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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Arndt als Agitator und Gffiziosus

Alpen und der Ostsee nur Ein Land", das die Deutschen aus allen Gauen
gemeinschaftlich verteidigen müssen (426). Ja, es sind sogar (wie übrigens auch
in den anderen gleichzeitigen Schriften Arndts) Worte in der ersten Ausgabe
enthalten, die von einem erstaunlichen Grad realpolitischen Sinnes zeugen: "Ich
sagte", heißt es S. 104 (--110--44), "Preußen half den Raub teilen. Das
soll man eben so schlimm nicht verstehen. Ich hätte es vergeben können, wenn herrlich
und königlich geraubt wäre." (Vgl. auch die folgenden Sätze der zweiten Auflage!)

Deutlich spüren wir des Reichsritters Einfluß in folgender Änderung: Am
Schlüsse des "Geistes der Zeit II" entwickelt Arndt einen überaus revolutionären
Entwurf einer deutschen Verfassung, in dem Staatsideal und Wirklichkeitssinn
in der wunderlichsten Weise miteinander kämpfen. Da werden die sämtlichen Fürsten
ihrer Souveränität beraubt und den beiden einzigen Herrscherhäusern Österreich und
Preußen eingegliedert; sie und die zu Majoratsinhabern degradierten "kleinen
Fürsten, Grafen und Herren" bilden das "Oberhaus". "Diese Pars", lautet
es dann in der ersten Ausgabe, "machten den einzigen erblichen Adel aus. Sonst
wäre nur Verdienstadel auf Lebenszeit; die Stimme des Volks zeigte, der Regent
stämpelte die Edeln, Tugend, Kunst, Tapferkeit machte sie." Dafür setzte Arndt
1813 jenen ganzen Abschnitt ein, in dem es heißt: "Auch für den kleinen Adel,
wenn er bleiben sollte, müßten strengere Ordnungen und Satzungen gemacht
werden. Oder . . . glaubt ihr . . ., daß die Mächtigen einem Mächtigsten, einem
deutschen Kaiser gern dienen wollen? O kein deutscher Mann will dann lieber
als ich die alte Ordnung des Reiches. . . erhalten wissen. Aber wer schafft
mir die Liebe, die Treue, den Glauben und den Gehorsam wieder . . .?" Also
gerade hier sorgte das "geistige Rebenblut" doch wieder einmal, daß romantisch¬
historische Pietät ihm nicht den Blick für die Realitäten des Lebens trübte,
worin er ja überhaupt den Romantikern, ja zuweilen auch Stein, überlegen war*).

Durchaus rationalistisch-kosmopolitisch in dem Sinne, den Meinecke an
Steins europäischer Garantiepolitik beleuchtet hat, ist aber der Aufruf Arndts an
die "Vorstreiter Europens und Deutschlands", an Rußland und Österreich
besonders (S. 177ff.--180ff.--77f.). Sie sollen dafür sorgen, daß ein starkes
Deutschland erstehe, und -- ein Gedanke, der mit unserer Idee des National¬
staates völlig unverträglich ist -- "Nußland mag für seine herkulischen Arbeiten
entschädigt werden, wohin ich nicht zu weisen wage." Höchst bezeichnend ist
deshalb die Änderung von 1813: "Das aber darf ich sagen, daß neue und
festere Bande um das Deutsche Reich geknüpft werden müssen." Diese kosmo¬
politisch-europäische Aufforderung an die fremden Mächte war 1813 natürlich
noch mehr gerechtfertigt. Aus Rücksicht auf Rußland hat Arndt denn auch
manche Offenherzigkeit gegen russische Regenten getilgt.





