Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Strömungen im ländlichen Genossonschaftsivesen ausgeübte Revisionsrecht. Der Generalverband wurde damit zu einer mehr Es ist natürlich, daß in dieser Zeit des Ausbaues der provinziellen Organi¬ Die Gefahren dieser Entwicklung würden beseitigt sein, wenn die Neuwieder Strömungen im ländlichen Genossonschaftsivesen ausgeübte Revisionsrecht. Der Generalverband wurde damit zu einer mehr Es ist natürlich, daß in dieser Zeit des Ausbaues der provinziellen Organi¬ Die Gefahren dieser Entwicklung würden beseitigt sein, wenn die Neuwieder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0620" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319567"/> <fw type="header" place="top"> Strömungen im ländlichen Genossonschaftsivesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2893" prev="#ID_2892"> ausgeübte Revisionsrecht. Der Generalverband wurde damit zu einer mehr<lb/> repräsentativen Vereinigung. Die Provinzen hatten fortan die selbständige und<lb/> verantwortliche Beratung der Genossenschaften in allen geschäftlichen Dingen.<lb/> Seit 1909 wurden auch die Warenabteilungen der Zentraldarlehnskasse auf¬<lb/> gelöst, und das Warengeschäft ward trotz des heftigen Widerspruchs der zentra-<lb/> listischen Stimmführer an selbständige provinzielle Institute übertragen. ,</p><lb/> <p xml:id="ID_2894"> Es ist natürlich, daß in dieser Zeit des Ausbaues der provinziellen Organi¬<lb/> sation die Neuwieder Zentraldarlehnskasse nicht gestärkt wurde. Bei der geringen<lb/> Dividende und den fortgesetzten Verlusten sträubten sich die Genossenschaften<lb/> gegen die Zeichnung weiterer Aktien; die 1900 beschlossene Kapitalerhöhung von<lb/> 5 auf 10 Millionen Mark konnte bis heute nicht durchgeführt werden und ist<lb/> etwa auf dem Stande stehen geblieben, der 1904 erreicht war. Hieraus<lb/> folgte der Mißstand, daß das kleine Kapital von 5 Millionen Mark als<lb/> Sicherheit für einen immer größeren Geschäftsumfang und immer größere<lb/> Einlagen gelten mußte. Heikle liegeu die Dinge so, daß den 5 Millionen<lb/> Mark eigenem Kapital etwa 90 bis 100 Millionen Mark Depositen gegenüber¬<lb/> stehen. Wenn nun auch der genossenschaftliche Geldverkehr von Haus aus<lb/> kaum so viele riskante Geldanleihen mit sich bringt, wie der Geschäftskreis<lb/> von Großbanken, so sehlt es doch auch in der Zentraldarlehnskasse nicht an<lb/> solchen Geschäften — es sei nur an die Superphosphatfabrik „Annas" erinnert.<lb/> Ein großer Teil der Ausleihungen ist serner zwar rechtlich, aber nicht tatsächlich<lb/> in kurzer Frist einziehbar. Die Zentraldarlehnskasse kann infolgedessen mit<lb/> Rücksicht auf ihre Liquidität die Anlehnung an den umfangreichen Kredit einer<lb/> Großbank für Notfalle nicht entbehren. Sie kann sich diesen Kredit erleichtern,<lb/> indem sie sich von den Genossenschaften für ihre Forderung Wechsel ausstellen<lb/> läßt und diese Finanzwechsel diskontiert. Aber auch diese Finanzwechsel sind<lb/> nur soweit marktfähig, als das Giro der Zentraldarlehnskasse für sicher angesehen<lb/> wird, und diese Grenze ist wieder durch das geringe eigene Kapital der Zentral¬<lb/> darlehnskasse eng gezogen. Durch den Geldüberfluß, in dem sie sich seit längerer<lb/> Zeit befindet, ist sie weiter in die Notwendigkeit versetzt, Gelder außerhalb des<lb/> gewohnten und sicheren Verkehrs mit den Genossenschaften anzulegen. Garantien<lb/> für die sichere und liquide Verwaltung dieser Gelder bietet die Generaldirektion<lb/> der Zentraldarlehnskasse nicht mehr und nicht weniger als die Direktion jeder<lb/> anderen Bank, bei der der Volkswirt deswegen ein entsprechendes eigenes<lb/> Kapital als Sicherheit verlangt. Daß bei der Zentraldarlehnskasse ein Teil der<lb/> Kunden zugleich Aktionäre sind, hat auf die Sicherheit der Geldanlage leider<lb/> keinen Einfluß.</p><lb/> <p xml:id="ID_2895" next="#ID_2896"> Die Gefahren dieser Entwicklung würden beseitigt sein, wenn die Neuwieder<lb/> Organisation ihre Dezentralisation bis zu Ende durchführen würde, d. h. den<lb/> allein noch zentralen Geldverkehr der Darlehnskassen auf die provinziellen und<lb/> Landesgenossenschaftsbanken übertragen würde. Ohne Zweifel würden die<lb/> Darlehnskassen sich bei diesen Banken so stark beteiligen, daß deren Kapital</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0620]
Strömungen im ländlichen Genossonschaftsivesen
ausgeübte Revisionsrecht. Der Generalverband wurde damit zu einer mehr
repräsentativen Vereinigung. Die Provinzen hatten fortan die selbständige und
verantwortliche Beratung der Genossenschaften in allen geschäftlichen Dingen.
Seit 1909 wurden auch die Warenabteilungen der Zentraldarlehnskasse auf¬
gelöst, und das Warengeschäft ward trotz des heftigen Widerspruchs der zentra-
listischen Stimmführer an selbständige provinzielle Institute übertragen. ,
Es ist natürlich, daß in dieser Zeit des Ausbaues der provinziellen Organi¬
sation die Neuwieder Zentraldarlehnskasse nicht gestärkt wurde. Bei der geringen
Dividende und den fortgesetzten Verlusten sträubten sich die Genossenschaften
gegen die Zeichnung weiterer Aktien; die 1900 beschlossene Kapitalerhöhung von
5 auf 10 Millionen Mark konnte bis heute nicht durchgeführt werden und ist
etwa auf dem Stande stehen geblieben, der 1904 erreicht war. Hieraus
folgte der Mißstand, daß das kleine Kapital von 5 Millionen Mark als
Sicherheit für einen immer größeren Geschäftsumfang und immer größere
Einlagen gelten mußte. Heikle liegeu die Dinge so, daß den 5 Millionen
Mark eigenem Kapital etwa 90 bis 100 Millionen Mark Depositen gegenüber¬
stehen. Wenn nun auch der genossenschaftliche Geldverkehr von Haus aus
kaum so viele riskante Geldanleihen mit sich bringt, wie der Geschäftskreis
von Großbanken, so sehlt es doch auch in der Zentraldarlehnskasse nicht an
solchen Geschäften — es sei nur an die Superphosphatfabrik „Annas" erinnert.
Ein großer Teil der Ausleihungen ist serner zwar rechtlich, aber nicht tatsächlich
in kurzer Frist einziehbar. Die Zentraldarlehnskasse kann infolgedessen mit
Rücksicht auf ihre Liquidität die Anlehnung an den umfangreichen Kredit einer
Großbank für Notfalle nicht entbehren. Sie kann sich diesen Kredit erleichtern,
indem sie sich von den Genossenschaften für ihre Forderung Wechsel ausstellen
läßt und diese Finanzwechsel diskontiert. Aber auch diese Finanzwechsel sind
nur soweit marktfähig, als das Giro der Zentraldarlehnskasse für sicher angesehen
wird, und diese Grenze ist wieder durch das geringe eigene Kapital der Zentral¬
darlehnskasse eng gezogen. Durch den Geldüberfluß, in dem sie sich seit längerer
Zeit befindet, ist sie weiter in die Notwendigkeit versetzt, Gelder außerhalb des
gewohnten und sicheren Verkehrs mit den Genossenschaften anzulegen. Garantien
für die sichere und liquide Verwaltung dieser Gelder bietet die Generaldirektion
der Zentraldarlehnskasse nicht mehr und nicht weniger als die Direktion jeder
anderen Bank, bei der der Volkswirt deswegen ein entsprechendes eigenes
Kapital als Sicherheit verlangt. Daß bei der Zentraldarlehnskasse ein Teil der
Kunden zugleich Aktionäre sind, hat auf die Sicherheit der Geldanlage leider
keinen Einfluß.
Die Gefahren dieser Entwicklung würden beseitigt sein, wenn die Neuwieder
Organisation ihre Dezentralisation bis zu Ende durchführen würde, d. h. den
allein noch zentralen Geldverkehr der Darlehnskassen auf die provinziellen und
Landesgenossenschaftsbanken übertragen würde. Ohne Zweifel würden die
Darlehnskassen sich bei diesen Banken so stark beteiligen, daß deren Kapital
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