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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Arndt als Agitator und Gffiziosus

Überschauen wir, was Arndt 1809 mit rücksichtslosem Bekennermut verkündet
und gefordert, 1813 unter dem Zwang der Verhältnisse gemildert hat, so mag
es uns scheinen, als habe er es zuweilen, was man ihm so oft vorgeworfen
hat, an der rechten Mäßigung und Sachlichkeit fehlen lassen. Aber gerade die
Ausgabe von 1809 enthält einige Stellen, die bezeugen, daß auch Arndt aus jenem
heroischen, selbstbewußten Verantwortlichkeitsgefühl heraus redete, das den Helden
jener einzigen Epoche in so wundervoll erhebender Weise eignet: "Wir anderen,
die der süße götterverwandte Reiz nach oben zieht -- wie viele durchwachte
Nächte, wie viele heiße Tage, wie schwere und lange Arbeiten und Mühen,
daß unser Name nur von einigen des Volkes mit Ehren genannt werde! Und
wie viele von uns werden in der Mitte der Bahn durch einen Windhauch
Fortunens zurückgeworfen in den Staub! Und doch beginnen wir immer von
neuem wieder und geben das Leben und seine Freuden für ein lockendes Bild,
das erst auf dem Grabe still steht____ Denn ein Licht steht hoch über der weiten
Welt und über den Torheiten und Herrlichkeiten, den schwarzen und weißen
Taten der Thronen und Völker: keine Tugend mag jetzt ungewußt vergehen,
keine Schande verborgen bleiben. . . . Die Geschichte steht jetzt mit tausend
Argusaugen jeder großen Tugend und jedem großen Verbrechen auf der Spur
der werdenden Tat und gräbt sie sogleich unauslöschlich in ihre ehernen Tafeln
ein (418). Es ist meine Pflicht, dem Volk zu zeigen, was die Fürsten und
der Adel des Vaterlandes gewesen sind; es ist meine Pflicht, es jenen selbst zu
zeigen. Nicht mit Lust stelle ich diesen Spiegel aus, nicht mit Schadenfreude,
nicht, daß ich unselige Zwietracht mehren, daß ich traurige Zersplitterung teutscher
Kräfte und Gemüter verlängern will. Ich schwöre es bei dem heiligsten Schwur
und rufe alle edle Männer zu Zeugen auf, ich schwöre es bei der Freiheit
meines Vaterlandes und Europens; meine Zunge erstarre, meine Hand verdorre,
wenn kleiner Haß und kleine Ehrsucht in meinem Herzen brütet! Aber ich muß
Schanden zeigen, damit Ehren aufstehen, ich muß Schwächen aufdecken, damit
Stärken erwachsen können" (415).

Das sind Worte von wahrhaft erschütternd dramatischer Kraft, bei denen
uns noch heute das Bild dieses eisernen Mannes aufsteigt in wundervoller
Herrlichkeit: In grimmigem Unmut knirschen die Zähne zusammen, und nur
mühsam hält die Träne des Zornes und der Schmach sich zurück. Ich möchte,
Hammer und Meißel in meiner Hand formten, was mein Auge schaut. --
Wollte ein Künstler diesen Arndt des "Geistes der Zeit" im Bilde wieder erstehen
und zu uns reden lassen, er müßte mit ihm Zwiesprache halten wie der geniale
schwedische Künstler Anders Zorn mit dem Könige seines Volkes Gustav Wasa.
als er das Standbild schuf, das zu Mora in Dalarne für alle Zeiten ergreifende
Vaterlandsliebe kündet. So sollte dieser deutsche Recke vor uns stehen: Von
der gewaltigen Wucht der Zeit und des Augenblicks erschüttert, hoffend, zweifelnd,
ganz Wille und ganz Werkzeug.




Arndt als Agitator und Gffiziosus

Überschauen wir, was Arndt 1809 mit rücksichtslosem Bekennermut verkündet
und gefordert, 1813 unter dem Zwang der Verhältnisse gemildert hat, so mag
es uns scheinen, als habe er es zuweilen, was man ihm so oft vorgeworfen
hat, an der rechten Mäßigung und Sachlichkeit fehlen lassen. Aber gerade die
Ausgabe von 1809 enthält einige Stellen, die bezeugen, daß auch Arndt aus jenem
heroischen, selbstbewußten Verantwortlichkeitsgefühl heraus redete, das den Helden
jener einzigen Epoche in so wundervoll erhebender Weise eignet: „Wir anderen,
die der süße götterverwandte Reiz nach oben zieht — wie viele durchwachte
Nächte, wie viele heiße Tage, wie schwere und lange Arbeiten und Mühen,
daß unser Name nur von einigen des Volkes mit Ehren genannt werde! Und
wie viele von uns werden in der Mitte der Bahn durch einen Windhauch
Fortunens zurückgeworfen in den Staub! Und doch beginnen wir immer von
neuem wieder und geben das Leben und seine Freuden für ein lockendes Bild,
das erst auf dem Grabe still steht____ Denn ein Licht steht hoch über der weiten
Welt und über den Torheiten und Herrlichkeiten, den schwarzen und weißen
Taten der Thronen und Völker: keine Tugend mag jetzt ungewußt vergehen,
keine Schande verborgen bleiben. . . . Die Geschichte steht jetzt mit tausend
Argusaugen jeder großen Tugend und jedem großen Verbrechen auf der Spur
der werdenden Tat und gräbt sie sogleich unauslöschlich in ihre ehernen Tafeln
ein (418). Es ist meine Pflicht, dem Volk zu zeigen, was die Fürsten und
der Adel des Vaterlandes gewesen sind; es ist meine Pflicht, es jenen selbst zu
zeigen. Nicht mit Lust stelle ich diesen Spiegel aus, nicht mit Schadenfreude,
nicht, daß ich unselige Zwietracht mehren, daß ich traurige Zersplitterung teutscher
Kräfte und Gemüter verlängern will. Ich schwöre es bei dem heiligsten Schwur
und rufe alle edle Männer zu Zeugen auf, ich schwöre es bei der Freiheit
meines Vaterlandes und Europens; meine Zunge erstarre, meine Hand verdorre,
wenn kleiner Haß und kleine Ehrsucht in meinem Herzen brütet! Aber ich muß
Schanden zeigen, damit Ehren aufstehen, ich muß Schwächen aufdecken, damit
Stärken erwachsen können" (415).

