jede einzelne Darlehnskasse
sollte der Zentraldarlehnskasse 750 Mark zur Verfügung stellen, um außerordent¬
liche Abschreibungen und Beihülfen an Genossenschaften, die durch die Zentrali-
sation des Handels mit Tabak, Hopfen und Wein geschädigt waren, daraus zu
bestreiten. Es gelang, der Zentraldarlehnskasse auf diesem Wege etwa 2^ Millionen
Mark zuzuführen und dabei die Genossenschaften an der Erhaltung der Zentrali-
sation wirksam zu interessieren, denn es wurde ihnen die Rückerstattung jenes
Betrages in Aussicht gestellt, wenn sie im Geschäftsverkehr mit der Zentrale
verblieben. Die provinzielle Organisation des Geldverkehrs ist damit von der
Zustimmung der Zentrale selbst abhängig gemacht. Freilich brachte diese Form
der Sanierung eine solche Unklarheit der beiderseitigen Verpflichtung mit sich,
daß ihr finanzieller Wert zweifelhaft und die Bilanz deswegen angefochten ist.
Die Zentraldarlehnskasse glaubt die Rückforderung der Genossenschaften gegen
sie nicht als Schuld bilanzieren zu müssen, während ihre Aktionärgenossenschaften
sie als Aktivum bilanzieren. Das Gericht wird nun entscheiden, ob die Zentml¬
darlehnskasse ihre Bilanz ändern muß — womit die Sanierung fehlgeschlagen
wäre — oder die viertausend Aktionär-Darlehnskassen. Auf alle Fälle hat die
Sanierung den Nachteil, der Zentraldarlehnskasse nur vorübergehend stärkere
eigene Mittel zuzuführen, deren sie so nötig bedarf. Die Schwierigkeit, das
Aktienkapital zu erhöhen, ist verstärkt, da man die Genossenschaften nicht noch¬
mals in kurzer Zeit in Anspruch nehmen kann, ohne ihr Mißtrauen hervorzurufen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |