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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen

Die Preußenkasse ist eine Staatsanstalt und sie teilt daher die Ab¬
neigung, die weite Kreise jeder kaufmännischen Unternehmung des Staates
entgegenbringen, hat doch auch die Reichsbank sich ihre heutige An¬
erkennung mühsam gegen jene Abneigung erringen müssen. So war es leicht,
in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als ob in diesem Streit auf der
einen Seite die "Verstaatlichung" und Bureaukratisierung des Genossenschafts¬
wesens angestrebt würde, wogegen sich das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit
und der wirtschaftlichen Freiheit auflehne. Indessen, so einfach liegen die Dinge
nicht. Bureaukratismus ist sehr wohl auch in einer "freien" Anstalt möglich,
und der Bureaukratismus schematischer Zentralisation hat niemals üppigere
Blüten getrieben, als in der Zentraldarlehnskasse, während die Preußenkasse
das Wachsen selbständiger und von ihr unabhängiger Provinzbanken förderte.
Die Preußenkasse drängte sogar dort, wo das eigene Kapital nicht zureichte, zu
einer Verstärkung. Hätte sie die Absicht gehabt, die Genossenschaftsbanken in
Abhängigkeit zu bringen und zu erhalten, so hätten sie sorgen müssen, daß diese
fortgesetzt möglichst viel Kredit bei ihr in Anspruch nahmen. Statt dessen gab
sie durch ihre Kreditbedingungen und die Ausschließlichkeitserklärung den Genossen¬
schaften Anreiz, als Betriebskapital lieber eigenes Kapital und Spareinlagen
heranzuziehen. Der Bankkredit der Preußenkasse soll ausdrücklich nur als Er¬
gänzung benutzt werden. Den Zinsfuß für Einlagen hielt sie zwar über den
Satz des offenen Geldmarkts, aber doch so, daß die Genossenschaften Interesse
daran hatten, ihre Betriebsmittel in erster Linie im eigenen Bezirk anzulegen.
So begünstigte sie eine Geldpolitik, welche die Provinzbanken auch von der
Preußenkasse unabhängig machte. Es ist charakteristisch, daß die mit der Preußen¬
kasse arbeitenden Provinzialbanken über ein eigenes Vermögen von mehr als
20 Millionen Mark verfügen, dreimal mehr als die Zentraldarlehnskafse zur
Deckung für den entsprechenden Geschäftsverkehr hat. Dazu aber kommt bei
jenen Provinzialkassen das Garantiekapital der Hastsummen, die gewöhnlich das
Zehnfache des Anteilkapitals betragen. Es ist also nur ein äußerer Schein, als
ob sich die provinzielle Dezentralisation das Genossenschaftswesen an die staatliche
Preußenkasse binden müßte. Im Gegenteil, diese Organisation hat so leistungs¬
fähige Institute hervorgebracht, daß sie jedem Gläubiger gegenüber, auch dem
Staate, ihre Unabhängigkeit bewahren. Die Preußenkasse würde es nicht hindern
können, wenn diese selbständigen Institute ihren Bankoerkehr statt bei der Preußen¬
kasse, bei irgendeiner anderen Großbank wählen, und der bescheidenere Kredit¬
bedarf einer Provinzialgenossenschaftsbank würde dies noch erleichtern. Aber
die Neigung dazu ist äußerst gering, weil die Preußenkasse mit ihrem Geschäfts¬
verkehr in besonderem Maße auf die Bedürfnisse der Genossenschaften zugeschnitten
ist und darauf Rücksicht nimmt.

Man darf auch nicht außer acht lassen, daß die Staatsbank hierbei eine
weitergehende Verantwortung trägt. Sie muß nicht nur wie jede Bank das
eigene geschäftliche Interesse kaufmännischer Vorsicht walten lassen, sondern sie


Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen

Die Preußenkasse ist eine Staatsanstalt und sie teilt daher die Ab¬
neigung, die weite Kreise jeder kaufmännischen Unternehmung des Staates
entgegenbringen, hat doch auch die Reichsbank sich ihre heutige An¬
erkennung mühsam gegen jene Abneigung erringen müssen. So war es leicht,
in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als ob in diesem Streit auf der
einen Seite die „Verstaatlichung" und Bureaukratisierung des Genossenschafts¬
wesens angestrebt würde, wogegen sich das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit
und der wirtschaftlichen Freiheit auflehne. Indessen, so einfach liegen die Dinge
nicht. Bureaukratismus ist sehr wohl auch in einer „freien" Anstalt möglich,
und der Bureaukratismus schematischer Zentralisation hat niemals üppigere
Blüten getrieben, als in der Zentraldarlehnskasse, während die Preußenkasse
das Wachsen selbständiger und von ihr unabhängiger Provinzbanken förderte.
Die Preußenkasse drängte sogar dort, wo das eigene Kapital nicht zureichte, zu
einer Verstärkung. Hätte sie die Absicht gehabt, die Genossenschaftsbanken in
Abhängigkeit zu bringen und zu erhalten, so hätten sie sorgen müssen, daß diese
fortgesetzt möglichst viel Kredit bei ihr in Anspruch nahmen. Statt dessen gab
sie durch ihre Kreditbedingungen und die Ausschließlichkeitserklärung den Genossen¬
schaften Anreiz, als Betriebskapital lieber eigenes Kapital und Spareinlagen
heranzuziehen. Der Bankkredit der Preußenkasse soll ausdrücklich nur als Er¬
gänzung benutzt werden. Den Zinsfuß für Einlagen hielt sie zwar über den
Satz des offenen Geldmarkts, aber doch so, daß die Genossenschaften Interesse
daran hatten, ihre Betriebsmittel in erster Linie im eigenen Bezirk anzulegen.
So begünstigte sie eine Geldpolitik, welche die Provinzbanken auch von der
Preußenkasse unabhängig machte. Es ist charakteristisch, daß die mit der Preußen¬
kasse arbeitenden Provinzialbanken über ein eigenes Vermögen von mehr als
20 Millionen Mark verfügen, dreimal mehr als die Zentraldarlehnskafse zur
Deckung für den entsprechenden Geschäftsverkehr hat. Dazu aber kommt bei
jenen Provinzialkassen das Garantiekapital der Hastsummen, die gewöhnlich das
Zehnfache des Anteilkapitals betragen. Es ist also nur ein äußerer Schein, als
ob sich die provinzielle Dezentralisation das Genossenschaftswesen an die staatliche
Preußenkasse binden müßte. Im Gegenteil, diese Organisation hat so leistungs¬
fähige Institute hervorgebracht, daß sie jedem Gläubiger gegenüber, auch dem
Staate, ihre Unabhängigkeit bewahren. Die Preußenkasse würde es nicht hindern
können, wenn diese selbständigen Institute ihren Bankoerkehr statt bei der Preußen¬
kasse, bei irgendeiner anderen Großbank wählen, und der bescheidenere Kredit¬
bedarf einer Provinzialgenossenschaftsbank würde dies noch erleichtern. Aber
die Neigung dazu ist äußerst gering, weil die Preußenkasse mit ihrem Geschäfts¬
verkehr in besonderem Maße auf die Bedürfnisse der Genossenschaften zugeschnitten
ist und darauf Rücksicht nimmt.

Man darf auch nicht außer acht lassen, daß die Staatsbank hierbei eine
weitergehende Verantwortung trägt. Sie muß nicht nur wie jede Bank das
eigene geschäftliche Interesse kaufmännischer Vorsicht walten lassen, sondern sie


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[0623] Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen Die Preußenkasse ist eine Staatsanstalt und sie teilt daher die Ab¬ neigung, die weite Kreise jeder kaufmännischen Unternehmung des Staates entgegenbringen, hat doch auch die Reichsbank sich ihre heutige An¬ erkennung mühsam gegen jene Abneigung erringen müssen. So war es leicht, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als ob in diesem Streit auf der einen Seite die „Verstaatlichung" und Bureaukratisierung des Genossenschafts¬ wesens angestrebt würde, wogegen sich das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit und der wirtschaftlichen Freiheit auflehne. Indessen, so einfach liegen die Dinge nicht. Bureaukratismus ist sehr wohl auch in einer „freien" Anstalt möglich, und der Bureaukratismus schematischer Zentralisation hat niemals üppigere Blüten getrieben, als in der Zentraldarlehnskasse, während die Preußenkasse das Wachsen selbständiger und von ihr unabhängiger Provinzbanken förderte. Die Preußenkasse drängte sogar dort, wo das eigene Kapital nicht zureichte, zu einer Verstärkung. Hätte sie die Absicht gehabt, die Genossenschaftsbanken in Abhängigkeit zu bringen und zu erhalten, so hätten sie sorgen müssen, daß diese fortgesetzt möglichst viel Kredit bei ihr in Anspruch nahmen. Statt dessen gab sie durch ihre Kreditbedingungen und die Ausschließlichkeitserklärung den Genossen¬ schaften Anreiz, als Betriebskapital lieber eigenes Kapital und Spareinlagen heranzuziehen. Der Bankkredit der Preußenkasse soll ausdrücklich nur als Er¬ gänzung benutzt werden. Den Zinsfuß für Einlagen hielt sie zwar über den Satz des offenen Geldmarkts, aber doch so, daß die Genossenschaften Interesse daran hatten, ihre Betriebsmittel in erster Linie im eigenen Bezirk anzulegen. So begünstigte sie eine Geldpolitik, welche die Provinzbanken auch von der Preußenkasse unabhängig machte. Es ist charakteristisch, daß die mit der Preußen¬ kasse arbeitenden Provinzialbanken über ein eigenes Vermögen von mehr als 20 Millionen Mark verfügen, dreimal mehr als die Zentraldarlehnskafse zur Deckung für den entsprechenden Geschäftsverkehr hat. Dazu aber kommt bei jenen Provinzialkassen das Garantiekapital der Hastsummen, die gewöhnlich das Zehnfache des Anteilkapitals betragen. Es ist also nur ein äußerer Schein, als ob sich die provinzielle Dezentralisation das Genossenschaftswesen an die staatliche Preußenkasse binden müßte. Im Gegenteil, diese Organisation hat so leistungs¬ fähige Institute hervorgebracht, daß sie jedem Gläubiger gegenüber, auch dem Staate, ihre Unabhängigkeit bewahren. Die Preußenkasse würde es nicht hindern können, wenn diese selbständigen Institute ihren Bankoerkehr statt bei der Preußen¬ kasse, bei irgendeiner anderen Großbank wählen, und der bescheidenere Kredit¬ bedarf einer Provinzialgenossenschaftsbank würde dies noch erleichtern. Aber die Neigung dazu ist äußerst gering, weil die Preußenkasse mit ihrem Geschäfts¬ verkehr in besonderem Maße auf die Bedürfnisse der Genossenschaften zugeschnitten ist und darauf Rücksicht nimmt. Man darf auch nicht außer acht lassen, daß die Staatsbank hierbei eine weitergehende Verantwortung trägt. Sie muß nicht nur wie jede Bank das eigene geschäftliche Interesse kaufmännischer Vorsicht walten lassen, sondern sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/623>, abgerufen am 04.01.2025.