Das sind Worte von wahrhaft erschütternd dramatischer Kraft, bei denen
uns noch heute das Bild dieses eisernen Mannes aufsteigt in wundervoller
Herrlichkeit: In grimmigem Unmut knirschen die Zähne zusammen, und nur
mühsam hält die Träne des Zornes und der Schmach sich zurück. Ich möchte,
Hammer und Meißel in meiner Hand formten, was mein Auge schaut. —
Wollte ein Künstler diesen Arndt des „Geistes der Zeit" im Bilde wieder erstehen
und zu uns reden lassen, er müßte mit ihm Zwiesprache halten wie der geniale
schwedische Künstler Anders Zorn mit dem Könige seines Volkes Gustav Wasa.
als er das Standbild schuf, das zu Mora in Dalarne für alle Zeiten ergreifende
Vaterlandsliebe kündet. So sollte dieser deutsche Recke vor uns stehen: Von
der gewaltigen Wucht der Zeit und des Augenblicks erschüttert, hoffend, zweifelnd,
ganz Wille und ganz Werkzeug.




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[0611] Arndt als Agitator und Gffiziosus Überschauen wir, was Arndt 1809 mit rücksichtslosem Bekennermut verkündet und gefordert, 1813 unter dem Zwang der Verhältnisse gemildert hat, so mag es uns scheinen, als habe er es zuweilen, was man ihm so oft vorgeworfen hat, an der rechten Mäßigung und Sachlichkeit fehlen lassen. Aber gerade die Ausgabe von 1809 enthält einige Stellen, die bezeugen, daß auch Arndt aus jenem heroischen, selbstbewußten Verantwortlichkeitsgefühl heraus redete, das den Helden jener einzigen Epoche in so wundervoll erhebender Weise eignet: „Wir anderen, die der süße götterverwandte Reiz nach oben zieht — wie viele durchwachte Nächte, wie viele heiße Tage, wie schwere und lange Arbeiten und Mühen, daß unser Name nur von einigen des Volkes mit Ehren genannt werde! Und wie viele von uns werden in der Mitte der Bahn durch einen Windhauch Fortunens zurückgeworfen in den Staub! Und doch beginnen wir immer von neuem wieder und geben das Leben und seine Freuden für ein lockendes Bild, das erst auf dem Grabe still steht____ Denn ein Licht steht hoch über der weiten Welt und über den Torheiten und Herrlichkeiten, den schwarzen und weißen Taten der Thronen und Völker: keine Tugend mag jetzt ungewußt vergehen, keine Schande verborgen bleiben. . . . Die Geschichte steht jetzt mit tausend Argusaugen jeder großen Tugend und jedem großen Verbrechen auf der Spur der werdenden Tat und gräbt sie sogleich unauslöschlich in ihre ehernen Tafeln ein (418). Es ist meine Pflicht, dem Volk zu zeigen, was die Fürsten und der Adel des Vaterlandes gewesen sind; es ist meine Pflicht, es jenen selbst zu zeigen. Nicht mit Lust stelle ich diesen Spiegel aus, nicht mit Schadenfreude, nicht, daß ich unselige Zwietracht mehren, daß ich traurige Zersplitterung teutscher Kräfte und Gemüter verlängern will. Ich schwöre es bei dem heiligsten Schwur und rufe alle edle Männer zu Zeugen auf, ich schwöre es bei der Freiheit meines Vaterlandes und Europens; meine Zunge erstarre, meine Hand verdorre, wenn kleiner Haß und kleine Ehrsucht in meinem Herzen brütet! Aber ich muß Schanden zeigen, damit Ehren aufstehen, ich muß Schwächen aufdecken, damit Stärken erwachsen können" (415). Das sind Worte von wahrhaft erschütternd dramatischer Kraft, bei denen uns noch heute das Bild dieses eisernen Mannes aufsteigt in wundervoller Herrlichkeit: In grimmigem Unmut knirschen die Zähne zusammen, und nur mühsam hält die Träne des Zornes und der Schmach sich zurück. Ich möchte, Hammer und Meißel in meiner Hand formten, was mein Auge schaut. — Wollte ein Künstler diesen Arndt des „Geistes der Zeit" im Bilde wieder erstehen und zu uns reden lassen, er müßte mit ihm Zwiesprache halten wie der geniale schwedische Künstler Anders Zorn mit dem Könige seines Volkes Gustav Wasa. als er das Standbild schuf, das zu Mora in Dalarne für alle Zeiten ergreifende Vaterlandsliebe kündet. So sollte dieser deutsche Recke vor uns stehen: Von der gewaltigen Wucht der Zeit und des Augenblicks erschüttert, hoffend, zweifelnd, ganz Wille und ganz Werkzeug.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/611>, abgerufen am 04.01.2025.