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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen

Ende ist nicht zum wenigsten gerade diesem Umstände zuzuschreiben. Denn viele
Genossenschaften wußten sie in kritischen Zeiten wohl zu finden, ließen sie aber
in normalen Zeiten liegen, so daß sie sich nicht auf das regelmäßige große
Kontokorrentgeschäft mit den Genossenschaften genügend stützen konnte.

Es kommt gewiß vor, daß eine Genossenschaftsbank an den jeweiligen
Bedingungen der Preußenkasse etwas auszusetzen hat; das wird im geschäft¬
lichen Leben niemals anders sein. So darf man auch die Klagen der Zentral-
darlehnskasse über die mangelhafte Verwertung chrer Geldbestände bei der
Preußenkasse nicht tragisch nehmen und darin etwa den Grund ihres Kampfes
gegen diese suchen wollen. Der eigentliche Grund liegt vielmehr in einer gewissen
Rivalität: die seit 1910 geschaffene Generaldirektion der Zentraldarlehnskasse
glaubte sich berufen, eine Zentralbank für das ganze deutsche Genossenschafts¬
wesen zu werden. Dies Streben mußte zu einem Zusammenstoß mit der Preußen¬
kasse führen.

Seit dein Beginn des ländlichen Genossenschaftswesens ist der Streit um
die zweckmäßige Gestaltung des allgemein als notwendig erkannten Oberbaus
nicht zur Ruhe gekommen. Raiffeisen konnte nur einen Teil der Genossen¬
schaften in seiner starren Zentralorganisation vereinigen und dauernd zusammen¬
halten. Daneben kamen selbständige Genossenschaftsorganisationen in den ein¬
zelnen Provinzen und Landesteilen empor, deren Zentralen 1883 zu dem
sogenannten "Reichsverband" zusammentraten, der in Offenbach seinen Sitz nahm
und diesem Zweige der Genossenschaftsbewegung den Namen der Offenbacher
Richtung gab. Den zahlreichen Provinz- und Landeszentralbanken dieser Richtung
fehlte es besonders an einer starken Bank, die ihnen die zu den fortgesetzten
Gründungen nötigen Kredite gewährt hätte; so errichtete der Staat die Preußeu-
kasse (1895). Die Zentraldarlehnskasse, die sich im ersten Augenblick abwartend
verhielt, säumte nicht, sich diesen Kredit ebenfalls zunutze zu machen, um mit
der Offenbacher Richtung Schritt zu halten; sie verdankt diesem Kredit ihre
Erhaltung in den Krisen der Raiffeisenorganisation von 1904 und 1907.

Seit dem Tode Raiffeisens nämlich ist seine Neuwieder Zentralorganisation
nicht zur Ruhe gekommen. In den Jahren 1895, 1899, 1904/05, 1909 und
1910, also nicht weniger als fünfmal, wurde an ihr gründlich herumkuriert,
von den beträchtlichen Amputationen, Neben- und Nachkuren der Zwischenzeit
abgesehen. Woran lag das? Nach dem Tode Raiffeisens zeigte es sich bald,
daß die rasch wachsende Zahl von Genossenschaften nicht mehr von einem Punkte
geleitet werden konnte. So schuf man 1895 in den einzelnen Provinzen und
Landesteilen Filialen der Zentraldarlehnskasse und der zentralen Handels¬
gesellschaft Raiffeisen u. Kons., die den gemeinsamen Einkauf von Futter- und
Düngemitteln usw. für die Genossenschaften betrieb.

Das Raiffeisen-System bot also jetzt das Bild eines Baues mit drei Stock¬
werken: lokale Genossenschaft, Filiale und Zentrale. Das System hatte sich der
Offenbacher Richtung etwas genähert, freilich mit dem Unterschied, daß im


Strömungen im ländlichen Genossenschaftswesen

Ende ist nicht zum wenigsten gerade diesem Umstände zuzuschreiben. Denn viele
Genossenschaften wußten sie in kritischen Zeiten wohl zu finden, ließen sie aber
in normalen Zeiten liegen, so daß sie sich nicht auf das regelmäßige große
Kontokorrentgeschäft mit den Genossenschaften genügend stützen konnte.

Es kommt gewiß vor, daß eine Genossenschaftsbank an den jeweiligen
Bedingungen der Preußenkasse etwas auszusetzen hat; das wird im geschäft¬
lichen Leben niemals anders sein. So darf man auch die Klagen der Zentral-
darlehnskasse über die mangelhafte Verwertung chrer Geldbestände bei der
Preußenkasse nicht tragisch nehmen und darin etwa den Grund ihres Kampfes
gegen diese suchen wollen. Der eigentliche Grund liegt vielmehr in einer gewissen
Rivalität: die seit 1910 geschaffene Generaldirektion der Zentraldarlehnskasse
glaubte sich berufen, eine Zentralbank für das ganze deutsche Genossenschafts¬
wesen zu werden. Dies Streben mußte zu einem Zusammenstoß mit der Preußen¬
kasse führen.

Seit dein Beginn des ländlichen Genossenschaftswesens ist der Streit um
die zweckmäßige Gestaltung des allgemein als notwendig erkannten Oberbaus
nicht zur Ruhe gekommen. Raiffeisen konnte nur einen Teil der Genossen¬
schaften in seiner starren Zentralorganisation vereinigen und dauernd zusammen¬
halten. Daneben kamen selbständige Genossenschaftsorganisationen in den ein¬
zelnen Provinzen und Landesteilen empor, deren Zentralen 1883 zu dem
sogenannten „Reichsverband" zusammentraten, der in Offenbach seinen Sitz nahm
und diesem Zweige der Genossenschaftsbewegung den Namen der Offenbacher
Richtung gab. Den zahlreichen Provinz- und Landeszentralbanken dieser Richtung
fehlte es besonders an einer starken Bank, die ihnen die zu den fortgesetzten
Gründungen nötigen Kredite gewährt hätte; so errichtete der Staat die Preußeu-
kasse (1895). Die Zentraldarlehnskasse, die sich im ersten Augenblick abwartend
verhielt, säumte nicht, sich diesen Kredit ebenfalls zunutze zu machen, um mit
der Offenbacher Richtung Schritt zu halten; sie verdankt diesem Kredit ihre
Erhaltung in den Krisen der Raiffeisenorganisation von 1904 und 1907.

Seit dem Tode Raiffeisens nämlich ist seine Neuwieder Zentralorganisation
nicht zur Ruhe gekommen. In den Jahren 1895, 1899, 1904/05, 1909 und
1910, also nicht weniger als fünfmal, wurde an ihr gründlich herumkuriert,
von den beträchtlichen Amputationen, Neben- und Nachkuren der Zwischenzeit
abgesehen. Woran lag das? Nach dem Tode Raiffeisens zeigte es sich bald,
daß die rasch wachsende Zahl von Genossenschaften nicht mehr von einem Punkte
geleitet werden konnte. So schuf man 1895 in den einzelnen Provinzen und
Landesteilen Filialen der Zentraldarlehnskasse und der zentralen Handels¬
gesellschaft Raiffeisen u. Kons., die den gemeinsamen Einkauf von Futter- und
Düngemitteln usw. für die Genossenschaften betrieb.

Das Raiffeisen-System bot also jetzt das Bild eines Baues mit drei Stock¬
werken: lokale Genossenschaft, Filiale und Zentrale. Das System hatte sich der
Offenbacher Richtung etwas genähert, freilich mit dem Unterschied, daß im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/618>, abgerufen am 04.01.2025.