") Vgl. Arndts Auseinandersetzung mit Adam Müllers Staatsphilosophie im "Bauern¬
stand". 1310, und Ernst Müsebecks oben genannten Aufsatz: Preußische Jahrbücher, Juli 1910.
Arndt als Agitator und Gffiziosus

Alpen und der Ostsee nur Ein Land", das die Deutschen aus allen Gauen
gemeinschaftlich verteidigen müssen (426). Ja, es sind sogar (wie übrigens auch
in den anderen gleichzeitigen Schriften Arndts) Worte in der ersten Ausgabe
enthalten, die von einem erstaunlichen Grad realpolitischen Sinnes zeugen: „Ich
sagte", heißt es S. 104 (—110—44), „Preußen half den Raub teilen. Das
soll man eben so schlimm nicht verstehen. Ich hätte es vergeben können, wenn herrlich
und königlich geraubt wäre." (Vgl. auch die folgenden Sätze der zweiten Auflage!)

Deutlich spüren wir des Reichsritters Einfluß in folgender Änderung: Am
Schlüsse des „Geistes der Zeit II" entwickelt Arndt einen überaus revolutionären
Entwurf einer deutschen Verfassung, in dem Staatsideal und Wirklichkeitssinn
in der wunderlichsten Weise miteinander kämpfen. Da werden die sämtlichen Fürsten
ihrer Souveränität beraubt und den beiden einzigen Herrscherhäusern Österreich und
Preußen eingegliedert; sie und die zu Majoratsinhabern degradierten „kleinen
Fürsten, Grafen und Herren" bilden das „Oberhaus". „Diese Pars", lautet
es dann in der ersten Ausgabe, „machten den einzigen erblichen Adel aus. Sonst
wäre nur Verdienstadel auf Lebenszeit; die Stimme des Volks zeigte, der Regent
stämpelte die Edeln, Tugend, Kunst, Tapferkeit machte sie." Dafür setzte Arndt
1813 jenen ganzen Abschnitt ein, in dem es heißt: „Auch für den kleinen Adel,
wenn er bleiben sollte, müßten strengere Ordnungen und Satzungen gemacht
werden. Oder . . . glaubt ihr . . ., daß die Mächtigen einem Mächtigsten, einem
deutschen Kaiser gern dienen wollen? O kein deutscher Mann will dann lieber
als ich die alte Ordnung des Reiches. . . erhalten wissen. Aber wer schafft
mir die Liebe, die Treue, den Glauben und den Gehorsam wieder . . .?" Also
gerade hier sorgte das „geistige Rebenblut" doch wieder einmal, daß romantisch¬
historische Pietät ihm nicht den Blick für die Realitäten des Lebens trübte,
worin er ja überhaupt den Romantikern, ja zuweilen auch Stein, überlegen war*).

Durchaus rationalistisch-kosmopolitisch in dem Sinne, den Meinecke an
Steins europäischer Garantiepolitik beleuchtet hat, ist aber der Aufruf Arndts an
die „Vorstreiter Europens und Deutschlands", an Rußland und Österreich
besonders (S. 177ff.—180ff.—77f.). Sie sollen dafür sorgen, daß ein starkes
Deutschland erstehe, und — ein Gedanke, der mit unserer Idee des National¬
staates völlig unverträglich ist — „Nußland mag für seine herkulischen Arbeiten
entschädigt werden, wohin ich nicht zu weisen wage." Höchst bezeichnend ist
deshalb die Änderung von 1813: „Das aber darf ich sagen, daß neue und
festere Bande um das Deutsche Reich geknüpft werden müssen." Diese kosmo¬
politisch-europäische Aufforderung an die fremden Mächte war 1813 natürlich
noch mehr gerechtfertigt. Aus Rücksicht auf Rußland hat Arndt denn auch
manche Offenherzigkeit gegen russische Regenten getilgt.





") Vgl. Arndts Auseinandersetzung mit Adam Müllers Staatsphilosophie im „Bauern¬
stand". 1310, und Ernst Müsebecks oben genannten Aufsatz: Preußische Jahrbücher, Juli 1910.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/610>, abgerufen am 01.01.2025.